Zu viel Geld: Bankbosse Marcel Thimm und Uwe Barth im Interview STADTGEPLAUDER | 16.03.2017

Sie sind die großen Finanzierer des Mittelstands im Großraum Freiburg, die Sparkasse und die Volksbank in Freiburg. Wer sich mit den Vorstandsvorsitzenden Marcel Thimm und Uwe Barth an einen Tisch setzt, sitzt mit einer Bilanzsumme von 8,8 Milliarden Euro zusammen. Mit laufenden Krediten in Höhe von 6,5 Milliarden Euro. Allein 2016 kamen 348 Millionen dazu. Die beiden Bankbosse berichten im Gespräch mit den business-im-Breisgau-Redakteuren Lars Bargmann und Tanja Bruckert über das abgelaufene Geschäftsjahr, die Gefahren für ihre Geschäftsmodelle und die nötige Schließung weiterer Filialen. Und zu viel Geld auf ihren Konten.

Bankbosse Marcel Thimm & Uwe Barth

Zwei Banker, ein Auftrag: Uwe Barth (links) und Marcel Thimm (Mitte) brauchen mehr Kreditgeschäft, um sich gegen die niedrigeren Erträge zu stemmen.

business im Breisgau: Die hauptsächlich durch die Politik der Europäischen Zentralbank verursachte flache Zinskurve beeinträchtigt weiter das Geschäftsmodell von Volksbanken und Sparkassen. Sie warnten wiederholt vor Ertragseinbrüchen. Haben aber in Ihren jüngsten Bilanzen kaum welche. Warum?

Barth: Wir haben schon manchmal ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn man sich seit Jahren hinstellt und sagt, alles wird schlechter, aber tatsächlich werden die Zahlen nicht schlechter. Wir hatten tatsächlich wieder ein sehr gutes Jahr, auch wenn es nicht mehr ganz so ertragsstark war wie 2015. Zwar wird 2017 auch nochmal ein Jahr mit ordentlichen Ergebnissen sein, aber die Dynamik mit niedrigeren Erträgen aus dem Zinsgeschäft wird 2018, 2019 sicher zunehmen.

Thimm: Wir stemmen uns mit ganzer Kraft gegen den sinkenden Trend – mit Erfolg. Das heißt nicht, dass wir das Abschmelzen egalisieren können, aber wir können den Prozess abbremsen. Wir haben 2016 das zweite Jahr in Folge sinkende Zinsüberschüsse mit beschleunigender Tendenz, sechs Millionen Euro weniger als 2015. Das konnten wir zur Hälfte durch Provisionssteigerungen und Kostenreduzierungen kompensieren, sodass unterm Strich drei Millionen weniger Betriebsergebnis verbleiben. Ein immer noch sehr auskömmliches Niveau. Den Rückenwind haben wir vom Kundengeschäft, weil wir in einer prosperierenden Region leben. Insbesondere das Kreditgeschäft war im letzten Jahr erneut sehr gut, wir haben ein Wachstum von 6,1 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro und nahezu 1,2 Milliarden Euro neue Kredite. So ein Wachstum hatten wir seit der Jahrtausendwende nicht mehr.

bib: Wie stark werden die Erträge wegen des Zinsumfelds bis zur Bilanz 2020 einbrechen?

Thimm: Unser Ziel heißt, dass wir 2020 den Ergebnisrückgang gegenüber dem Höchststand im Jahr 2015 auf ein Drittel begrenzen können.

Marcel Thimm

Marcel Thimm: „Fast eine
Schlaraffenlandsituation.“

Barth: Wir rechnen damit, dass der Zinsüberschusses um etwa 20 bis 25 Prozent zurückgeht. Weil wir aber zwei Drittel des Ertrags aus den Zinsen generieren, denken wir, dass das Ergebnis um ein Drittel zurückgeht. Die Frage wird sein, wie weit wir uns mit Kosteneinsparungen, mehr Produktivität und Wachstum dagegen stemmen können. Beim Wachstum ist sehr wichtig, wie sich die Region entwickelt.

Uwe Barth

Uwe Barth: „Ich wäre gerne wieder mehr Unternehmer.“

bib: Die Stadt Freiburg will in den nächsten beiden Jahren 170 Millionen Euro, die Stadttöchter 270, die Badenova 160 Millionen Euro investieren. Wichtige Impulse für das Neugeschäft?

Thimm: Wo investiert wird, gibt es Finanzierungsbedarf. Unternehmen wachsen aber, damit sie mehr Gewinn machen. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir brauchen Wachstum, um die Abschmelzung abzumildern. Wenn man sieht, was in der Kreditwirtschaft in Deutschland los ist, können wir Regionalbanken mit unseren Ergebnissen heute aber zufrieden sein.

bib: Trotz des Drucks auf Ihre Häuser sind Sie weiter in der Lage, die angefragten Kredite ausgeben zu können?

Barth: Die Volksbank ist klassisch eine starke Einlagenbank: Wir haben mehr Einlagen als wir Kredite vergeben, deswegen mache ich mir um die Refinanzierung der Kredite keine Sorgen. Aber das Eigenkapital muss mitwachsen, wir haben jetzt eine Gesamtkapitalquote von 17,4 Prozent. Der Schlüssel zu Kreditwachstum ist Eigenkapitalwachstum. Eigenkapital wird bei einer Volksbank über Gewinne gebildet. Deshalb kann man nicht sagen, es ist alles gar kein Problem. Auf die nächsten zwei, drei Jahre sehe ich gar kein Problem, aber nach 2020 muss man sehen, wie die Entwicklung ist.

Thimm: Wir haben eine ordentliche Kapitalquote, die bei etwa 16,5 Prozent liegt. Wir sind anders als die Volksbank traditionell eher kreditlastig, haben aber auch einen Liquiditätsüberschuss von etwa einer Milliarde, und das sollte auskömmlich sein, um auch in Zukunft alle Kreditwünsche zu bedienen.

bib: Wenn das schwierige Zinsumfeld nur durch mehr Geschäft kompensierbar ist, woher kommt das? Verlieren andere Banken an Sie?

Thimm: Zum einen machen wir mehr Geschäft, weil wir in einer prosperierenden Region arbeiten. Das ist nicht überall so. Es gibt Sparkassen im Schwarzwald, die seit zehn Jahren keine Bauträgermaßnahme mehr finanziert haben, weil es keine gegeben hat. Zudem gewinnen wir Regionalbanken seit der Finanzkrise, weil sich die Großen an der einen oder anderen Stelle etwas schwerer tun als wir.

bib: Sparkassen und Volksbanken gelten als besonders sicher. Viele Kommunen hatten früher ihre Gelder bei Investmentbanken angelegt – das Freiburger Rathaus etwa bei Lehman Brothers. Bringen Städte und Gemeinden nun das Geld vermehrt zu Ihnen?

Thimm: Kommunen sind, weil sie ja unsere Träger sind, eine Hauptkundengruppe. Man kann schon sagen, dass seit der Finanzkrise der Liquiditätszufluss zu den Sparkassen und Genossenschaftsbanken zugenommen hat. Im Moment haben wir die Situation, dass wir sogar zu viele Einlagen haben. Das hat vielleicht auch etwas mit den Negativzinsen der anderen Banken zu tun: Wir spüren seit Herbst einen deutlich beschleunigten Einlagenzuwachs, insbesondere von gewerblichen und institutionellen Kunden. Da kam ein dreistelliger Millionenbetrag, der so groß ist, dass wir das Geld eigentlich gar nicht gebrauchen können. Wir müssen das zum Großteil durchleiten und bei der EZB mit Negativzinsen wieder anlegen.

bib: Die Europäische Zentralbank verlangt seit etwa einem Jahr 0,4 Prozent Strafzinsen für kurzfristig geparktes Geld, was deutsche Banken nach Berechnungen von Barkow Consulting in 2016 schon rund 1,1 Milliarden Euro gekostet hat. Die Volksbank hat am
1. Februar Negativzinsen für Unternehmensvermögen oberhalb von 2,25 Millionen Euro eingeführt. Wird es diese bei der Sparkasse bald auch geben?

Thimm: Wie unser Name schon sagt, tun wir uns als Sparkasse traditionell mit dem Thema Negativzinsen enorm schwer. Trotzdem: Wir gehen davon aus, dass auch wir im Laufe des Jahres Negativzinsen einführen müssen für institutionelle und gewerbliche Kunden und für größere Beträge. Wir werden dem Einlagenzuwachs sonst nicht mehr Herr.

Barth: Mir ist wichtig zu betonen, dass es bei den Negativzinsen nicht darum geht, Geld zu verdienen. Wir vermeiden Kosten für die Volksbank und steuern unsere Liquidität, um die regulatorischen Vorgaben der Finanzaufsicht zu erfüllen. Wir beraten unsere Kunden und bieten Möglichkeiten an, Negativzinsen durch optimierte Geldanlagefristen zu vermeiden.

bib: Wie viele Kunden zahlen aktuell Negativzinsen?

Barth: Etwa 50.

Thimm: Wir werden wohl für 150 Kunden nicht darum herumkommen.

bib: Kommen bald auch Strafzinsen für Private?

Thimm: Für Spareinlagen kann ich mir das nicht vorstellen.

bib: Die GLS Bank verlangt von ihren Kunden einen Beitrag von fünf Euro im Monat. Wird es das bei Ihnen auch geben?

Barth: Wir bieten eine ausgezeichnete Beratungsqualität in allen Finanzangelegenheiten für Privat- und Firmenkunden. Bisher wurden wir dafür durch den Ertrag aus Zinsertrag und Provisionen entlohnt. Wenn wir aber keine Zinserträge mehr haben, müssen wir uns etwas einfallen lassen, müssen überlegen, wie wir die Beratung anderweitig bepreisen oder Dienstleistungen nicht mehr anbieten. Deshalb planen wir in diesem Jahr eine Überarbeitung unserer Kontomodelle.

bib: Von Privaten Geld für Beratungen zu nehmen, ist ein großer Schritt …

Barth: Die Branche ist selbst schuld, sie hat mit dem Anbieten von kostenlosen Konten einen riesigen Fehler gemacht. Es gibt ja sogar Banken, die zahlen noch Geld, wenn man ein Konto eröffnet. Damit wird eine wichtige Bankdienstleistung entwertet. Jetzt strampelt die Branche verzweifelt wieder zurück und versucht, diese Dienstleistung wieder ins rechte Licht zu rücken. Wir müssen den Kunden davon überzeugen, dass wir eine gute Dienstleistung bringen, damit er bereit ist, dafür zu zahlen.

Thimm: Die reine Beratung kostet bisher nichts und wahrscheinlich bleibt das auch so. Unsere Preismodelle sehen aber vor, dass wir dort das Geld verlangen, wo der Kunde auch eine konkrete Leistung in Anspruch nimmt.

bib: Die Sparkasse hat heute 52 Filialen, die Volksbank hat 32. Wie viele werden es 2020 sein?

Thimm: Wir haben im vergangenen Jahr schon 17 Geschäftsstellen geschlossen und ich glaube, dass wir 2020 oder 2022 weniger als 40 haben werden.

Barth: 1970 gab es 9000 Volks- und Raiffeisenbanken, heute gibt’s noch 990. Diese Veränderung wird weitergehen – und durch die Niedrigzinsphase weiter zunehmen. Vor sechs, sieben Jahren hatten wir knapp 40 Filialen, jetzt sind es noch 32. Ich schätze mal, dass wir 2020 noch zwischen 20 und 25 Filialen haben werden.

Bilanz-Box

* nach Reservenbildung und Bewertungen / ** So viel Cent gibt die Bank für 1 Euro Ertrag aus

bib: Und 2025? Wird es dann noch weitergehen oder ist irgendwann ein Punkt erreicht, wo man Geschäft und Akzeptanz verlieren würde?

Barth: Eine spannende Frage. Wie entwickelt sich das Geschäftsmodell Regionalbanken, wenn wir eine dauerhaft niedrige Zinsphase haben, also japanische oder Schweizer Verhältnisse. Dann muss es noch tiefgreifendere Strukturveränderungen geben, damit das Geschäftsmodell funktionieren kann. Aber wann hört eine Regionalbank auf, Regionalbank zu sein?

bib: Macht die Digitalisierung die Regionalbanken irgendwann überflüssig?

Barth: Das glaube ich nicht. Die Digitalisierung ist Fluch und Segen. Vieles fällt weg, aber sie gibt uns auch die Möglichkeit, produktiver zu sein.

bib: Die reinen Digitalkunden haben Sie bei der Vorlage Ihrer Bilanz nur mit fünf Prozent beziffert.

Barth: Das ist eine Kundengruppe, die stark wachsen wird. Und ich sehe das sehr positiv: Der Kunde kann wählen, ob er die Regionalbank nur digital nutzt, nur analog, also persönlich, oder hybrid, also einen Teil digital, wenn er aber Beratung braucht, bekommt er die von uns. Und das können nur wir Regionalbanken.

bib: Wie sicher ist das Geld bei Ihnen? Bis 2024 sollen auch die Gelder Ihrer Kunden in ein europäisches Sicherungssystem eingehen. Dann haften Ihre Sparer auch für das riskante Geschäft von Investmentbanken irgendwo in Europa …

Thimm: Ich glaube, der Sparer und der Gläubiger einer Regionalbank sind sehr gut abgesichert. Das beginnt bei der Solidität eines einzelnen Hauses – da müssen wir uns vor niemandem verstecken. Das nächste sind die Verbundsysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die eine weitere Sicherheit bieten. Wenn man die Kraft des Verbundes sieht, schlafe ich als Gläubiger sehr gut. Nichtsdestotrotz gibt es diese Einlagensicherung, die gesamteuropäisiert werden soll. Wenn also in Spanien oder Portugal etwas passiert, soll unser angespartes Geld haften. Das wollen wir nicht. Eigentlich sollen sich alle an diesem europäischen Sicherungsfonds beteiligen, aber viele europäische Banken haben bisher nichts, was sie da reinschieben können. Eine Zentralisierung können wir uns höchstens dann vorstellen, wenn alle einzahlen und wenn die offensichtlichen Risiken anderer Bankensysteme bereinigt wurden.

Barth: Wir wehren uns massiv dagegen und bekommen von der Politik Rückendeckung. Diese Überlegungen sind besonders absurd, wenn man sieht, wie gut das Sicherungssystem der Sparkassen und Volksbanken seit weit über 100 Jahren funktioniert. Noch nie hat ein Sparer bei uns Geld verloren. Wenn es mal einer Bank schlecht ging, hat das der Sparer oft gar nicht mitbekommen, weil sie mit den angesparten Mitteln des Verbunds still und heimlich saniert wurde.

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bib: Zwar ist das Zinsumfeld weiter schlecht, das wirtschaftliche Umfeld aber ist gut. Das Statistische Bundesamt hat fürs vierte Quartal mit 43,7 Millionen Erwerbstätigen einen Beschäftigungsrekord gemeldet. Das spiegelt sich in Ihren Bilanzen?

Thimm: Vom wirtschaftlichen Umfeld her haben wir fast eine Schlaraffenlandsituation. Die Agenda 2010 war eine gute Entscheidung. Ich kann mich, seit ich im Geschäft bin, an keine so gute Phase erinnern und dadurch haben wir nicht nur Wachstum, sondern auch so eine entspannte Risikosituation, wie ich sie noch nie erlebt habe. Das gibt Rückenwind. Wenn man weniger Betriebsergebnis hat, das aber komplett behalten darf, weil man nichts für Risiken zurücklegen muss, ist das erfreulich. Leider wird das nicht immer so bleiben.

bib: Das Ceta-Abkommen für mehr Freihandel zwischen Europa und Kanada ist nach jahrelangem Streit nun provisorisch in Kraft, die nationalen Parlamente müssen es aber noch billigen. Wie bewerten Sie das?

Thimm: Alles, was bisher an Freihandelsabkommen gemacht wurde, war gut für uns – vorneweg die Europäische Vereinigung. Das hat uns als exportorientierte Nation immer mehr genutzt als geschadet. Darum sehe ich solche Abkommen positiv.

Barth: Ich auch. Deutschland profitiert extrem vom Freihandel. Ich verstehe aber auch die Ängste rund um die Globalisierung. Auch ich will kein genverändertes Fleisch auf dem Teller haben, weil der Verbraucherschutz aufgelöst wird.

bib: Neben dem Niedrigzinszustand fordert die Regulatorik erhebliche Kraftanstrengungen von Ihnen.

Thimm: Ich will die Regulatorik nicht per se verteufeln. Wir haben Beispiele aus der Vergangenheit, wie Basel II, wo die Bankenaufsicht nach der Jahrtausendwende auf die Kreditausfälle reagiert hat, das hat gewirkt. Basel III ist im Prinzip auch richtig. Aber der Verbraucherschutz macht uns das Leben unnötig schwer. Stichwort Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Unnötig. Dann das Geldwäschegesetz. Wenn heute ein neuer Kunde zu uns kommt, müssen wir für zig Länder abfragen, ob er irgendwelche Steuerprobleme hat. Er muss umfangreiche Fragebögen ausfüllen und erklären, wohin er Verbindungen hat, und wir müssen prüfen, wie plausibel das ist.

Barth: Ich wäre gerne wieder mehr Unternehmer und nicht jemand, der den ganzen Tag damit beschäftigt ist, Gesetze und Regularien zu erfüllen. Im Aufsichtsrat haben wir früher über die Entwicklung der Volksbank diskutiert, über die Interessen der Mitglieder, über den Genossenschaftsgedanken. Heute geht es über zwei Stunden nur um Regularien und Gesetzeserfüllungen. Das sind Sachen, die an der Wirklichkeit von dem, was wir machen, meilenweit vorbeigehen. Wir sind mittlerweile total überreguliert – das macht uns nicht besser, sondern nur schlechter.

bib: Herr Thimm, Herr Barth, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fotos: tbr