Freiburgs Kinobetreiber Ludwig Ammann über 2020 Kultur | 31.12.2020 | Ludwig Ammann

Kandelhof Die Leinwand bleibt dunkel: Trotz Hygienekonzept und keiner einzigen nachgewiesenen Ansteckung sind alle Kinos bis auf Weiteres geschlossen. Da ist der von der MFG Baden-Württemberg verliehene und mit 10.000 Euro dotierte Kinopreis für das Jahresprogramm 2019 im „Kandelhof“ ein Trostpflaster.

Das Jahr ist abgehakt, und zwar schon etwas länger. Anders als die Politik, die sich im Sommer anscheinend der Hoffnung hingab, dass der Winter und damit die zweite Welle ausbleiben könnte, haben wir unsere Hausaufgaben zeitig gemacht und üben uns seither in Schadensbegrenzung und Galgenhumor. Dabei hatte das Jahr vielversprechend angefangen.

Die dreimonatige Schließung des Friedrichsbaus wegen einer Brandschutzmaßnahme des Eigentümers war vorbei, es ging wieder aufwärts und wir hätten jeden Eid geschworen, dass wir das Schlimmste, was sich denken lässt, schon hinter uns hatten. Im März wurden wir eines Besseren belehrt: Drei Monate ein Kino zu lässt sich ohne Weiteres toppen durch drei Monate alle Kinos zu! Und alles andere auch …

Für Wehklagen blieb wenig Zeit, das Einmotten dreier Kinos bedeutet alles andere als Kurzarbeit für die Chefs, die 100 Prozent Kurzarbeit für ihre Mitarbeiter beantragen. Und manches andere mehr: Soforthilfe, Überbrückungshilfe, fast vergessene Referenzfördermittel, Kinoprogrammpreis- Aufstockungen – eine wahre Springflut an Anträgen, die aber, auch wenn einen die Bürokratie erschlägt, einem guten Zweck dient: das Überleben der Kinos zu sichern, indem die monatlichen
Verluste begrenzt werden.

Bleibt die Frage, warum die Politik sich entschied, die Gewinne der Vermieter zu verschonen und die Last der – substanziell geminderten – Verluste allein uns zwangsgeschlossenen Gewerbemietern aufzubürden. Vielleicht weil man dachte, nach drei Monaten sei der Spuk vorbei? Unterm Strich lebt unsereiner seit März von den Altersrücklagen – ein Jahr Corona heißt für mich zwei Jahre länger arbeiten. 

Ammann

Ludwig Ammann , 59, ist Publizist, Islamwissenschaftler…

Oder auch nicht. Denn die nun ausgerufene Novemberhilfe ist eine Kehrtwende. So sehr, dass mancher zunächst an einen Irrtum glaubte: Der Umsatz des Vorjahresnovembers als Berechnungsgrundlage einer Kompensation in Höhe von 75 Prozent? Es gibt zwar Branchen mit zweistelliger Umsatzrendite, aber in diese astronomische Höhe stoßen allenfalls Suchtmittel vor.

Die Überkompensation lässt sich am wohlwollendsten deuten als Versuch, die bisherigen Hilfen rückwirkend um eine Unternehmerlohn-Komponente zu ergänzen und damit die ungerechtfertigte Besserstellung der Vermieter auszugleichen.

Nach Bewältigung der Antragsflut war dann Gelegenheit, das unerwartete Sabbatical zu genießen: mehr Zeit für die Freunde, die kranke Mutter, fürs Kochen, den Weinkeller und den Dschungel auf dem Balkon. Mehr Zeit fürs Leben. Man kommt auf den Geschmack. Sollte man öfter haben.

Ich habe seit Jahrzehnten nicht mit so gutem Gewissen Urlaub gemacht. Ich habe mich in die Memoiren meines Großvaters vertieft, habe mich darin verloren, bin in seinen wilden Zeiten der Gegenwart entrückt – was ist schon Corona gegen zwei Kriege, Flucht und Neubeginn? Ein Klacks. Wir jammern auf geradezu obszönem Anspruchsniveau. Jetzt sind seine Erinnerungen fast publikationsreif gemacht – auch dafür ist Corona gut.

Erfüllte Auflagen und enttäuschte Hoffnungen

Auf die Wiedereröffnung im Juni haben wir uns akribisch vorbereitet mit einem Hygienekonzept, das die Auflagen des RKI auf Punkt und Komma erfüllte und übererfüllte. Die Mindestabstände haben uns im Schnitt 70 Prozent unserer Kapazität gekostet. Kein Kino kann mit so einem Konzept Gewinn machen.

Unsere einzige Hoffnung war, dass die Einnahmen vielleicht ausreichen würden, die Lücke zwischen der Überbrückungshilfe und den tatsächlichen Kosten zu  schließen, sodass wir mit zwei blauen Augen davonkommen würden. Wir taten es ohne Murren aus Einsicht in die Notwendigkeit – bis zu dem denkwürdigen
Tag, an dem die Kanzlerin den November-Lockdown verkündete und uns Kulturveranstalter trotz bewährtem Hygienekonzept wieder schließen ließ, obwohl weltweit kein einziger Fall einer Ansteckung in einem Kino mit Hygienekonzept dokumentiert ist.

Kandelhof

…und betreibt in Freiburg die Kinos Friedrichsbau, Kandelhof und Harmonie.

Die Begründung war der Kanzlerin unwürdig: Aus der schwindenden Nachvollziehbarkeit von Infektionswegen zu folgern, man könne nun nicht mehr sagen, „dass ein bestimmter Bereich zur Infektion überhaupt nicht beiträgt“, ist Unsinn. Aus einer Stichprobe von 25 Prozent kann man ohne weiteres auf die Grundgesamtheit zurückschließen, das weiß die gelernte Physikerin genau. Und sie weiß auch, dass nicht jeder Kontakt zu vermeiden ist, sondern allein Kontakte ersten Grades mit erhöhtem Infektionsrisiko – die Website des RKI klärt darüber auf. Diesen Unterschied zu verwischen, verkehrt die Beweislast und maskiert die Versäumnisse der Politik bei der Vorbereitung auf die kalte Jahreszeit.

Vielleicht ist die Novemberhilfe ja auch die Wiedergutmachung für eine unverfrorene Lüge? Die gegenwärtige Schließung von Versammlungsstätten mit überwachten AHA + L-Regeln ist keine wirksame Maßnahme gegen Corona, sie ist ein Placebo – und darum hat der Lockdown Light auch nicht das gebracht, was sich die Politik von ihm erhofft hat.

Fotos: © Markus Herb, Ingo Schneider