Fluch und Segen für die Geburtshilfen: Über die Vor- und Nachteile der Gesundheitsreform Bauch & Baby | 24.08.2023 | Reinhold Wagner

Mutter und Vater mit ihrem Neugeborenen im Krankenhauszimmer

Am 10. Juli ging es durch die Medien: Nach langen, zähen Verhandlungen sind die Eckpfeiler des Gesetzesentwurfs für die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ausgearbeitete Gesundheitsreform gesetzt. Details sollen nach der Sommerpause folgen.

Die wichtigsten Neuerungen: Anstelle der bislang üblichen Vergütung nach Fallpauschalen für in Anspruch genommene Leistungen sollen Kliniken künftig für die Zur-Verfügung-Stellung ihrer Angebote bezahlt werden, also nach Vorhaltepauschalen. Um mehr Transparenz zu schaffen, soll es bundeseinheitlich drei Versorgungsstufen geben, die für alle öffentlich gemacht werden: Grundversorger, Fachkliniken und Maximalversorger. Eine Einteilung in Leistungsgruppen und nach Qualitätsstandards sowie die Veröffentlichung von Behandlungszahlen sollen für noch mehr Transparenz und damit Vergleichbarkeit sorgen. So sollen die Kliniken entlastet und auf ihre jeweiligen Stärken konzentriert werden, die Öffentlichkeit sich aber zugleich besser orientieren können. Und was die Entbindungskliniken betrifft, können auch einige Änderungen auf die Geburtshilfe und Neonatologie zukommen.

Während im Hintergrund noch diskutiert wird, schrillen in vielen Kliniken bereits die Alarmglocken: Welche Konsequenzen sehen die regionalen Kliniken auf sich zukommen – im Positiven wie im Negativen? Welche Chancen, aber auch Risiken wie beispielsweise Umstellungen, Verluste oder Zugewinne von Versorgungsstufen und Qualitätsstandards bis hin zu Schließungen könnten sich für die Geburtshilfen und Notfall-Einrichtungen ergeben? Wie beurteilen Fachärzte und Stationsleitungen die finanziellen und oder personellen Folgen der Vorhalte- gegenüber der Fallpauschale? 4family hat für an ausgewählten Standorten bei Chefärzten und Chefärztinnen nachgefragt.

Kreiskrankenhaus Emmendingen: „Grundsätzlich sinnvoll“

Dr. Roland Rein

Dr. Roland Rein, Chefarzt der Geburtshilfe am Kreiskrankenhaus Emmendingen, sieht es so:

„Bisher ist bis auf wenige Eckdaten noch nicht klar, in welche Richtung genau die Krankenhausreform gehen und wie sich das auf unser Krankenhaus auswirken wird. Grundsätzlich ist die Abkehr von der reinen Fallpauschale zu einer Vorhaltepauschale nachvollziehbar und sinnvoll, auch hier ist jedoch noch unklar, auf welcher Grundlage diese berechnet werden soll. In diesem Zusammenhang macht das Festlegen von Qualitätsstandards insbesondere auch für die Patient·innen Sinn. Wir stehen für eine qualitativ hochwertige Geburtshilfe mit professioneller Ausstattung.“

Rein blickt daher mit Zuversicht in die nahe Zukunft: „Wir sind davon überzeugt, dass Geburtshilfe auch weiterhin ein wichtiger Teil der Angebote des Kreiskrankenhauses sein wird und wir werdende Eltern kompetent vor, während und nach der Geburt begleiten können.“

Zur Person:
Dr. Roland Rein, Chefarzt der Geburtshilfe am Kreiskrankenhaus Emmendingen

 

Evangelisches Diakoniekrankenhaus Freiburg: „Die Vernunft hat gesiegt“

Prof. Dr. Dirk Watermann

Die Geburtshilfe unter der Leitung ihres Chefarztes Prof. Dr. Watermann sieht die Reform ebenfalls als Chance, sofern sie richtig umgesetzt wird:

„Es ist als großer Erfolg zu bewerten, dass die von der Regierungskommission ursprünglich vorgesehene, unsinnige Verknüpfung von Leistungsgruppen und Leveln im jetzt verabschiedeten Eckpunktepapier nicht mehr enthalten ist. Die Vorhaben der Kommission hätten dramatische Folgen für die geburtshilfliche Versorgung gehabt. Es ist gut, dass hier die Vernunft gesiegt hat.

Kern der Reform sind nun die Leistungsgruppen. Und die Grundidee, das Recht zur Leistungserbringung auf einem bestimmten Gebiet an die Erfüllung definierter Qualitätsvorgaben zu knüpfen, hat durchaus etwas für sich. Man muss diese Kriterien allerdings wohlüberlegt auf der Basis medizinischer Evidenz definieren, um nicht durch unbegründet hohe Anforderungen unnötige Versorgungsengpässe zu verursachen. Gut gewählte Kriterien werden sich aber sicher positiv auf die Qualität der Leistungserbringung auswirken.“

Für das eigene Haus sieht Watermann hier gute Voraussetzungen: „Da wir eine große Geburtshilfe mit sehr guten Qualitätsdaten und niedriger Kaiserschnittrate haben, erwarten wir für unsere Klinik durch die Reform momentan keine Veränderungen.“

Trotz allem könnte der geplante Schuss auch noch nach hinten losgehen: „Im aktuellen System ist die Geburtshilfe völlig unterfinanziert. Auch Häuser wie wir mit hohen Geburtenzahlen können diesen Bereich eigentlich nicht wirtschaftlich betreiben. Ob sich die Einführung der Vorhaltevergütungen da positiv oder negativ auswirken wird, kann derzeit aber noch nicht beurteilt werden. Denn es ist noch völlig offen, wie die Vorhaltefinanzierung konkret bemessen werden soll. Wenn dies sachgerecht geschieht, könnte der Mechanismus tatsächlich zu einer finanziellen Entlastung führen. Wenn das aber nicht der Fall ist – und danach sieht es leider aus –, kann auch der gegenteilige Effekt eintreten. Aktuell sollen ja bloß die Fallpauschalen reduziert und das so generierte Erlösvolumen anders verteilt werden. Daraus allein entsteht keine Entlastung. Das Ganze ist ziemlich komplex und der vorgesehene Zeitplan äußerst ambitioniert. Ich habe meine Zweifel, dass da eine gute Lösung vorgelegt wird.“

Zur Person:
Prof. Dr. Dirk Watermann, Chefarzt der Geburtshilfe am Evangelischen Diakoniekrankenhaus Freiburg

 

St. Josefskrankenhaus Freiburg: „In jedem Moment gerüstet sein“

Dr. Bärbel Basters-Hoffmann

Chefärztin Dr. Bärbel Basters-Hoffmann über die bislang gängige Praxis:

„Das Fallpauschalensystem war für die Geburtshilfe immer schon sehr ungesund. Überspitzt gesagt wird man belohnt für den schnellen Kaiserschnitt. Die personalintensive Begleitung einer Vaginalgeburt, oftmals über Stunden, mit unserer Erfahrung, unserem Wissen, unserer Zugewandtheit, und unsere Bereitschaft, diese hohe Verantwortung zu übernehmen, bringt nicht annähernd den gleichen Erlös. Insofern ist das (bisherige) Vergütungssystem zumindest mitverantwortlich für unsere hohen Kaiserschnittraten.“

Umso mehr Hoffnung setzt sie in diese Beschlüsse der Reform: „Ich begrüße es sehr, wenn eine Vorhaltepauschale kommt – denn das ist ja tatsächlich so: Eine geburtshilfliche Abteilung muss in jedem Moment gerüstet sein für einen Geburtenansturm, für jeden denkbaren Notfall und selbstverständlich auch jederzeit für einen Kaiserschnitt. Auch wenn es vielleicht der Zufall will, dass in einer Schicht kein Kind geboren wird. Insofern erhoffe ich mir Entlastung für die Geburtshilfe und endlich eine Vergütung, die nicht nur gutes chirurgisches Handwerk im Kaiserschnitt, sondern unsere eigentliche Kunst und Berufung, nämlich Geburtshilfe zu leisten und alles für einen guten Bindungsaufbau und Stillbeginn zu tun, adäquat abbildet.“

Zur Person:
Dr. Bärbel Basters-Hoffmann, Chefärtzin der Geburtshilfe am St. Josefskrankenhaus Freiburg

Info:
Zurzeit strebt das St. Josefskrankenhaus die Zertifizierung zum „BabyFriendly Hospital“ an. Die Chefärztin hofft, diese noch in diesem Jahr erfolgreich abzuschließen.

 

Universitäts-Frauenklinik Freiburg: „Noch nicht in Stein gegossen“

Prof. Dr. Ingolf Juhasz-Böss

Der Ärztliche Direktor der Klinik für Frauenheilkunde, Prof. Dr. Ingolf Juhasz-Böss, will sich zu den aktuellen politischen Diskussionen noch nicht äußern, da diese „ja noch nicht in Stein gegossen“ sind. Zur Geburtshilfe an sich aber hat Juhasz-Böss viel zu sagen: „Heute ist eine Geburt so sicher wie noch nie. Das liegt auch daran, dass die verschiedenen Berufsgruppen und Fachbereiche so eng miteinander zusammenarbeiten.“

In „seiner“ Klinik gibt es täglich fünf bis sechs Geburten. Jede fünfte Entbindung gilt heutzutage als Risiko- oder Frühgeburt. In diesen Fällen arbeiten die Abteilungen Geburtshilfe und Perinatologie eng mit der Neonatologie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin zusammen. Gemeinsam erfüllen sie die Bedingungen eines Perinatalzentrums, das von der Ärztekammer mit der höchsten Qualitätsstufe (Level 1) in der Versorgung von Neugeborenen zertifiziert wurde. „Wir bieten während dieses besonderen Ereignisses die benötigte Unterstützung für die Mütter und Kinder. Dazu gehört neben der erstklassigen medizinischen Versorgung auch eine vertrauensvolle und familienfreundliche Atmosphäre.“

Zur Person:
Prof. Dr. Ingolf Juhasz-Böss, Ärztlicher Direktor der Klinik für Frauenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg

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