Im falschen Körper: Jonas ist als Mädchen aufgewachsen, will aber Mann sein STADTGEPLAUDER | 12.05.2017

„Seit zwei Jahren weiß ich, dass ich ein Junge bin.“ Das zu sagen, fällt Jonas nicht schwer. Es ist normal. Der 17-jährige Freiburger sagt es immer wieder. Er ist Transgender. Seinen früheren Mädchennamen will er nicht preisgeben. Denn der ist Geschichte. Nur seine Eltern wollen das nicht akzeptieren.

Kämpferisch: Jonas hat als Transgender schon viel durchgemacht.

Trifft man Jonas auf der Straße, würde man nicht auf die Idee kommen, dass der junge Mann mal ein Mädchen war. Er sieht aus wie viele andere Jungs in seinem Alter: kurze Haare, schwarzer Kapuzenpulli, Jeans, Sportschuhe. Doch er lebt im Körper einer Frau. Kein Bartwuchs, dafür Brüste. Zu sehen sind die unter dem lockeren Pulli nicht: „Ich trage einen Binder (englisch ausgesprochen), der presst die Brust platt“, erzählt Jonas. Weiter als zum Briefkasten geht er nicht ohne ihn. Als Frau wahrgenommen zu werden, wäre schlimm. Denn das ist er nicht, davon ist Jonas überzeugt.

Um Mann zu sein, nimmt er einiges in Kauf: Der Binder versteckt nicht nur Brüste, er schnürt ihm auch die Lunge ab. Schon nach ein paar Treppenstufen schnappt er nach Luft. „Ich versuche Männerklischees aufzunehmen, damit die Gesellschaft mich annimmt“, erzählt er im Eschholzpark. Oft sitze er einfach nur da und beobachte Menschen. Wie sie laufen, sich bewegen, was sie tun. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau kennt er immer besser: „Ein Mann läuft eher über den Oberkörper, eine Frau eher aus der Hüfte.“

Das häufige Schubladendenken stört ihn: „Es gibt nur Schwarz oder Weiß, Mann oder Frau.“ Auf welche Schultoilette soll er zum Beispiel gehen? Zu den Männern traut er sich nicht. Bei den Frauen hat er ein mulmiges Gefühl. Er nutzt sie trotzdem. Aber nur in den Momenten, in denen keiner da ist.

Schon als Kind stand Jonas zwischen den Stühlen. In der Grundschule hatte er als einziges Mädchen kurze Haare. „Man steht dabei, hat das Gefühl etwas passt nicht, weiß aber nicht was“, erinnert er sich. Als die Pubertät kam, wollte er keine Brüste. Und schon immer konnte er mit Jungs besser als mit Mädchen. „Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass ich ein Mann bin“, erinnert er sich. Erst in der 9. Klasse merkte er deutlich: Da stimmt etwas ganz und gar nicht. Aber was?

Berühmt: Giuliana Farfalla aus Herbolzheim hat 2017 bei der Castingshow „Germany‘s Next Topmodel“ mitgemacht.

Er begann im Internet zu suchen. Wer bin ich? Was passt nicht? Jonas stieß auf Transgender. Verstand plötzlich, was los war. Sah, dass andere Männer im Frauenkörper genauso litten. „Geistig bin ich ein Mann“, sagt Jonas. Auch wenn der Körper nicht dazu passt.

Eine Zeit lang wurde er gemobbt, fühlte sich unwohl. Als er eines Abends mit seiner Mutter aus dem Haus ging, trug er Hemd und Fliege. „Willst du dich operieren lassen?“, fragte seine Mutter im Scherz. Ihm verschlug es die Sprache. Denn eine Operation wünschte er sich schon länger. Überzeugt, es zu machen, war er jedoch nicht. „Warum sagst du nichts?“, fragte die Mutter. „Ich weiß es nicht“, antwortete er schließlich. Und sah den Schock in ihren Augen.

Nach diesem „Schlüsselmoment“ offenbarte er sich seinem Vater in einem Brief. Der kam zu ihm, wollte ihn in den Arm nehmen. Jonas lehnte ab, die Nähe war ihm zu viel. Ein neuer Name musste her. Also machte er eine Liste, stellte sich vor den Spiegel und spielte die Optionen durch. Immer mehr Namen strich er durch. Übrig blieben Johannes, Jonas und Ben. Die letzten beiden gefielen am besten. So nennt er sich heute. Und ist als Jonas Ben FtM (Female to Male) mittlerweile auch auf YouTube. Dort erzählt er von seinem Leben. Ein Clip zeigt beispielsweise Fotos aus seiner Kindheit: „Some people began calling me a boy. It made me so happy“, berichtet er da.

Im Sommer 2015 war es soweit, er wechselte die Schule und outete sich auch dort: „Ich musste es sagen, sonst mache ich mein Leben nur schlimmer.“ Den Klassenlehrer informierte er in einem persönlichen Gespräch. Der reagierte gelassen und informierte alle Kollegen schriftlich. Seitdem sprechen sie ihn als Jonas an. Ein tolles Gefühl. Auch Freunde und Bekannte tun das. Nur die Eltern tun sich schwer damit. „Sie weigern sich, den neuen Namen zu verwenden“, sagt Jonas. Sie finden, die Entscheidung komme zu früh. Er ist ja nicht mal volljährig.

Die Zweifel der Eltern versteht er. Doch das Bedürfnis, ein Mann zu sein, ist zu groß. „Ich wünsche es mir so irrsinnig“, sagt Jonas. Dass sie dem im Weg stehen, ist schmerzhaft. Depressionen, sogar Suizidgedanken machen ihm zu schaffen. Beistand findet er unter anderem in der Jugendgruppe der Rosa Hilfe. Dort kann er offen reden, trifft auf Gleichgesinnte.

Transgender: Jonas lebt als Mann im Körper einer Frau.

Im September ist Jonas volljährig. Dann kann er selbst entscheiden. Sein erstes Ziel ist eine Personenstandsänderung. Also ein männlicher Name im Pass. Dafür muss er zwei Gutachten von Psychologen einholen. Dann entscheidet ein Richter. „Die Verhandlung dauert meist nur zwei Minuten“, hat sich Jonas sagen lassen. Er ist optimistisch, das Okay zu bekommen. Eine Psychologin besucht er seit rund einem Jahr.

Der zweite Weg ist das Körperliche. Um ein Mann zu werden, kann Jonas eine Hormontherapie machen. Nimmt er Testosteron, bekommt er Bartwuchs, die Stimme wird tiefer, Muskeln wachsen. Das will er auf jeden Fall. Per Operation können dann die Brüste entfernt werden. Auch das möchte er. Im letzten Schritt können Ärzte ihm einen Penis machen. Ob er so weit geht, ist unklar. Der operative Eingriff ist kein leichter.

Eine feste Beziehung hatte Jonas bisher nicht. Er bezeichnet sich als polysexuell: „Ich bin 80 Prozent schwul und mag zu 20 Prozent männliche Frauen.“ Sein größter Wunsch ist ein Lehramtsstudium. Normalität, ein geregeltes Leben. „Manchmal will man einfach auf Pause drücken, nicht immer nur trans, trans, trans im Kopf haben“, sagt Jonas. Doch auch wenn es unglaublich schwierig ist: Den Weg zum Mann würde er wieder gehen.

Text: Till Neumann / Fotos: © Tln & ProSieben/Martin Bauendahl

Kein Einzelfall

Schwieriges Outing
Jonas ist keine Ausnahme. „Es vergeht in der Beratung fast keine Woche, ohne das Thema“, berichtet Robert Sandermann (50) von der Rosa Hilfe Freiburg. Etwa 20 Leute mit der Thematik in Freiburg sind ihm bekannt. Vor allem Jugendliche ab 12 Jahren, manche auch um die 60. „Viele belassen es bei Hormontherapie und Namensänderung“, sagt Sandermann. Für die Anerkennung des gefühlten Geschlechts sei eine Operation nicht mehr nötig. Ein Trans-Coming-Out sei dafür extrem schwierig: „Wahrscheinlich ist das wie das Outing eines Homosexuellen in den 60ern.“ Doch die Gesellschaft werde offener. Trans-Models wie Giulana Farfalla aus Herbolzheim tragen ihren Teil dazu bei, sagt Sandermann. Farfalla wurde Elfte in der aktuellen Staffel der TV-Show Germany’s next Topmodel.

Komplizierte Op
Transgender gilt als Krankheit. „Das ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Christian Leiber von der Uniklinik Freiburg. Das stigmatisiere die Betroffenen, ermögliche aber eine Kostenerstattung für medizinische Behandlungen. Der Urologe befasst sich seit 15 Jahren mit dem Thema. Drei bis sieben Trans-Operation macht er im Jahr in der Uniklinik Freiburg – ausschließlich von Mann zu Frau. „Etwas wegzumachen ist einfacher als etwas hinzuzufügen“, sagt Leiber. Transgender-Männer, die eine geschlechtsangleichende Operation möchten, können ein Penoid (Ersatz-Penis) bekommen. Dafür wird aus einem Stück Haut am Unterarm ein Penis gebaut. Mit einer zusätzlichen Pumpe kann man so auch Sex haben. Die Sensibilität sei aber verringert.

Großes Leid
Transgender suchen meist professionelle Hilfe. Psychotherapeutin Friederike Janssen-Faller aus Freiburg hat bisher rund 20 Fälle begleitet. „Ich erlebe das Körperliche oft als das größte Leid“, sagt die 51-Jährige. Infrage stellen will sie Menschen wie Jonas nicht. „Er ist in einem weiblichen Körper zur Welt gekommen“, sagt die Expertin. Wie man heißt, könne jeder selbst bestimmen. Die Rechtslage findet sie „völlig schräg“. In Baden-Württemberg braucht es zur Namens- und Personenstandsänderung zwei unabhängige Gutachten. Für geschlechtsangleichende operative Eingriffe dafür offiziell keins. Angefordert werden sie dennoch immer wieder. „Beide Systeme sind vergrätscht“, ärgert sich Janssen-Faller. Dass Jonas Eltern den männlichen Namen ablehnen, versteht sie ebenfalls nicht. Sie rät, seinen Wunsch zu akzeptieren und eine gemeinsame Sprache zu finden.