Aus dem All: Artpop-Trio Mockemalör legt „Science-Fiction“ vor Kultur | 12.10.2018 | Till Neumann

Wir sind aus dem All, sind wir“, singt Magdalena Ganter im Intro ihrer neuen Scheibe. Mit ihren Bandkollegen Simon Steger und Martin Bach hat die ehemalige Freiburgerin die dritte Mockemalör-Platte am Start. Die klingt nicht futuristisch, heißt aber „Science-Fiction“. Von welchem Planeten die drei Musiker kommen? „Von unserem eigenen, wir bedienen uns unserer Fantasie“, sagt die Sängerin. Das chilli verlost ein Vinyl-Exemplar der Platte.

Die Platte der drei Wahl-Berliner mischt Chanson, Jazz, Elektro und Pop. Fernab vom Mainstream verschmelzen die Einzelteile zu einer eigenartigen, aber fesselnden Einheit. Erwartbares sucht man vergeblich, wird dafür aber immer wieder überrascht: Mal spaziert der Beat genüsslich dahin, Ganters hohe Stimme schmiegt sich um die Basslinien. Dann schreit die Sängerin „Science-Fiction“ in den Raum, während die Drums das Raumschiff nach vorne schieben. Im nächsten Track wird zu einem lässigen Jazzbeat eine beschwingt gepfiffen.

Der Rote Faden sind die Texte. Reinhören muss man sich da. Und zuhören. Die Kunst des Unvollendeten – so könnte man ihre Art zu schreiben nennen. Immer wieder werden Gedanken ausgebreitet, aber nicht zu Ende geführt, Wörter elegant beiseitegeschoben oder in Endlosschleife wiederholt.

Ungefilterte Gefühle im feuchten Dreck

Was daran Science-Fiction ist? Da muss die Exil-Freiburgerin überlegen. „Die Platte hat etwas Transzendentales, etwas Mystisches“, sagt die 32-Jährige beim chilli-­Telefoninterview. Wer zwischen den Zeilen lese, könne tief blicken. Dabei ist der Titeltrack entstanden, als alles schon fertig war, verrät sie. „Wir wollten es ausreizen“, sagt Ganter. Mit einer kleinen Synthie-Melodie startet nun das Album. Und den Worten: „Wir stellen auf null und schauen was passiert, wenn wir alle Filter ausschalten.“

Zu entdecken gibt’s ungefilterte Emotionen in Hülle und Fülle. „Traum“ ist ein zarter Appell für die Liebe. Im feuchten Dreck sitzt sie da, heult die Tränen weg, trotzt sich selbst und träumt von Freiheit. Nur um am nächsten Tag wieder fröhlich zu versagen. „Elefanten“ klingt nach Raumschiff, elek­tronisch-verzerrt und endlos weit – mit einer zerbrechlichen Stimme und kreischender E-Gitarre. „Nullpunkt“ bietet im Duett mit Gastsängerin „Cäthe“ ein gesellschaftskritisches Statement. „Wir brauchen mehr – wir brauchen auch weniger“, singen die beiden. Es geht um Sinnlichkeit, Verständlichkeit oder Zärtlichkeit – und um Konsum.

„Das sind alles ganz persönliche Erfahrungen“, erzählt die Frontfrau. Sie schreibe über die Welt und das, was sie mit uns macht. „Wir brauchen auch weniger“, sei durchaus als Konsumkritik zu verstehen. Geschickt verpackt – ohne Fingerzeigementalität. „Was richtig ist und was nicht, muss jeder für sich selbst rauslesen“, betont Ganter.

In Hinterzarten ist sie groß geworden, seit zwölf Jahren lebt sie in Berlin – und unterrichtet neben der Musik Gesang und Performance. Zwei Jahre hat sie nun mit der Band am Album gearbeitet. „Da stecken gehörig Auseinandersetzung, Schweiß und Tränen drin“, schreibt Ganter in der Presseinfo. Umso schöner sei das Gefühl, das Werk nun mit der Welt zu teilen.

Kurz vor dem Release spürt sie vor allem Dankbarkeit. Die Zusammenarbeit mit ihren Kollegen sei zwar manchmal anstrengend, aber immer demokratisch und am Ende des Tages ganz beglückend. Gemeinsam hätten sie nun schon so einiges erlebt und seien gereift. So hat sich die Band, die auf dem Debütalbum „Schwarzer Wald“ im Jahr 2013 noch mit Alemannischen Texten um die Ecke kam, auch international einen Namen gemacht: In Georgien hat das Trio Anfang Oktober mit dem Landesorchester gespielt. Auch beim Nanjing International Jazz Festival in China waren die drei am Start.

Hysterie, Glück, Konsumkritik: Das neue Album von Mockemalör ist eine emotionale Achterbahnfahrt voll Dadaismus und Poesie.

Ob ihre Message-Musik auch da funktioniert? „Wenn man sich mit Herz und Seele ausdrückt, ist es egal, welche Sprache man spricht – die Quintessenz kommt an“, sagt Ganter. Zu sehen, dass sie selbst weit entfernt von der Heimat Menschen berühren könne, beschreibt sie als gigantisches Gefühl. „Wir sind sehr speziell, aber ganz frei – nur so macht es Sinn“, ist sie überzeugt. Denn so ströme es aus ihnen heraus.

Ihre Stimme ist das Möckemalor-Markenzeichen. Mal butterweich-flüsternd, mal schrill und laut. Sicher nicht jedermanns Sache und manchmal anstrengend. Aber mit einer Bandbreite, um die sie viele beneiden dürften. Zumal die ­Beats Truhen sind voller kleiner funkelnder Schätze: „Jeder Sound wurde mit Liebe zum Detail gebaut und umgesetzt“, unterstreicht Drummer Martin Bach. Nicht immer sei das leichte Kost, lasse aber viel Raum für Fantasie. „Nicht alles wird mit einem Leuchtbanner auf die Stirn des Hörers genagelt“, sagt Bach.

Die Vielfalt der Band ist kein Zufall: „Magdalena kommt aus der Chanson-Richtung, Keyboarder und Synth-Nerd Simon Steger eher aus der Klassik, ich eher aus Rock und Punk“, erklärt Bach. Als tiefgründig, dadaistisch und humorvoll beschreibt er das Album. Mit einer Frontfrau, die schon als „moderne Marlene Dietrich“ bezeichnet wurde. Ehre oder Bürde? „Sie ist unglaublich inspirierend“, schwärmt Ganter, die sich freut über den Vergleich. Früher hatte sie mal ein Poster von Dietrich, heute ein Buch. „Sie hat tolle Texte“, schwärmt Ganter. Eine Aussage, die auch zu ihr selbst passt.

Vinyl-Verlosung

Mockemalör haben „Science-­Fiction“ am 12. Oktober digital und auf Vinyl veröffentlicht. Eine Tour mit Station in Freiburg ist für das Frühjahr 2019 geplant. Wir verlosen ein Vinyl-Exemplar des Albums. Wer gewinnen möchte, schickt bis zum 31. Oktober eine Mail mit dem Stichwort „Mockemalör“ an redaktion{at}chilli-freiburg.de. Gebt eure Adresse und den vollen Namen an.

Fotos: © Marcus Engler