Unibibliothek polarisiert weiter: Studenten kommen in Scharen, Mitarbeiter klagen STADTGEPLAUDER | 16.06.2017

Modern, innovativ, transparent – so bejubelt die Uni Freiburg ihre Bibliothek. Die Zahlen geben ihr auf den ersten Blick Recht: Bis zu 10.000 Besucher strömen täglich in den „geschliffenen Diamanten“. Doch im Inneren des Edelsteins herrscht auch zwei Jahre nach der Eröffnung noch dicke Luft. Mitarbeiter klagen über Kopfschmerzen, trockene Augen, Lärm und zu wenig Personal. Das Bauamt bestätigt, dass es juristische Auseinandersetzungen gibt. „Hier wurde zu sehr auf Design geachtet und zu wenig auf Funktionalität“, kritisiert ein UB-Kenner.

Hingucker: Die UB glänzt und spiegelt. Doch hinter der Fassade ist dicke Luft.

53 Millionen Euro hat die UB gekostet. Spätestens seit November ist der Glastempel im Herzen der Stadt bundesweit bekannt. Denn die NDR-Satire-Sendung Extra 3 hat die drei irrsten Universitätsbibliotheken Deutschlands gekürt. Auf allen drei Plätzen landete … Freiburg. Witzig gemacht, wenn auch etwas überspitzt.

Dem Architekten Heinrich Degelo ist das Pannen-Ranking vielleicht gar nicht so unrecht. „Gute Architektur polarisiert“, sagte der Basler zum UB-Start. Die Gründe des Extra-3-Triples: eine Tür, die nicht aufgeht, fehlende Sitzplätze und eine blendende Fassade (siehe Pannen-Chronik unten).

Der Basler Architekt Heinrich Degelo

Am Ansturm auf das vor zwei Jahren eröffnete Gebäude hat’s nichts geändert. Bis zu 10.000 Besucher kommen täglich in die rund um die Uhr geöffnete UB. „In Spitzenzeiten sind es mehr als 14.000“, berichtet Bibliotheks-Leiterin Antje Kellersohn. Sie erzählt von positiven Rückmeldungen aus allen Fakultäten. Die UB sei ein „großartiges Gebäude“, eine der modernsten Bibliotheken Deutschlands, wenn nicht Europas.

Doch die Kritik ist nicht verstummt. So berichtet ein Mitarbeiter der Bibliothek, dass die Stimmung bei den 250 Kollegen durchwachsen ist. Denn die Arbeitsbedingungen seien schwierig. Lärm und trockene Luft machten den Angestellten zu schaffen. Kontaktlinsenträger hätten mit geschwollenen Augen zu kämpfen. So mancher trage deswegen wieder Brille. Auch Kopfschmerzen seien Folge des schlechten Klimas und hohen Geräuschpegels.

Ist es wirklich so schlimm? Studenten kommen ja zu Tausenden. „Das kann man nicht vergleichen. Die sind keine 40 Stunden die Woche hier“, sagt der Mitarbeiter. Wer kürzer da sei, habe damit weniger zu kämpfen. Außerdem sei es einfach hip, in die UB zu gehen – unabhängig vom Arbeitsklima. Ein anderer Mitarbeiter lässt kein gutes Haar am modernen Prachtbau: „Da kann man sich nur an den Kopf langen, was hier gebaut wurde.“ „Ein Riesenquatsch für eine Riesensumme“, findet er.

Das chilli geht dem Klima auf den Grund: Wir machen uns an einem schwül-heißen Junitag mit einem Luftfeuchtigkeitsmesser auf in die UB. Mit dem Hygrometer messen wir in allen fünf Stockwerken. Das Ergebnis: 36 bis 39 Prozent Luftfeuchtigkeit. Keine beunruhigenden Zahlen, sie entsprechen denen im KG II der gegenüberliegenden Uni. Idealwerte liegen zwischen 40 und 60 Prozent.

38,4: Das Hygrometer, mit dem wir die Luftfeuchtigkeit in der UB messen.

Auch die UB-Leitung scheint die Luft aber umzutreiben. Vor etwa einem halben Jahr hat es Messungen gegeben, berichtet ein Student, der viel Zeit dort verbringt. Darauf angesprochen, verneint das Bauamt der Universität die Prüfungen nicht: „Die Luftqualität ist weitgehend in Ordnung“, schreibt Unibauamtsleiter Karl-Heinz Bühler auf chilli-Anfrage. Und weiter: „Eine Befeuchtung der Luft sei nicht vorgesehen und auch bei vergleichbaren Landesgebäuden nicht üblich.“

Ein chilli-Informant sieht das anders: „Die Fassade war zu teuer, deswegen wurde am Lüftungssystem gespart.“ Auch der Student, der prinzipiell gerne in die UB geht, schlägt in die Kerbe: „Es wurde hier zu viel auf Design geachtet und zu wenig auf Funktionalität.“ Optisch findet er die UB überragend. In Sachen Benutzerfreundlichkeit ausbaufähig.

Die Technik im Gebäude ist komplex. An 7000 Punkten werden Beleuchtung, Temperatur und Luftqualität gemessen. Die Ergebnisse gehen an die technische Zentrale im Institutsviertel. Am einfachsten lüftet es sich mit Fenstern. Doch die sind selten im Glaskasten, der als geschlossenes System funktioniert.

Für Luftzirkulation in Büros sorgen Schlitze am Boden. Diese lassen jedoch auch Geräusche durch. Aus einem Chefbüro seien deswegen Mitarbeitergespräche mitzuhören gewesen, wird berichtet. Als man die Lücken schloss, sei die Luft zu schlecht gewesen. Also wurde investiert und nachgebessert. Auszubügeln gab es so manches: die langsame Drehtür, der gebrochene Boden am Eingang, das Sonnensegel als Blendschutz an der glänzenden Fassade.

Belegt: Die Pausenuhren sollen für mehr freie Plätze sorgen.

Das größte Lärmproblem gibt es im Erdgeschoss, bestätigen mehrere Quellen. Vor allem die Mitarbeiter an der Infotheke würden darunter leiden. „Eine Bahnhofshalle ist bei Hochbetrieb ruhig dagegen“, erzählt einer. Selbst wenn im Café Libresso ein Löffel runterfalle, sei das an der Infotheke zu hören. Zu allem Übel seien auch die Glasscheiben der Fassade zu dünn und damit akustisch schlechter als geplant. Das sei bei Vermessungen rausgekommen, berichtet ein Insider.

Dass es Probleme mit der Lautstärke gibt, bestätigt Karl-Heinz Bühler. „In Stoßzeiten ist der Lärmpegel, bedingt durch die hohen Nutzerzahlen, höher als erwartet“, schreibt er. Es seien Maßnahmen geplant, um die Situation zu verbessern. Diverse Vorschläge seien auf dem Tisch, aber noch zu diskutieren.

In Mitarbeiterkreisen wird eine bessere Abtrennung als Lärmschutz gewünscht. Doch das widerspricht dem offenen Raumkonzept. Und das ist wiederum auch nötig. Denn die Luft muss zirkulieren im geschlossenen Gebäude. Frische Luft kommt aus dem Boden, abweichen kann die verbrauchte ganz oben – deswegen die freien Durchgänge vom EG bis ans Dach.

Architekt Heinrich Degelo ist offenbar wenig kompromissbereit. Der Basler wehrte sich bereits gegen Änderungen an der Schrägtür beim Café Libresso, die Studenten mit Handicap nicht öffnen konnten. Gibt es Streit mit dem Basler? „Das Verhältnis ist professionell. Juristische Vorgänge werden zwischen den Vertragspartnern geklärt“, schreibt Bühler dem chilli. Soll heißen: Es befassen sich auch Anwälte mit den Geburtsfehlern.

Im Fokus: Die einst schräge Seitentür, die dauernd klemmte und jetzt gerade ist.

Dass regelmäßig nachgebessert werden muss, überrascht Bühler nicht: Das sei bei einem Gebäude dieser Größenordnung mit so hohen Nutzerzahlen nicht immer zu vermeiden. Wie viel die Optimierungen bisher gekostet haben, verrät er nicht. Nur so viel: „Es sind weitere Verbesserungen geplant. Die Kosten werden den Verursachern zugeordnet.“

Möglicherweise stehen auch Nachbesserungen in Sachen Überschwemmungsgefahr an. Ein Insider berichtet, dass unter der Infotheke Sandsäcke liegen. Denn bei viel Regen könne Wasser ins Gebäude laufen. Auch das verneint Bühler nicht. „Die Überschwemmungsgefahr ist sehr gering, da bereits bei der Planung extreme Niederschlagsmengen berücksichtigt werden mussten“, schreibt er auf Anfrage. Groß dimensionierte Rinnensysteme könnten auch sehr hohe Niederschlagsmengen ableiten.

Jedoch nicht die dicke Luft: Die Stimmung unter den Mitarbeitern scheint gereizt. Gerade an der Infotheke soll es immer wieder zu lautstarken Konflikten kommen. Von zu wenig Personal berichtet eine Angestellte, auch ausfallende Elektronik und Beschwerden über Baumängel beschäftigten die Mitarbeiter. Die UB-Leitung möchte sich dazu nicht äußern. Die Frage zur Stimmungslage bleibt unbeantwortet.

„Das offene Raumkonzept funktioniert nur, wenn keiner drin ist“, sagt der UB-Kenner überspitzt. Hauptproblem der alten UB sei schlechte Luft gewesen. Dass das nun wieder Probleme bereite, sei etwas krank.

Pannen-Chronik

  • Mai 2014 Die Fassade blendet. Die Uni spannt Sonnensegel.
  • Juli 2015 Die UB wird eröffnet. Statt 40 kostet sie 53 Millionen Euro.
  • Juli 2015 Kurz nach Start bricht der Steinboden im Eingangsbereich wegen einer schweren Lieferung. Die UB legt Holzplatten aus und bessert sieben Monate später nach.
  • Oktober 2015 „Oase der Entschleunigung“ nennt fudder.de die Drehtür am Haupteingang. Die UB optimiert, die Tür geht schneller.
  • Februar 2016 Die 1200 Arbeitsplätze der UB sind ständig belegt. Rote Pausenuhren sollen helfen.
  • Mai 2016 Die Fassade ist undicht. Im Gebäude stehen Eimer, um Regenwasser aufzufangen.
  • Juli 2016 Die schräge Tür beim Café Libresso ist dauernd defekt. Ihr Motorantrieb fällt aus. Gegen den Willen des Architekten Heinrich Degelo wird sie durch eine senkrechte ersetzt.
  • November 2016 Extra 3 kürt Deutschlands irrste UBs. Freiburg holt das Triple.

Text: Till Neumann / Fotos: © Till Neumann, Screenshot NDR, Kathrin Eyer