Tommaso und der Tanz der Geister im Kino Kultur | 11.02.2020 | Erika Weisser

Tommaso ist tief zerrissen: Der einstige amerikanische Skandalregisseur, der jahrelang von einem Exzess zum nächsten raste und dabei völlig aus der Bahn geriet, hat zwar Zuflucht in Rom und im geordneten Familienleben mit seiner deutlich jüngeren Frau Nikki und der kleinen gemeinsamen Tochter Deedee gefunden. Doch auch als alternder Mann ist er ruhelos, will sich nicht damit abfinden, dass sein Dasein nur noch aus Verantwortung, Spiel­platz­konver­sa­tion,­ Einkaufszetteln, Yoga-­Übungen und Therapiestunden für ehemals Heroinsüchtige bestehen soll.

Die täglichen, sich stets wiederholenden Besorgungen langweilen ihn zunehmend, das geräumige Apartment empfindet er als einengend – wie das Atmen auf einem fremden Planeten. Tommaso spürt, dass der unkonventionelle Hedonismus seines Künstler-Egos ihn wieder einholt. Um das Familienleben dennoch zu retten – schließlich ist er mit Nikki und Deedee auch glücklich –, versucht er, beide Welten zusammenzubringen: Er will die Routine nur ein wenig durchbrechen, will auch als Künstler wieder aktiv und kreativ werden, neue Projekte voranbringen.

Er belebt alte Kontakte neu und beginnt, nachts an einer neuen Filmidee zu arbeiten. Doch diese soll in den Eiswüsten Sibiriens umgesetzt werden, was sich als schier unrealisierbar erweist. Zumal ihm auch die Geldgeber plötzlich schwer zu schaffen machen.

Voller Selbstzweifel und heimgesucht von abgründigen und schmerzhaften Träumen, setzt er schließlich sein Privatleben aufs Spiel. Zugunsten des künstlerischen Werks: Das Sibirien-Filmprojekt im Film wird weitergeführt. Dass es auch – allerdings von Abel Ferrara als realem Alter Ego des fiktiven Tommaso – zu Ende gebracht wurde, ist auf der Berlinale 2020 zu sehen: Dort geht „Siberia“ ins Rennen um den Goldenen Bären. Mit Willem Dafoe in der Hauptrolle.

„Tommaso und der Tanz der Geister“ ist der bisher persönlichste Film von Regiemeister Abel Ferrara. Ncht nur, weil er in seinem eigenen Apartment in Rom gedreht wurde und seine Ehefrau und seine Tochter die Hauptrollen spielen – neben Schauspiellegende und Ferraras bestem Freund Willem Dafoe. Besonders ihm und seiner grandiosen Verkörperung des in seiner endlosen Identitätssuche zutiefst gespaltenen Künstlers auf dem schmalen Grat zwischen Fakt und Fiktion ist es zu verdanken, dass der Film zu einem faszinierenden Kinoerlebnis wird.

USA/Italien 2019
Regie: Abel Ferrara
Mit: Willem Dafoe, Cristina Chiriac, Anna Ferrara u.a.
Verleih: Neue Visionen
Laufzeit: 115 Minuten
Start: 13. Februar 2020

Foto: © Neue Visionen