Zoff um Quartiersarbeit: chilli vor Ort beim Bürgertreff Brühl-Beurbarung STADTGEPLAUDER | 16.11.2016

Wildwuchs oder Vielfalt? Die Stadtverwaltung will die Quartiersarbeit in Freiburg umkrempeln. Denn laut einem vom Gemeinderat angeschobenen Gutachten herrscht in den zwölf Freiburger Quartieren „Wildwuchs“. Das Rathaus will deshalb intensiver steuern, das Heft selbst in die Hand nehmen. Zum Unmut so mancher Betroffenen, die von der Zerstörung des Vertrauens ins Ehrenamt sprechen. Aber was machen Quartiersarbeiter eigentlich? Das chilli hat sich das im Stadtteil Brühl-Beurbarung näher angeschaut. Und dabei einen lustigen Franzosen, einen tätowierten Tausendsassa und einen emsigen Hochdorfer entdeckt. Nach der vielstimmigen Kritik wird es am morgigen Donnerstag ein Gespräch zwischen Stadtspitze, Gutachtern und den Trägern der Quartiersarbeit geben.

Quartiersarbeiter: Roman Götten und Joachim "Binni" Binninger beim Bürgertreff.

Quartiersarbeiter: Roman Götten und Joachim „Binni“ Binninger beim Bürgertreff

Mittwochabend. 18 Uhr. Rund 15 Brühler sitzen im Stadtteiltreff am Tennenbacher Platz zusammen. Es wird geredet, gescherzt, gelacht. Eine der Besucherinnen des wöchentlichen Treffs ist Marina Moritz. „Ich habe hier eine neue Heimat gefunden“, schwärmt die 57-Jährige im Wollpullover (Bild unten). Die Besucher des Stadtteiltreffs seien eine eingeschworene Gemeinschaft. Man trinke nicht nur ein Bier zusammen, man helfe sich auch, berichtet die Frau mit den leicht angegrauten Haaren.

Vor vier Jahren ist Marina Moritz nach Freiburg gezogen. Anschluss zu finden, sei schwer gewesen. Bis sie eines Tages am Stadtteiltreff vorbeilief und Leute tanzen sah. „Ich bin einfach reingekommen“, erinnert sie sich. Und wurde mit offenen Armen empfangen. Mittlerweile ist sie Stammgast am Tennenbacher Platz. Moritz kommt nicht nur mittwochs zum Bürgertreff, sondern kocht auch für die Bewohner: Jeden Dienstag ist Mittagstisch im Stadtteilzentrum. Freiwillige Helfer servieren dann von 12 bis 13.30 Uhr allen Besuchern eine warme Mahlzeit. Drei Euro verlangt das Team dafür. Moritz ist das viel mehr wert: „So habe ich eine Aufgabe, kann Kontakte knüpfen.“

Wie wichtig solche Angebote sind, weiß auch Joachim Binninger. Der immer zu einem Spruch aufgelegte Mann will von allen nur „Binni“ genannt werden. Seit 2008 ist er Teil des Teams, der 60-Jährige wohnt nebenan. „Der Stadtteiltreff hier ist sehr wichtig, nicht nur damit ich Arbeit habe“, sagt Binni und lacht. Er steht an diesem Mittwochabend hinter dem Tresen und schenkt Getränke aus. Sein Stadtteiltreff-Shirt ist so grau wie sein Bart. Der Unterarm ist tätowiert, das Lachen schelmisch. „Wir machen viel miteinander hier im Quartier“, sagt Binni. Der Zusammenhalt werde immer besser: „Das hier ist ein zentraler Punkt. Man kann hinstehen, quasseln, quatschen.“

Bewohnertreff: Mittwochabend trifft sich das Viertel in geselliger Runde.

Bewohnertreff: Nicht nur Marina Moritz (rechts) ist Stammgast beim Bürgertreff.

Neben Binni steht Roman Götten. Der Leiter des Treffs trägt an diesem Abend einen blauen Pulli mit dem Aufdruck „Hochdorf“ und spricht mit vielen Gästen. Er wohnt zwar nicht im Viertel, ist aber schon seit 22 Jahren in Brühl-Beurbarung aktiv und damit bestens vernetzt. Etwas mehr Ruhe hat er am Montagvormittag bei der Sprechstunde im Stadtteiltreff. „Manchmal ist recht viel los, manchmal weniger“, berichtet der Sozialarbeiter. Es sei wichtig, eine Anlaufstelle zu bieten, auch für ganz praktische Anliegen: Besucher bekommen Infos über ihr Viertel, können kopieren, das Wlan nutzen. Auch das Bücherregal am Tennenbacher Platz wird vom Stadtteiltreff aus betrieben. Der Saal des Treffs kann gemietet werden.

Das Wochenprogramm bietet neben kochen und tanzen auch gärtnern, Gymnastik oder Filmabende für Jüngere. „Letzte Woche waren 60 Kinder da“, berichtet Götten. So viel Andrang ist nicht immer: „In anderen Vierteln wie dem Rieselfeld gibt es vielleicht den Reflex mitzureden, da ist man das von vornerein gewöhnt. Bei uns nicht.“ Zwölf Wochenstunden widmet er dem Stadtteiltreff, den Rest der Zeit arbeitet er nebenan im Jugendtreff. Die Hauptarbeit vor Ort übernehme die „treue Seele“ Binni.

Andre Daumel

Andre Daumel und Ronny

Seit 2008 ist die Quartiersarbeit in den Räumen am Tennenbacher Platz angesiedelt. Eine bunte Truppe von 25 bis 30 Leuten käme regelmäßig vorbei, sagt Götten. „Wir sind Treffpunkt für Leute, die nicht in eine Gaststätte gehen können oder wollen“, berichtet er. Ziel sei, soziales Misstrauen aufzubrechen, das sei im Viertel stark ausgeprägt.

Götten sieht den Stadtteiltreff als Plattform für ehrenamtliches Engagement. Von der Stadtverwaltung gebe es ein Jahresbudget von 40.000 Euro. Etwa 50 Freiwillige helfen mit, drei feste Mitarbeiter mit insgesamt 0,5 Stellen leiten das Projekt.

Nach den Plänen der Stadtspitze soll in Brühl-Beurbarung zukünftig mehr Personal zur Verfügung stehen. 1,5 statt der bisher halben Stelle. Anderswo soll es dafür weniger werden – zum Beispiel im Rieselfeld. Insgesamt zwölf Quartiersarbeitsprojekte gibt es. Das Gutachten hat sie alle aufgeschreckt, auch Götten ist darauf nicht gut zu sprechen. „Ich weiß nicht, ob das Vertrauen größer wird, wenn ich zukünftig für die Stadt arbeite“, sagt er. Müsse er bei jeder Verlautbarung das Okay der Stadt einholen, könne das Spontaneität und Ehrenamt ausbremsen. „Eine lahme Kröte“, befürchtet Götten.

Für das Gutachten seien Interviews geführt worden. Es sei jedoch ein anschließender fachlicher Diskurs in Aussicht gestellt worden. „Der wurde nie angefangen. Das ist politisch unfair und unsauber“, sagt Götten dem chilli beim Gespräch vor einigen Tagen. Mittlerweile ist die Sachlage anders. Ein Gespräch zwischen Stadtspitze, Gutachtern und Trägern der Quartiersarbeit ist nun angesetzt: Morgen, Donnerstag, 17. November, sollen die Dinge gemeinsam diskutiert werden. Im Dezember entscheidet dann der Gemeinderat.

Dass nun ein Gespräch geplant ist, begrüßt auch Christian Himmelsbach, Vertreter des Trägers der Quartiersarbeit Brühl-Beurbarung. „Wildwuchs heißt ja auch Vielfalt“, kontert er die Kritik. Die größte Ohrfeige des Gutachtens sei: „Die Stadt hat jahrelang nichts getan.“ Da könne sie nun nicht einfach kommen und sagen: „Jetzt machen wir es“, sagt Himmelsbach. Viel ehrenamtliches Vertrauen sei bereits zerstört.

Wie wichtig die Anlaufstelle im Quartier ist, betonen die Besucher des Bewohnertreffs Brühl-Beurbarung mehrfach. „Ich bin seit fast drei Jahren fast jeden Mittwoch hier“, sagt Bruce Hetterich. Das Angebot steht für ihn für Lebensqualität. Neben ihm steht der Deutsch-Franzose Andre Daumel mit seinem Hund Ronny. „Das ist unser Maskottchen“, sagt er und zeigt auf seinen Vierbeiner. Ohne den Treff würde nicht nur ihm was fehlen: Monika Moritz hat hier ein zweites Zuhause geufunden: „Wenn’s das hier nicht mehr gibt, sitze ich wieder allein zu Hause.“

Gemeinderat entscheidet

Der Gemeinderat soll am 6. Dezember über die Zukunft der Quartiersarbeit abstimmen. Zur Debatte steht, ob das Rathaus die Steuerung der Arbeit den Freien Trägern abnimmt. Genau das empfiehlt ein vom Gemeinderat beantragtes Gutachten. Bürgermeister Ulrich von Kirchbach nennt das „Flurbereinigung“.

Bereits am Donnerstag, 17. November, soll ein Gespräch zwischen Freien Trägern der Quartiersarbeit, Stadtspitze und Gutachtern stattfinden. Eine bereits angesetzte Abstimmung im Gemeinderat war zuletzt verschoben worden. Mehr zu den Hintergründen gibt’s hier: Gutachter kritisieren Quartiersarbeit.

Schon am heutigen Mittwoch, 16. November, ist ein Fachgespräch zur Quartiersarbeit im Rieselfeld. Veranstalter ist die Regionalstelle Freiburg des „Paritätischen“.  Von 14 bis 16.30 Uhr wird im Stadtteiltreff „Glashaus“, Maria-von-Rudloff-Platz 2, über die „Zukunft der Quartiersarbeit“ disktutiert, Interessierte sind eingeladen.

Weitere Infos zur Quartiersarbeit in Brühl-Beurbaung gibt es auf bruehl-beurbarung.de

Text & Bilder: Till Neumann