Lesefutter für den Sommer: Neue Bücher frisch ausgepackt Kultur | 30.06.2020 | LaR

Sonnenuhr an Hauswand

Sommerzeit ist Lesezeit: Ob im Straßencafé, in der Hängematte auf dem Balkon oder auf einer Decke am See – mit diesen Neuerscheinungen aus und über die REGIO ist Lesespaß garantiert.

Nur die schönen Stunden?

„Wende dein Gesicht zur Sonne und die Schatten fallen hinter dich.“ So lautet der Spruch, der am Sonnenbrunnen im Ortskern von Freiburg-Waltershofen in Sandstein gemeißelt ist. Ein gutes Lebensmotto, findet Renate Frank, die in Freiburg lebende Autorin dieses Anfang Mai erschienenen und sehr schön bebilderten Buchs über „Sonnenuhren, die Geschichte(n) erzählen“.

Ihr Interesse an diesem Thema wurde durch Sonnenuhrenexperten geweckt, denen sie im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit als Gästeführerin in Freiburg und im Dreiländereck begegnete. Und es hat sie „bis heute nicht losgelassen“: Sie begann, sich näher mit den Geschichten zu beschäftigen, die im Schatten dieser Uhren, die angeblich nur die schönen Stunden zählen, verborgen sind. Und sie wurde Mitglied im Fachkreis Sonnenuhren der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie.

Für ihr erstes Buch hat sie viel und sorgfältig recherchiert – in Südbaden, im Elsass, der Nordschweiz – und an sehr viel weiter entfernten Orten. Etwa in Australien, wo sie in Torquay ein besonders schönes, im Jahr 1996 aus mehr als 120.000 Glasmosaiksteinen gefertigtes Exemplar ausmachte. Auch in Augsburg fand sie eine bemerkenswerte Sonnenuhr, der sie ein größeres und sehr aufschlussreiches Kapitel widmet.

Sie entdeckte außerdem „Habsburgs Spuren an Sonnenuhren“, wie das letzte Kapitel des Buchs benannt ist. So ist etwa an der Sonnenuhr am Rathaus der schweizerischen Stadt Sursee – neben dem Sensenmann mit dem Stundenglas – der österreichische Bindenschild samt Kaiserlichem Doppeladler zu erkennen. Sie erinnern an die habsburgische Herrschaft, die hier bis 1415 währte. Auch am Koifhus im elsässischen Colmar prangt über dem Einfahrtstor zum ehemaligen großen Lagerhaus der Doppeladler, darüber sind auf Putzresten an der Wand noch Sonne, Mond und Sterne zu erkennen – und ein Stab als horizontaler Schattenwerfer. Als Beispiele im Breisgau nennt sie die Sonnenuhren an der St. Johanneskapelle in Zarten und an der St.-Oswald-Kapelle in Breitnau.

Jeder einzelne Ort, mit genau berechneter Wechselwirkung von Licht und Schatten funktionierende Chronometer, hat tatsächlich eine höchst interessante Geschichte zu erzählen. Diese regen dazu an, zumindest die Orte in der REGIO zu besuchen und selbst zu erkunden. Etwa die Kurparkanlage in Bernau/St. Blasien, wo man einige Stunden mit dem Studium der dortigen Sonnenuhren verbringen kann. Oder Basel, wo „die Uhren sowieso anders gehen“. ewei

Buchcover Sonnenuhren

Sonnenuhren, die Geschichte(n) erzählen
von Renate Frank
Verlag: Gmeiner, 2020
160 Seiten, gebunden
Preis: 18 Euro

 

 

 

Berührende Schicksale

Agnes Gotter aus Offenburg ist siebenfache Mutter, Bäckersfrau und wird der Hexerei bezichtigt. Da sie nicht zugeben will, was man ihr vorwirft, setzt man sie auf den Hackerschen Stuhl: gespickt mit glühend heißen Metallstacheln. Doch selbst diese „peinliche Befragung“ führt nicht zum gewünschten Geständnis – für den Rat der Stadt eine nie zuvor erlebte Situation, die die Herren zum Nachdenken und die Hexenverfolgung in Offenburg 1629 zu einem Ende bringt.

Dieses bewegende Schicksal ist nur eines von vielen, mit denen Thomas Binder Geschichte lebendig werden lässt. Dabei stehen nicht Herrscher, sondern einfache Menschen im Mittelpunkt. Etwa der Leibeigene Dominikus, der um das Jahr 640 herum im Münstertal den Mönch Trudbert erschlug. Oder Josefa Hollinger, die 1852 ihre Heimat Waldshut verließ und nach Amerika auswanderte.

Die Figuren sind historisch belegt, die Schilderungen beruhen auf tatsächlichen Begebenheiten, die in Gerichtsakten oder Ortschroniken festgehalten wurden. Ein fesselndes Stück Heimatgeschichte mit vielen Tipps, wo sich Geschichte erleben lässt: sei es im Trachtenmuseum, am Triberger Galgen oder auf dem Hochschwarzwälder Hirtenpfad. ste

Buchcover Kämpfen Leiden Lieben

Kämpfen. Leiden.Lieben
von Thomas Binder
Verlag: Südverlag, 2020
210 Seiten, Hardcover
Preis: 18 Euro

 

 

 

Kulturlandschaft

In der Vorgebirgszone zwischen Freiburg und Basel treffen Rebstöcke auf Schwarzwaldbäume, Trauben auf bewaldete Kuppen, Kultur- auf Wildpflanzen. Eine alte, aber lebendige Kulturlandschaft, die Werner Bußmann seinen Lesern mit großartigen Fotografien nahebringt – von „Himmelswiesen“, jungen Käuzen oder vom Herbsten früher und heute. Seine Streifzüge durchs Markgräflerland hat der Autor und leidenschaftliche Wanderführer in Kapitel zu den einzelnen Weinlagen gepackt und durch Tourenvorschläge ergänzt. Also: Buch zuklappen und auf in die Weinberge!   ste

Buchcover NaturKultur Weinberge

NaturKultur der Weinberge
von Werner Bußmann
Verlag: Regionalkultur, 2019
112 S., gebunden
Preis: 19,90 Euro

 

 

 

Mordfall

„Eigentlich müsste man das alles aufschreiben“, zitiert Walter Roth den damaligen Freiburger Polizeipräsidenten sowie den Leiter der Ermittlungen der Sonderkommission Erle. Unabhängig voneinander waren sie nach der Festnahme des Mörders der im November 2016 in Endingen getöteten Carolin G. zu dieser Einschätzung gelangt. Roth, damals Pressesprecher des Polizeipräsidiums Freiburg, hat dies während seiner ersten Monate im Ruhestand getan. Das spannende und sorgfältig recherchierte Buch ist nun erschienen und beleuchtet die reale Welt der Polizeiarbeit, die mit der Aufklärung des Falls endete. ewei

Soko Erle Mordfall Buchcover

Soko Erle 
von Walter Roth
Verlag: Hansanord, 2020
240 S., Paperback
Preis: 14,90 Euro

 

 

 

Nietzsche als Sonderermittler

Als im September 1869 in Basel der vierte Kongress der Internationalen Arbeiter-Assoziation tagt, lebt Friedrich Nietzsche bereits in der Stadt am Rheinknie. Der damals 24-Jährige war im Mai des Jahres als außerordentlicher Professor für klassische Philologie an die Universität Basel berufen worden; von diesem Kongress hatte er zwar sicherlich Kenntnis, doch ist er den Teilnehmern wohl nie begegnet: Er bewegte sich in anderen Kreisen.

Der Riehener Autor Wolfgang Bortlik bringt ihn dennoch mit den beim Bürgertum verpönten „Proleten“ zusammen – und lässt ihn zum Aufklärer eines Mordfalls werden: aus Liebe zu Louise, der jungen Ehefrau des Altertumsforschers Johann Jakob Bachofen, in dessen Haus Nietzsche oft zu Gast ist. Louises beste Freundin, die vornehme Leonore Sarasin, hat wiederum Gefallen gefunden an Fritz Hiebler, Arbeiter in der Fabrik ihres Vaters und Begleiter von Michail Bakunin beim Arbeiterkongress. Als Hiebler aufgrund einer Intrige wegen Mordes an einem dubiosen Polizeispitzel festgenommen wird, ist Nietzsches analytisches Denkvermögen gefragt. ewei

Buchcover Allzumenschliches

Allzumenschliches
von Wolfgang Bortlik
Verlag: Gmeiner, 2020
250 Seiten, Paperback
Preis: 14 Euro

 

 

 

Kein Halt. Nirgends 

Wenn Familienpatriarch Salomon beim Festmahl seine KZ-Witze reißt, bleibt seinen Kindern und Enkeln regelmäßig jeder Bissen im Halse stecken. Schon immer. Doch in diesem Jahr besonders: Unlängst ist Sarah, Salomons geliebte Frau, gestorben – und da, findet die am generationenverbindenden Sederabend vor dem Pessach-Fest versammelte Verwandtschaft, seien Scherze nicht angebracht.

Und schon gar nicht die provozierende Art, mit der der Witwer etwa die Fische auf seinem Teller Goebbels und Göring nennt und auch ansonsten bezüglich der Shoa keine Geschmacklosigkeit auslässt. Dass der einzige Auschwitz-Überlebende seiner Familie mit derlei Anekdoten seine Trost- und Sprachlosigkeit zu überdecken sucht, ist den genervten Kindern nicht wirklich bewusst.

Sprachlosigkeit darüber, dass er das Glück und das Trauma des Überlebens einer Hand verdankt, die ihn auf dem Weg zur Erschießung gerade noch rechtzeitig vom Lastwagen schubste. Und darüber, dass er nun seinen letzten Halt verloren hat. Eine wundersam melancholische, vielschichtige Geschichte aus dem jüdischen Viertel Straßburgs. ewei

Buchcover Wir waren eine Gute Erfindung

Wir waren eine gute Erfindung
von Joachim Schnerf
Verlag:
Kunstmann, 2019
144 Seiten, gebunden
Preis: 18 Euro

 

 

 

Foto: © ewei