Rathaus will Rot-Radlern grünes Licht geben STADTGEPLAUDER | 12.02.2016

Radler fahren bei Rot über die Ampel. Klingt verboten, ist aber vielerorts erlaubt. In Paris, Straßburg, Basel, Colmar, Mulhouse oder Brüssel zum Beispiel. Dort können Velos an ausgewählten Kreuzungen bei Rot rechts abbiegen oder geradeaus fahren. Köln will nun ebenfalls an den Start gehen. Und Freiburg? Die Stadt prüft, ob die Idee des Freiburger Stadtmagazins chilli umsetzbar ist. Auch Fraktionsvertreter sind angetan. Noch 2016 könnte Rot in Freiburg mancherorts für Radler zu Grün werden.

Vorreiter: In Basel können Radler bereits bei Rot rechts abbiegen.

Härtetest: In Basel wird Rechtsabbiegen bei Rot seit Sommer 2013 an mehreren Kreuzungen erprobt. Die Ergebnisse sind verblüffend.

Es ist der Traum vieler Radler: einfach mal ungebremst durch die Stadt fahren – keine roten Ampeln, keine Autos, keine Fußgänger. Nichts ist schließlich lästiger als anzufahren. Zumindest ein kleiner Teil des Traums könnte in Freiburg noch 2016 wahr werden: legal bei Rot über die Ampel fahren, wenn Platz ist. Die Vorfahrt aller anderen Verkehrsteilnehmer ist dabei zu berücksichtigen. In Paris ist das mittlerweile an 1800 Kreuzungen möglich.

Vom chilli auf Rechtsabbiegen für Radler bei Rot aufmerksam gemacht, gibt sich die Freiburger Stadtverwaltung interessiert: „Die Idee ist nicht schlecht. Es gibt in Freiburg bestimmt Möglichkeiten, das zu testen“, sagt Frank Uekermann, Leiter des Garten- und Tiefbauamtes (GuT). Er möchte dem Beispiel Kölns folgen und sich für ein Pilotprojekt in Freiburg starkmachen. Über den Städtetag will er vom Bundesministerium für Verkehr eine Ausnahmeregelung bekommen. Auch bei der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen (AGKF) möchte er die Idee einbringen.

Köln bemüht sich seit vergangenem Jahr um ein Pilotprojekt. Im Oktober haben sich alle Parteien per Dringlichkeitsantrag an die Stadtverwaltung gewandt. Diese hat jetzt „erste Gespräche mit dem zuständigen Landesministerium geführt“, berichtet Kölns Fahrradbeauftragter Jürgen Möllers auf chilli-Anfrage. Ob eine Genehmigung erteilt werde, sei noch nicht absehbar. Auch in Hamburg, München, Berlin, Dortmund oder Hannover haben Parteien ein Pilotprojekt gefordert.

Angehalten: Bei Rot stehen, bei grün gehen wie hier an der Zähringer Straße könnte bald mancherorts Geschichte sein. In Frankreich ist das Konzept weit verbreitet.

Dass andere Städte bereits Vorstöße gewagt haben, könnte die Sache für Freiburg vereinfachen, sagt Uekermann. „Wenn wir Glück haben, kann das in Freiburg noch dieses Jahr klappen, wenn wir Pech haben, wird’s nie was“, schätzt der GuT-Chef. An ausgewählten Stellen sei das Konzept einen Test wert. Konkrete Kreuzungen kann er noch nicht nennen, doch zwei Grundvoraussetzungen: übersichtliche Kreuzung und ein breiter Radweg.

Wichtig sind Uekermann die Ergebnisse des Pilotprojekts in Basel. Dort wird „Rechtsabbiegen bei Rot für Velos“ seit Sommer 2013 erprobt. Zunächst an 4, mittlerweile an 13 Standorten. Dem chilli liegt eine Zwischenbilanz von Juni 2015 vor. Die Ergebnisse sind verblüffend: „Bisher keine registrierten Unfälle, hohe Akzeptanz bei Fußgängern“, heißt es dort. Und weiter: „Das Rechtsabbiegen bei Rot kann grundsätzlich als unproblematisch eingeschätzt werden, wenn Sichtverhältnisse auf querende Fußgänger gut.“ Verblüffend auch: „Eine Erhöhung der Missbrauchsquote nach der Einführung des freien Rechtsabbiegens durch Geradeausfahrer und Linksabbieger wurde nicht festgestellt, stattdessen ist dieser Anteil zurückgegangen.“ Soll heißen, die Akzeptanz, bei Rot zu halten, ist dadurch sogar gestiegen.

Der Pilotversuch in Basel ist verlängert worden, wie Markus Störr vom Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt dem chilli erzählt. Noch bis Ende 2016 werde weitergetestet. Auch in den vergangenen Monaten habe es „keine nennenswerten Konflikte“ gegeben, informiert Störr.

Farbenfroh: In der Zähringer Straße gibt es Ampeln en masse. So mancher nennt das die „Zähringer Lichtspiele“.

 Alles bunt: In der Zähringer Straße gibt es Ampeln en masse. Manche nennen es die Zähringer Lichtspiele.

Den Wiener Mobilitätsforscher Ulrich Leth überrascht das nicht. Der 32-Jährige erforscht das Rechtsabbiegen bei Rot seit vier Jahren. „Radfahrern wird an Kreuzungen ohne Ampel zugetraut, die Querungsmöglichkeit selbst einzuschätzen. Es ist also völlig unverständlich, wieso bei gleichem Kreuzungsdesign mit Ampel diese Entscheidung auf einmal nicht möglich sein sollte“, sagt Leth. Radfahrer könnten ohne Karosserie und Motorhaube ihre Umgebung viel schneller wahrnehmen, Kreuzungen einsehen, herannahende Fahrzeuge hören. Außerdem seien sie grundsätzlich vorsichtig: „Man ist ohnehin gezwungen, für die anderen Verkehrsteilnehmer mitzudenken, weil man ohne Knautschzone am stärksten von einem Unfall betroffen wäre“, betont der Österreicher.

Dass beim illegalen Queren von Kreuzungen viele Unfälle passieren, weist Leht zurück. Trotz des teilweise sehr verbreiteten Rotfahrens, lese man nichts von Unfällen in der Presse. Offizielle Zahlen dazu gebe es nicht – auch die Freiburger Polizei nennt auf chilli-Anfrage keine näheren Fakten. Dass so mancher Radler auch mal bei Rot über die Ampel radelt, dürfte dort jedoch kein Geheimnis sein. Nicht nur Leth findet: Die Idee legalisiert, was bereits vielerorts Realität ist.

Für Johannes Bruns sind rote Ampeln ein Reizthema. Der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs Deutschland (ADFC) Freiburg ist selbst schon nachts um halb drei an einer roten Ampel verwarnt worden, als er eine Kreuzung überquerte und kein Auto weit und breit zu sehen war. „Das ist Slapstick, man lacht sich kaputt“, wettert Bruns. Die Wartezeiten für Radler seien in Freiburg zu lang. Das führe dazu, dass auch mal bei Rot gefahren wird.

So kann's gehen: In Basel (links), Straßburg oder Paris (rechts) gibt's die Schilder schon.

So kann’s gehen: In Basel (links) und Frankreich (rechts) gibt’s diese Schilder.

Einen Rechtsabbieger-Test an ausgewählten Kreuzungen in Freiburg würde Bruns begrüßen. Das könne das Radfahren sogar sicherer machen: „Wer bei Grün fährt, ohne zu gucken, gefährdet sich mehr als bei Rot mit entsprechender Umsicht.“ Radunfälle an roten Ampeln seien extrem selten. Dem pflichtet Christoph Hammann-Kloss bei: „Die meisten Unfälle passieren, wenn Radler abgelenkt sind. Wer bei Rot über die Ampel fährt, ist aufmerksam“, sagt der Chef des Freiburger Fahrradkurierdienstes Velokurier.

Auch im Gemeinderat stößt das Thema auf offene Ohren: Die Fraktionen Grüne, CDU, Junges Freiburg / Die Partei / Grüne Alternative Freiburg (JPG) sowie Freiburg Lebenswert/Für Freiburg (FL/FF) würden ein Pilotprojekt begrüßen, sofern die Sicherheit aller Teilnehmer gewährleistet ist, teilen sie auf chilli-Anfrage mit.

In den Niederlanden ist Rechtsabbiegen bei Rot für Radler schon seit 1990 möglich. Im US-Staat Idaho dürfen Radler rote Ampeln seit 1982 als Stoppschilder betrachten. Ältere Semester erinnern sich an eine Errungenschaft der DDR: der grüne Pfeil. Er ermöglicht allen Verkehrsteilnehmern bei Rot rechts abzubiegen. In Freiburg ist er nur noch vereinzelt zu finden. Ein Rechtsabbieger-Pilotprojekt könnte das Format zurück ins Rampenlicht rücken. Zurück in die Zukunft.

Text: Till Neumann / Fotos: © tln, Kanton Basel


Update der Redaktion (September 2016): In Ulm gibt es seit 2013 zwei Kreuzungen mit einem grünen Rechtsabbieger-Pfeil für Radfahrer, teilt der Blogger Daniel Doerk aus Osnabrück dem chilli mit. Er berichtet darüber auf seiner Seite www.itstartedwithafight.de. Auch in München gebe es bereits seit 2006 eine solche Kreuzung, so Doerk.

Update der Redaktion (April 2016): In Freiburg gibt es bereits eine Kreuzung, an der man als Ralder legal bei Rot drüberradeln darf:

Freiburg: Hier radelt man legal bei Rot