Deutsches Volksliedarchiv digital: fast 200.000 historische Liedbelege online Kultur | 23.01.2021 | pt

Ein umfangreiches Digitalisierungsprojekt ist abgeschlossen: Das Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Universität Freiburg hat fast 200.000 Liedbelege aus dem Bestand des Deutschen Volksliedarchivs veröffentlicht. Sie sind über den Publikationsserver der Universitätsbibliothek Freiburg, FreiDokPlus, abrufbar.

„Einerseits ging es uns darum, diesen einzigartigen Schatz durch eine Verfilmung zu sichern, andererseits wollen wir diese Belege der Wissenschaft und der Öffentlichkeit online zur Verfügung stellen“, erklärt Michael Fischer, der Geschäftsführende Direktor des ZPKM. Das Deutsche Volksliedarchiv wurde 1914 in Freiburg mit dem Ziel gegründet, deutschsprachige Volkslieder zu sammeln, zu dokumentieren und zu erforschen.

„Damals ging es darum, das historische und gegenwärtige Kulturerbe auf dem Gebiet des Liedes zu bewahren – ein hochbedeutsames Ansinnen“, sagt Fischer. Methodisch neuartig sei die empirische Grundlage gewesen: In allen deutschen „Sprachlandschaften“, wie man die Regionen damals nannte, wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Volkslieder gesammelt. Die Zeugnisse der musikalisch-textlichen Überlieferung wurden einerseits in dezentralen Regionalarchiven aufbewahrt, andererseits nach Freiburg in das zentrale Deutsche Volksliedarchiv übersandt.

Die digitalisierten Liedbelege stammen aus den Jahren zwischen 1914 und 1959. „Leider wurden vom Deutschen Volksliedarchiv nicht die damals gesungenen und gehörten Schlager dokumentiert, sondern lediglich die Volkslieder“, stellt Fischer fest. Die populäre und oft internationale Musik, die auf Schallplatten erklang oder auf Festen gespielt wurde, lehnten die Forschenden damals ab – vom Foxtrott bis zum Rock’n’Roll.

Trotz dieser kulturkonservativen Grundeinstellung sei es damals wissenschaftlich geradezu revolutionär gewesen, die Menschen als Überlieferungsträger und Wissensgeneratoren in den Mittelpunkt zu stellen: „Erstmals in der Geschichte der Liedforschung wurden in großer Zahl einfache Leute befragt, was sie singen und welche Volkslieder sie kennen.“ Innerhalb der umfangreichen Sammlung an Texten und Melodien stellen die etwa 3.000 Soldatenlieder aus dem Ersten Weltkrieg eine kulturgeschichtliche Quelle ersten Ranges dar.

Heute seien für die Forschung nicht nur die dokumentierten Liedtexte und die Melodien von Interesse, sondern auch die Sammlungsgeschichte selbst, so Fischer weiter. Sie zeige, welches Selbstverständnis die Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte, fachlich genauso wie politisch: „Die nun digitalisierte Sammlung ist nicht nur ein herausragendes Dokument deutscher Kulturtraditionen, sondern ebenso ein Zeugnis der Nationalisierung von Kultur.“ Genau diese Ambivalenz mache die Sammlung wissenschaftlich so interessant.

Die A-Nummer 1 stellt eine Variante des Liedes „Die Gedanken sind frei“ dar, die aus dem hessischen Ort Alsheim stammt. Obwohl diese Zuordnung zur ersten Belegnummer wohl eher zufällig war, hat es das Deutsche Volksliedarchiv als seine Verpflichtung angesehen, in Wissenschaft und Praxis insbesondere die Lieder freiheitlich-demokratischer Traditionen in den Vordergrund zu rücken. Das ZPKM wird im Jahr 2021 gleichfalls seine Sammlungen zur Arbeiterliedkultur online zur Verfügung stellen.

Foto:  © Michael Fischer