Rüstungskritiker Jürgen Grässlin hat Waffenhändler vor Gericht gebracht STADTGEPLAUDER | 10.01.2016

So weit waren wir von der Friedens- und Menschenrechtsbewegung noch nie, dass Waffenhändler vor Gericht stehen.“ Der Freiburger Rüstungsgegner Jürgen Grässlin hätte Grund zur Freude: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat nach seiner Strafanzeige gegen sechs Mitarbeiter des Waffenherstellers Heckler & Koch jetzt Anklage erhoben. Darunter auch gegen zwei Geschäftsführer. Die Ermittler werfen den Männern vor, von 2006 bis 2009 an 16 illegalen Lieferungen von Gewehren und Zubehörteilen nach Mexiko beteiligt gewesen zu sein.

Aber Grässlins Freude ist geteilt: Denn er und sein Anwalt Holger Rothbauer hatten im April 2010 insgesamt 19 Anzeigen gegen Mitarbeiter von H&K, des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und des Bundesausfuhramts (BAFA) nach Stuttgart geschickt – wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetz sowie des Verdachts auf Korruption im Zusammenhang mit illegalen Exporten von G36-Sturmgewehren nach Mexiko. Gegen die Behörden erhoben die Staatsanwälte keine Anlage. Deswegen liegt nun bei der Oberstaatsanwaltschaft eine Beschwerde wegen unterlassener Ermittlungen auf dem Tisch. „Eine solche Missachtung von Tatbeständen können wir nicht hinnehmen. Die von uns vorgelegten Dokumente belegen eine engste Kooperation, ein extremes Wohlwollen von BMWi und BAFA gegen Heckler & Koch“, sagt Grässlin.

Er habe Beweise über interne Absprachen, es müsse juristisch geprüft werden, ob sie einen Straftatbestand erfüllen. Denn sie könnten dazu geführt haben, dass von den seit 2002 nach Mexiko exportierten 9000 G36-Sturmgewehren und Kleinwaffen rund 4500 widerrechtlich in vier Unruheprovinzen gebracht wurden, für die ein Waffen-Exportverbot gelte. Außenminister Frank-Walter Steinmeier soll damals Bedenken gehabt haben, die aber – wie bei umstrittenen Waffenexporten oft – mit einer Endverbleibserklärung umgangen wurden. Diese hören sich jedoch meistens nur so an, als ob sie etwas regeln könnten. „Waffen wandern, sie suchen sich ihre Schützen“, sagt Grässlin.

Kämpferischer Pazifist: Jürgen Grässlin

Er könne die Verstrickung der Behörden in diesen „folgenschwersten illegalen Waffendeal in der deutschen Rüstungsexportgeschichte“ nachweisen. Er hat sie offen in seinem jüngsten Buch „Netzwerk des Todes“ dokumentiert. Und er hofft, dass die Oberstaatsanwaltschaft als vorgesetzte Behörde jetzt mehr unternimmt als die Staatsanwaltschaft bisher. Ob sie das tut, ist offen.

Ebenso wie die Reaktion auf seine im Juni 2015 gestellte Anzeige gegen Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, Beamte seines Ministeriums und erneut gegen Heckler & Koch. Die H&K-Geschäftsführung zeigte er wegen des Betrugs in einem besonders schweren Fall an – und die Verantwortlichen des Ministeriums wegen Untreue und Strafvereitelung im Amt. H&K habe die später festgestellten technischen Mängel des G36 vertuscht, indem eine Vorführwaffe manipuliert worden sei und dann wissentlich weiter etwa 180.000 Gewehre an die Bundeswehr geliefert wurden. Das Ministerium, das spätestens seit 2011 von den Mängeln wusste, habe sie dennoch zum vollen Preis gekauft. Der letzte Vertrag datiere aus 2014. Der Oberndorfer Konzern gehört einer kleinen Gruppe von privaten Investoren, die mit 650 Beschäftigten im Jahr 2013 rund 170 Millionen Euro umsetzten.

Grässlin fordert den Rücktritt von Vizekanzler Sigmar Gabriel, weil dieser Wortbruch begangen habe, indem er öffentlich gesagt hatte, er wolle die Waffenexporte restriktiv behandeln. Tatsächlich hätten sich diese in den vergangenen zwei Jahren vervierfacht. Und die Bundesregierung habe mit der Lieferung von Waffen an die Peschmerga im Irak „alle Hürden moralischer und ethischer Verantwortung“ übersprungen. Terror lasse sich nicht mit Waffen bekämpfen: „Der Islamische Staat als erfolgreichste Terror-Organisation der Welt wird durch Bombardements nicht geschwächt, sondern gestärkt.“ Die IS-Milizen hätten zudem große Teile ihrer Waffenarsenale aus Saudi-Arabien bezogen: Deutsche Waffen, die von der Bundesregierung an eine „befreundete“ Diktatur geliefert wurden. Die Saudis haben übrigens seit 2008 eine eigene G36-Lizenz.

Text: Erika Weisser, Lars Bargmann / Foto: © bar