Bühne als Lebenselexier: Christopher Kern bringt Geschichte ins Theater Kultur | 12.11.2019 | Erika Weisser
„Rote Sonne, dunkle Nacht“ heißt das Stück, mit dem Theaterregisseur Christopher Kern und sein Amateur-Ensemble vom Kulturkreis Lahr erstmals in Freiburg auftreten. Es geht darin um den Widerstand gegen das ab 1973 geplante Atomkraftwerk bei Wyhl.„Nai hämmer gsait!“ Bei diesen Worten mag, wenn am 16. November im Vorderhaus eine Platzbesetzung über die Bühne geht, mancher Zuschauer einen Hauch Nostalgie verspüren. Wenn er denn bei der realen Besetzung des bereits gerodeten Bauplatzes für das geplante Atomkraftwerk im Wyhler Wald dabei war. Damals, im Herbst 1975. Als Kaiserstühler Bauern, Winzer, Fischer, und Handwerker sich mitsamt ihren Frauen auf die Baumaschinen setzten, Zelte aufschlugen und nicht mehr freiwillig von der Stelle wichen.
Ein großartiges Stück Geschichte sei damals geschrieben worden, findet der Lahrer Theaterregisseur Christopher Kern, der zu jener Zeit noch nicht einmal auf der Welt war. Denn der gegen den Willen der damaligen Landesregierung durchgesetzte Baustopp habe nicht nur die Region am Oberrhein gerettet. Wyhl, ist Kern überzeugt, habe zu einem energiepolitischen Umdenken und zur Etablierung alternativer Formen der Energiegewinnung geführt, habe „den Einstieg zum Ausstieg aus der Atom-
energie eingeleitet“.
Über die Möglichkeit, die Geschichten aus dem Wyhler Wald auf die Bühne zu bringen, hatte er indes zunächst nicht nachgedacht. Obwohl der 43-Jährige, der seit 2015 beim Kulturkreis Lahr für die Bühnenarbeit und die Leitung des Amateur-Ensembles „Theaterbühne im Keller“ verantwortlich ist, schon etwa 15 Stücke verfasst hat. Als aber der Autor Hans Weide angefragte, ob er den von ihm verfassten Roman „Rote Sonne, dunkle Nacht“ zu einem Theaterstück umschreiben wolle, willigte er gleich ein. Dass Weide zu jener Zeit als Hauptkommissar beim Polizeirevier Lahr die Wyhler Ereignisse hautnah miterlebt und die entscheidende Wendung eingeleitet hatte, wusste Christopher Kern zu dem Zeitpunkt, da er das Buch entgegennahm, noch nicht.
In einer Zwickmühle
Im Laufe der Lektüre begegnete er indessen der Figur des Polizisten Günther Wagner. Und dieser entwickelte – wie der echte Hans Weide im richtigen Leben – im Laufe der Auseinandersetzungen um den AKW-Bau Verständnis für die Sache der Gegner. Was den fiktiven Polizisten Wagner in eine Zwickmühle bringt: Als er für die bevorstehende Räumung des Platzes mit der Einsatzleitung beauftragt wird, verweigerte er den Befehl. Wie der reale Polizist Hans Weide. Über die Figur Wagner erfuhr Kern auch, dass Weide weitere Schritte unternahm, um die drohende Räumung zu verhindern. Und dass er dabei erfolgreich war.
Kern, für den „Theater so etwas wie ein Lebenselixier“ ist, machte sich gleich ans Werk. Kein halbes Jahr später war die Bühnenfassung fertig; im Oktober 2018 hatte sie im Stiftsschaffneikeller des Kulturkreises Lahr ihre Uraufführung. Nach neun weiteren ausgebuchten Aufführungen in der Regio ist das Stück nun auch in Freiburg zu sehen. Der Dramaturg freut sich sehr über diesen Erfolg. Und findet, dass der Stoff „geradezu nach einer Verfilmung schreit“: Heute, da Klimawandel und energiepolitische Wende in aller Munde seien, bewege das Thema Widerstand und ziviler Ungehorsam die Leute mehr denn je. Das habe er bei der Tournee – seiner ersten überhaupt – immer wieder festgestellt.
Derweil arbeitet er bereits an seinem nächsten Projekt: Die Inszenierung von Vaclav Havels Schauspiel „Die Benachrichtigung“, in dem es um autoritären Führungsstil und Sprache geht. Premiere ist am 29. und 30. November im Stiftsschaffneikeller. Er kennt den Text noch aus seiner Schulzeit, hat ihn jetzt, in Zeiten zunehmender Sprachverrohung, wieder „aus dem Regal gezogen“.
Das hat er vor zwei Jahren schon einmal getan – und zog das große Los: Als er Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ für seine „Theaterbühne im Keller“ bearbeitete, stieß er auf die weitgehend unbekannte, 1943 im kalifornischen Exil entstandene Santa-Monica-Version. Mit der Zustimmung der bezüglich der Originaltreue sehr strengen Brecht-Erben durfte er das Stück aufführen – als erste kleine Amateurbühne weltweit. Das, erinnert er sich, sei „eine ganz besondere Auszeichnung“ für seine Arbeit gewesen.
Dieser ideellen Auszeichnung folgte jüngst eine materielle: Die Stiftung „Bürger für Lahr“ verlieh dem Kulturkreis ihren mit 3000 Euro dotierten Bürgerpreis – für seine „wichtige Arbeit“. Und an der haben Christopher Kern und sein Ensemble einen großen Anteil.
Foto: © Ralf Kuchheuser, Hans Weide