EM 2024: Jetzt geht’s los – Kurz vor Anpfiff: Das sagen die Fans der deutschen Gruppengegner Sport | 13.06.2024 | Lars Bargmann, Philip Thomas
Schottland, Ungarn, Schweiz: Das sagen Landsleute der deutschen Gruppengegner zur EM.Am 14. Juni startet die 17. Europameisterschaft in Deutschland mit dem Spiel des Gastgebers gegen Schottland. Die Deutschen haben den Titel drei Mal gewonnen, der jüngste Erfolg ist allerdings schon 28 Jahre her. Wer erinnert sich nicht an Oliver Bierhoffs Golden Goal in der Verlängerung gegen die Tschechen? Die Gruppengegner heißen jetzt neben Schottland, Ungarn und Schweiz. Deren Fans haben wir zu den Chancen ihrer Teams vor die Schreibblöcke geholt.
»Harte Arbeit zahlt sich aus«
Seit zwölf Jahren lebt die Schottin Judith Ann Reumont schon in Deutschland. Erst in Aachen – bei der Alemannia war sie oft im Stadion –, jetzt im Schwarzwald. Auch im neuen Europa-Park-Stadion war sie schon ein paar Mal: „Ich liebe einfach Fußballschauen.“ Ein bisschen ist sie nun auch SC-Fan geworden.
Auf die EM ist sie gut vorbereitet: Ein Schottenrock ist gekauft, ein Trikot, eine Basecap. Reumont ist Grundschullehrerin und die Kinder ihrer Klasse können mittlerweile auch die schottische Hymne singen. Fürs letzte Gruppenspiel gegen Ungarn am 23. Juni in Stuttgart hofft sie mit ihrem Mann noch Tickets zu bekommen. Ihr Bruder wird dann extra aus Schottland anreisen. „Gegen Ungarn tippe ich ein 1:0 für uns. Wir haben kein Starensemble, aber wir machen harte Arbeit und das zahlt sich aus“, sagt die 51-Jährige. Beim Eröffnungsspiel tippt sie ein 2:1 für Deutschland. „Aber dann sind wir immer noch happy. Wir Schotten sind ja ein kleiner Fisch und Deutschland ist ein Wal.“ Allerdings hätten die Schotten keinen Druck: „Der ganze Druck liegt auf Deutschland.“
Zwischen Stuttgart und München fahren die Schotten mit ihren Fans – der Tartan Army – nach Köln, wo ihre Landsleute 2:0 gewinnen. Die Schotten haben sich erst vier Mal überhaupt für die EM qualifiziert, 2021 trotzten sie dem großen Nachbarn England ein 0:0 ab, verloren aber gegen Tschechien und Kroatien. Aus in der Vorrunde. Wenn Reumont mit ihren Tipps Recht hat, geht es dieses Mal also mindestens bis ins Achtelfinale. Dann hätte das Team um Kapitän Andrew Robertson (Liverpool) und Scott McTominay (Manchester United) etwas Historisches geschafft. Und die Tartan Army würde wieder eskalieren.
»Können Viertelfinale packen«
1953 schlug Ungarns „Goldene Elf“ die englischen „Three Lions“ im Wembleystadion mit 6:3. Georg Sabo verfolgte die Partie damals an einem kleinen Radiogerät in der alten Heimat. „Die Tore, die Aufstellung – das ist mir bis heute genau im Gedächtnis geblieben. Der Reporter hat diese Euphorie nur mit seiner Stimmlage transportiert“, erinnert sich der 81-Jährige gerne zurück.
Auch die aktuelle ungarische Nationalmannschaft verfolgt Sabo: „Ich schaue alle Spiele und habe die Mannschaft analysiert.“ Er ist sich sicher: „Bei der EM wird Ungarn für eine Überraschung sorgen. Sie werden staunen.“ Vielleicht werde Ungarn nicht ins Finale einziehen, „aber das Viertelfinale können sie packen.“
Ungarn sei eine aggressive und stolze Mannschaft, die jeden Gegner unter Druck setzen kann. Spielstil und Mannschaftskomposition erinnert Sabo an den SC Freiburg. „Sie setzen auf die Jugend, haben aber auch ältere, erfahrene Spieler.“ Trotz namhafter Kicker wie Ungarn-Kapitän Dominik Szoboszlai (Liverpool), Milos Kerkez (AFC Bournemouth) oder Roland Sallai (SC Freiburg) – einen Lieblingsspieler hat Sabo nicht. „Die sind alle gut“, kommentiert er.
Gegen die Schweiz gewinne Ungarn folglich mit 2:0. Gegen Schottland tippt Sabo auf 3:1. Und Deutschland? „Das möchte ich nicht prognostizieren. Ich habe dann zwei Herzen nebeneinander“, sagt Sabo, der 1967 nach Deutschland und 1977 nach Freiburg kam.
Die Spiele schaut Sabo mit Freunden und Nachbarn im Mooswald. „Jeder bringt etwas zu essen mit. Wir stellen Bierbänke auf die Straße und einen riesengroßen Fernseher auf den Balkon.“ Die Anstoßzeiten sind für den Betreiber der Freiburger Minigolfanlage im Seepark allerdings nicht ganz optimal: „Ich muss gucken, dass ich dann irgendwie früher nach Hause abhaue.“
»Überschätzt«
Der Schweizer Heinz Treuer glaubt nicht an ein Weiterkommen nach der Vorrunde. „Unsere Nati wird überschätzt.“ Zwar würden die Eidgenossen auf den defensiven Positionen gut besetzt sein, aber der Sturm „ist eigentlich nicht existent“. Schon die Qualifikation mit nur einem zweiten Platz in der Gruppe hinter Rumänien sei „miserabel“ gewesen.
Sein Favorit sind die Deutschen, gegen die die Schweizer, so sein Tipp, ein klares 0:3 kassieren werden. Auch gegen die Ungarn steht auf seiner Tippliste ein 0:1. Den einzigen Punkt würde sich das Team um so klangvolle Namen wie Xhaka, Akanji („der spielt bei Manchester City immer viel besser als in der Nati“), Zakaria und den beiden in Deutschland gut bekannten Keepern Sommer und Kobel gegen die Schotten erspielen. Also: Aus in der Vorrunde oder bestenfalls Platz drei, der vielleicht fürs Weiterkommen reicht. Und das alles sei „keine Tiefstapelei“.
Die Deutschen sieht der Fußballkenner – Treuer hat früher über Fußballthemen in Zeitungen geschrieben – ebenso als Favorit wie die Engländer und die Franzosen. Die Schweizer würden als kleines Land immer etwas neidisch auf die Deutschen schauen und ihnen nichts Gutes gönnen. „Wenn die Deutschen verlieren, hat der Schweizer ein Lächeln im Gesicht.“
Treuer ist seit er denken kann Fan vom FC Basel, ein gutes halbes Dutzend aktueller Nationalspieler hat eine Basler Vergangenheit. Der 70-jährige Lehrer ist aber auch oft beim SC Freiburg im Stadion. „Ein sehr sympathischer Verein mit einer guten Philosophie und natürlich lange mit Christian Streich als Charakterfigur.“ Anders als in Deutschland herrsche in der Schweiz keine große Euphorie vor der EM. Vielleicht ändert sich das ja noch, wenn Heinz Treuer mit seinen Tipps falsch liegt und die Eidgenossen doch einen der ersten beiden Plätze erreichen. Auch dann hätten sie sicher ein Lächeln im Gesicht. Egal, wie die Deutschen gespielt haben.
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