»Traue den Jungs zu, in den Top 7 zu landen« Sport | 17.08.2023 | Philip Thomas

Nach 16 Jahren Profifußball, 535 Pflichtspielen und 200 Toren hat Nils Petersen die Stollenschuhe an den Nagel gehängt. Fürs chilli wirft der Edeljoker a.D. und frischgebackene Buchautor einen Blick in die Kristallkugel und tippt die kommende Saison für den SC Freiburg.

Mitte August an der Achim-Stocker-Straße: In den Katakomben des Freiburger Europa-Park-Stadions bereiten sich die SC-Recken auf das Auftaktspiel der Saison 2023/24 vor. Auch die zuletzt angeschlagenen Offensivkräfte Ritsu Doan und Roland Sallai sind zu Scherzen aufgelegt. Nach Patella-Problemen trainiert der bis zu zehn Millionen Euro teure Neuzugang Junior Adamu endlich mit der Mannschaft. Kapitän Christian Günter ist nach ausgestandenem Unterarmbruch ebenfalls mit von der Partie.

Nils Petersen fehlt in der morgendlichen Männerrunde. „Den Gang vom Parkplatz in die Kabine werde ich vermissen. Durch die Katakomben am Frühstücksraum vorbei weiter zu den Physios, um dort mit Gleichgesinnten zu schwadronieren – das war eine schöne Tradition“, sagt der 34-Jährige. Natürlich werde dort auch mal „dummes Zeug“ erzählt. „Typisch junge Männer eben.“

105 Tore im SC-Trikot, so viel wie sonst niemand, hat Petersen erzielt. Er freut sich nun aber darauf, kurzfristig ausgehen zu können: „Als Fußballprofi bist du immer wahnsinnig darauf fokussiert, alles für deinen Körper zu tun und jedes Prozent herauszukitzeln. Ich lebe immer noch gerne gesund und mache nach wie vor Sport, aber eben nicht mehr ganz so diszipliniert.“ Während seine ehemaligen SC-Kollegen im Kraftraum schwitzen, kann Petersen „jetzt auch mal zwei Aperol trinken“.

»Nachfolger darf mehr liefern«

Im neuen Stadion am Wolfswinkel wird Petersen dennoch zu sehen sein: „Ich habe Dauerkarten gekauft und mir die SC-Spiele im Kalender markiert. Den muss ich jetzt allerdings selbst führen.“ Auch die ersten Punkte sind dort fix eingetragen – gegen Hoffenheim, Bremen und Stuttgart, so Orakel Petersen-Fußballgott, erwischt der SC einen guten Saisonstart: Hoffenheim sei eine Wundertüte, aus dem finanzgespritzten Schwabenländle entführen die Breisgau-Brasilianer einen Punkt. „Wenn der SC aus den ersten drei Spielen fünf Punkte holt, ist das richtig gut“, sagt er.

Alsbald nistet sich der Sport-Club in der ersten Tabellenhälfte ein. „Freiburg ist eine sehr eingespielte Mannschaft im besten Alter. Viele Spieler haben das System Streich völlig verinnerlicht“, erklärt Petersen. Der dienstälteste Trainer der Fußballbundesliga bleibt sich auch diese Spielzeit treu: Hinten steht der SC kompakt, „kann auch dann zu Null spielen, wenn man keinen super Tag hat“. Auf der linken Seite harmonieren Günter und Grifo: „Immer wieder stellen sich Gegner darauf ein, und trotzdem bekommen sie die beiden nicht in den Griff“, so Petersen. Viel würde er nicht verändern, „sondern beibehalten, bewahren und ausbauen“.

Bei Toren aus dem laufenden Spiel heraus darf der SC allerdings noch nachbessern: Fast die Hälfte aller Bundesliga-Tore (24 von 51) schoss Freiburg vergangene Saison nach ruhenden Bällen. „Die Statistik lügt nicht“, kommentiert Petersen und sieht es positiv: „Wir sind stark bei Standards.“ Diese Saison werden es „hoffentlich mehr Tore, weil mein Joker-Nachfolger mehr liefern darf als ich vergangene Saison“.

Sorgen macht sich Petersen darum nicht: „Es gibt genug spannende Einwechselspieler, und Noah Weißhaupt könnte auch von Beginn ran.“ Zumindest kommende Saison dürften die jungen Wilden Petersens Bundesligarekord von 34 Toren nach Einwechselung aber nicht knacken. Er selbst erklärt die Bestmarke so: „Ich war ein reiner Strafraumstürmer. Mein Glück ist, dass ich meist vorne in der Box war – und ab und zu kam halt der Ball vorbei …“

Tabelle mit Nils Petersens Karriere

Mit dem Mix aus Youngsters, Routiniers und Bällen im Strafraum spielt Freiburg erneut auf internationalem Parkett. Zum Tanz bitten unter anderem Liverpool, Villarreal oder der AS Rom. Petersen kann sich einen Kurztrip nach Italien vorstellen. Für das torlose Unentschieden macht er den Trainer der Roma verantwortlich. José Mourinho und Christian Streich an einer Seitenlinie. Kann das gutgehen? „Das wird bestimmt nicht langweilig“, scherzt Petersen.

Laut Kristallkugel bleiben Günters und Höflers Leistungen auch dem Nahen ­Osten nicht verborgen. Millionenschwere Arbeitspapiere aus den Emiraten schaffen es aber nicht mal bis in die Kabine an der Achim-Stocker-Straße. Petersen: „Noch auf dem Parkplatz würden die beiden das zerknüllen. Dafür lege ich die Hand ins Feuer.“

Die abgelaufene Saison beendete der SC auf Platz 5. Zuvor war es Rang 6. Hält diese Form also an? „Ich wünsche es den Jungs natürlich, aber ich vermute, Christian Streich würde mich verteufeln, wenn ich sage: Freiburg wird Vierter. Dann ist noch mehr Druck auf dem Kessel. Ich traue den Jungs aber zu, in den Top 7 zu landen.“

Das ist ein Erfolg. Immerhin lässt der SC laut Petersen so einige Mannschaften hinter sich, die mehr Möglichkeiten haben. „Trotz Erwartungen ist aber niemand böse, wenn Freiburg auch mal wieder Zehnter oder Zwölfer wird“, bremst der Ex-Profi. Die Angst vor dem Abstieg sei nach wie vor in den Köpfen: „Das ist die Freiburg-DNA.“

Losglück sei Dank spielt sich der SC auch im liebgewonnenen DFB-Pokal durch die ersten Runden. „Ich glaube schon, dass wir inzwischen eine Pokal-Mannschaft sind und weit kommen können“, orakelt Petersen. Kurz vor Saisonende wird schließlich das Arbeitspapier von SC-Trainer Streich um das obligatorische Jahr verlängert. Petersen prophezeit: „Die Entwicklung dieser Mannschaft ist noch nicht zu Ende.“

Nachdenkliche Nachspielzeit

Nils Petersen hat in seiner 16-jährigen Karriere als Profifußballer gelernt, zu warten: Warten auf Samstag, warten auf Einsätze, warten auf die eine Flanke. Verbracht hat der SC-Rekordtorschütze die Zeit auch mit Grübe­leien – und diese nun auf 176 Seiten zu Papier gebracht. Darin wirft der 34-Jährige einen reflektierten Blick auf den Traumberuf, berichtet von Privi­legien, aber auch Entbehrung, Disziplin und nicht zuletzt seinem seelischen Tiefpunkt im sportlichen Höhenflug. Das Warten hat sich also gelohnt.

Buch-Cover Bank GeheimnisseBank-Geheimnis

Nils Petersen
Verlag: Herder, 2023
176 Seiten, Klappenbroschur
Preis: 18 Euro

Fotos: © freepik // © picture alliance/dpa | Tom Weller