Zoff mündet in Kompromiss: Freiburger Rekordhaushalt erhöht Gewerbesteuer STADTGEPLAUDER | 14.05.2017

Abkassieren bei der Wirtschaft: Der Freiburger Gemeinderat hat in seinem neuen Rekordhaushalt mit einem Volumen von fast zwei Milliarden Euro auch eine Erhöhung der Gewerbesteuer beschlossen – der Hebesatz klettert um 10 Punkte auf 430 Prozent. Das soll ab kommendem Jahr 3,4 Millionen Euro mehr in die Kasse von Finanzbürgermeister Otto Neideck (CDU) spülen. Aufs Haushaltsjahr 2018 gerechnet, sind das rund 3,6 Promille der Einnahmen. Auf der anderen Seite gaben die Fraktionen kurz vor Schluss noch einmal 2,4 Millionen Euro mehr aus als geplant.

Die Erhöhung der Gewerbesteuer (siehe Infobox) war einer der bittersten Zankäpfel in den Debatten: Nachdem die Grünen angesichts der Neuverschuldung von mindestens 70 Millionen Euro mit einer sofortigen Erhöhung um 20 Punkte auf 440 Prozent vorgeprescht waren – was Freiburg in Baden-Württemberg zum teuersten Standort überhaupt gemacht hätte –, Unabhängige Listen (UL) und „Junges Freiburg, die Partei, Grüne Alternative“ (JPG) mitgezogen hatten, kam am Ende ein von der SPD ins Spiel gebrachter Kompromiss heraus: Die Erhöhung gilt erst ab 2018 und liegt nun bei 430 Prozent. So viel also, wie Karlsruhe oder Mannheim auch nehmen.

CDU, Freie Wähler, die Fraktionsgemeinschaft Freiburg Lebenswert/Für Freiburg (FL/FF) und die FDP stimmten dagegen. „Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen und nahezu vorhandener Vollbeschäftigung, ist die Erhöhung von Steuerlasten das völlig falsche Signal“, sagte etwa Freie-Wähler-Fraktionschef Johannes Gröger. SPD, Grüne, UL und JPG stimmten indes dafür und hatten die Mehrheit.

Mehr Steuern: Unternehmen sollen mehr Geld in die Stadtkasse einzahlen.

Die Prognose für die Gewerbesteuereinnahmen im laufenden und kommenden Jahr wurde übrigens mitten in die Beratungen noch um 20 auf 378 Millionen Euro erhöht. Freiburg verdient gut an seinen Firmen: 1996 nahm die Stadt noch 66 Millionen Euro ein, 2006 waren es schon knapp 120 Millionen, vor zwei Jahren mehr als 180 Millionen. Aber Freiburg investiert auch massiv in seine Infrastruktur.

Wirtschaftsverbände wie der Handelsverband, die Handwerkskammer, die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU Freiburg, die Dehoga, die Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein (IHK) oder auch die Werbegemeinschaft „Z’ Friburg in der Stadt“, die Händler in der Innenstadt vertritt, hatten die Pläne scharf kritisiert. Sie könne sogar in die falsche Richtung zielen: Denn nach der jüngsten Erhöhung der Gewerbesteuer 2013 sei etwa die Zahl der Handwerksbetriebe bis heute um 110 gesunken.

Zudem sehen viele kleine Einzelhändler durch Frequenzrückgänge und steigende Mieten eine „existenzbedrohende Belastung“ auf sich zukommen, sodass mögliche Abwanderung und Betriebsaufgaben langfristig sogar für weniger Geld in den Kassen der Stadt sorgen würden, heißt es einer Erklärung der IHK.

Bei vielen Umlandgemeinden ist ein tieferer Griff in die Unternehmenskassen derzeit kein Thema. „Eine Erhöhung ist in der nächsten Zeit nicht geplant, vielmehr setzt die Stadt Müllheim auf steuerliche Mehreinnahmen durch die Ansiedlung weiterer Unternehmen und arbeitet derzeit an einer entsprechenden Ansiedlungsstrategie“, heißt es auf Anfrage des business im Breisgau. In Müllheim liegt der Satz bei 350. In Bad Bellingen liegt er bei 360. Für Bürgermeister Christoph Hoffmann sind „in Zeiten der Rekordsteuereinnahmen Gewerbesteuererhöhungen absolut tabu“.

Sein Kollege Michael Benitz in Staufen – wo aktuell 340 Prozent gelten – findet, dass eine „gesunde Konkurrenz unter den Gemeinden“ für alle Beteiligten von Vorteil ist: „Wenn eine Firma aus Freiburg zu uns nach Staufen kommen will, ist sie willkommen.“ In Neuenburg bei Bürgermeister Joachim Schuster liegt der Hebesatz aktuell bei 360 Prozent. „Mich hat aber bei Ansiedlungsgesprächen noch nie ein Unternehmer nach dem Hebesatz gefragt.“ Wichtiger für ansiedlungswillige Unternehmen seien etwa die verkehrliche Infrastruktur oder die Attraktivität des Standorts für die Arbeitskräfte. Die Stadt hat nicht vor, den Hebesatz zu verändern.

In Bad Krozingen wurde der Hebesatz erst Ende 2015 um stolze 60 Punkte (!) auf 400 Prozent angehoben. „Die Schmerzgrenze lag eigentlich bei 380 Prozent“, heißt es aus dem Büro von Bürgermeister Volker Kieber. Da aber jedes zweite in der Kurstadt ansässige Unternehmen aus dem Gesundheitssektor komme und keine Gewerbesteuer zahlen muss, habe sich der Gemeinderat so entschieden. Bad Krozingen hat ein vergleichsweise geringes Gewerbesteueraufkommen: 2016 lag es bei 5,3 Millionen Euro.

Fast die Hälfte dieser Einnahmen, 2,4 Millionen Euro, haben die Fraktionen in Freiburg auf der Zielgeraden der Beschlussfassung überraschenderweise noch zusätzlich hingeblättert. Trotz der 70 Millionen Euro an neuen Schulden, trotz des fest budgetierten Verkaufs von 37 Millionen Euro an Tafelsilber. So wird etwa der Skatepark Dietenbach weiter ausgebaut (200.000 Euro), Bewegungsart bekommt 100.000 Euro für ein Tanzkonzept, die Stadt bekommt doch noch einen Pop-Beauftragten (50.000 Euro), „Die Schönen der Nacht“ erhalten 14.000 mehr, das Jugendbildungswerk 30.000, Artik 50.000, Tritta 75.000, der Slow-Club 15.000. Eine Million soll zudem in den barrierefreien Umbau der Innenstadt fließen.

Nicht nur vereinzelte Unternehmenschefs werden sich angesichts der Spendierlaune des Gremiums und der eigenen, höheren Abgabenlast an den Kopf fassen. Auch der nächste Freiburger Doppelhaushalt 2019/2020 wird nach heutiger Lage übrigens einer mit Neuverschuldung sein. Vielleicht diskutiert Freiburg dann mal wieder über die Grundsteuer.

Text: Lars Bargmann / Illustration: © istock.com/sorbetto

Info Gewerbesteuer

Der Gewerbesteuermessbetrag beläuft sich auf etwa fünf Prozent des Unternehmensgewinns. Diese Summe wird mit den kommunalen Hebesätzen multipliziert. Bei einem Hebesatz von 430 Prozent muss das Unternehmen also 21,5 Prozent seines Gewinns an die Kommune abgeben. Die wiederum kann etwa 80 Prozent der Steuer für sich behalten.