„Super cooles Konstrukt“ – Freiburger Mobilfunkanbieter Wetell enteignet sich selbst Wirtschaft | 20.07.2022 | Till Neumann

Eine bunt gekleidete Menschen- Gruppe

Eine schrille Hochzeit hat das Start-up Wetell im Juni inszeniert. Die Jungunternehmer haben „ihre Werte geheiratet“, wie sie stolz verkünden. Hinter der glamourösen Aktion in Dragqueen-Kostümen steht ein wegweisender Schritt: Der nachhaltige Mobilfunkanbieter hat sich zum Purpose-Unternehmen gemacht –und damit selbst enteignet.

„Whooohooo: Wir sind Purpose Unternehmen!“, schreiben Wetell auf ihrer Seite. Die Firma möchte damit nach innen und außen klarstellen, dass sie es ernst meint mit ihren hohen Ansprüchen in Sachen Nachhaltigkeit, Fairness und Transparenz.

„Wir wollen zeigen, dass es auch nachhaltig funktionieren kann“, betont Andreas Schmucker. Der 38-Jährige ist einer der vier Geschäftsführer des Start-ups Wetell. Schmucker kommt aus der Solarbranche. Jetzt sitzt er mit blauer Cap auf der grauen Couch vor dem Kreativpark in der Freiburger Lokhalle. Seine Begeisterung sprudelt in Worten aus ihm heraus: „Purpose – das ist ein super cooles Konstrukt – es macht Rechtschaffenheit rechtsbindend.“

Als Purpose-Unternehmen will Wetell dem Turbokapitalismus die rote Karte zeigen. Purpose-Economy lässt sich als „zweckorientierte Wirtschaft“ übersetzen. Der Status schützt davor, zum Spekulationsobjekt oder Opfer von Großinvestoren zu werden. Die Firma wird dafür in ein sogenanntes Verantwortungseigentum überführt. Wesentliche Entscheidungen dürfen dann nur noch von Menschen getroffen werden, die in der Firma arbeiten. Gewinne der Firma müssen direkt in den Betrieb investiert werden.

Da es bisher in Deutschland keine Rechtsform für Purpose-Unternehmen gibt, arbeitet Wetell mit der Purpose-Stiftung aus Hamburg zusammen. Sie bekommt ein Prozent der Unternehmensanteile. Damit hat sie das Recht und die Pflicht zu kontrollieren, dass die Mobilfunker sich an die selbst auferlegten Regeln halten. Die Unternehmenssatzung hat die Firma für den Schritt umgeschrieben. Ein Notar hielt die Änderungen bei der Wertehochzeit fest.

Auch wenn der Schritt ein seltener ist, es gibt namhafte Vorbilder: Auch die grüne Suchmaschine Ecosia, Taifun- Tofu aus Freiburg oder Einhorn Kondome aus Berlin sind bereits Purpose-Unternehmen. Genau wie das Öko-Versandhaus Waschbär. „Sinn statt Gewinn“ will die Stiftung ermöglichen. „Eine gerechtere und nachhaltigere Wirtschaft ist möglich“, schreibt das internationale Netzwerk auf seiner Website. 

Auch bei Wetell glaubt man an den Wandel: „Wir wollen die Branche umdrehen, einen Paradigmenwechsel schaffen“, betont Schmucker. Sein Start-up ist das einzige Mobilfunkunternehmen in Deutschland, das diesen Weg eingeschlagen hat. Bei den Mitarbeitenden seien Freudentränen geflossen, als die Chefs sie über den Schritt informierten, berichtet Schmucker. „Es war uns selbst nicht klar, wie heftig das Instrument ist“, erzählt er. 

Sein Unternehmen ist seit 2020 am Markt. Es verspricht seinen Kunden Klimaschutz, Fairness und Transparenz. Rund 9000 Kunden sind mittlerweile dabei, berichtet Schmucker. 500 bis 700 Neukunden pro Monat kämen hinzu. Anfang 2023 möchte Wetell den Break-Even-Point von 15.000 Kunden erreichen. Ab dann könnte die Firma schwarze Zahlen schreiben.

Foto: © Florian Forsbach