Prekäre Balance – Moderne Austen-Romanze zwischen Weltflucht und irdischem Begehren 4Film | 14.10.2025 | Erika Weisser
In ihrem Regiedebüt legt Laura Piani eine eigenwillige und sehr anregende Auseinandersetzung mit der britischen Schriftstellerin Jane Austen (1775–1817) vor, deren Bücher zeitlebens anonym veröffentlicht wurden: In den Verfasserangaben aller ihrer Romane war lediglich „by a lady“ zu lesen. Auch in ihren bekanntesten Werken „Emma“, „Stolz und Vorurteil“ oder „Anne Elliot“.
Auf diese Anne bezieht sich Agathe, die in Paris mit ihrer Schwester und deren Sohn zusammenlebt und mit ihrem besten Freund Félix die Buchhandlung „Shakespeare & Co.“ betreibt. Die nicht mehr ganz junge Intellektuelle, die eine zunächst unbekannte innere Last mit sich herumschleppt, weicht sowohl Entscheidungen als auch sämtlichen männlichen Avancen aus. Sie selbst beschreibt sich als Frau, die „ganz bewusst an ihrer Existenz vorbeilebt“. Das gilt auch für ihre Schreibversuche im Stil der von ihr verehrten Autorin: Sie fängt viel an und bringt nichts zu Ende. Und sie weigert sich, Paris zu verlassen, obwohl die Schwestern ein Haus an der bretonischen Küste besitzen.

Bis Félix ohne ihr Wissen die ersten Kapitel eines ihrer Romanfragmente bei einem von einer „Jane Austen Writers Residence“ ausgeschriebenen Schreibwettbewerb einreicht. Mit Erfolg: Agathe bietet sich die Gelegenheit, in Hampshire im Kreise anderer Nachwuchsautorinnen an ihrem Manuskript weiterzuarbeiten. Zwar treibt sie diese Aussicht in ausweglose Konflikte, doch Félix zwingt sie, ihr Schneckenhaus zu verlassen und fährt sie eigenhändig zur Fähre in Calais. Der Kuss, in dem die Widerspenstige und der Schwerenöter beim Abschied versinken, weckt in Agathe indessen ganz neue – oder lang verdrängte – Begierden.

Ihre plötzliche Verwirrung, ihre Zerrissenheit zwischen Weltflucht und Begehren, lässt sie sogleich an dem geheimnisvoll wirkenden Oliver aus, der sie auf der anderen Seite des Ärmelkanals erwartet. Er stellt sich ihr als Ur-Ur-Ur-Ur-Großneffe Jane Austens vor, verschweigt aber nicht, dass er deren Werk eher als banal empfindet. Völlig zerstritten kommen die beiden in einem mit Blümchentapeten und viel nostalgischem Trödel ausgestatteten Landhaus an, wo Agathe von Olivers ziemlich bizarren Eltern liebevoll in Empfang genommen wird.

Doch sie fremdelt weiter, igelt sich ein – und bringt trotz aller Bemühungen auch der anderen Autorinnen in spe kein einziges Wort aufs Blatt. Denn zu der verstörenden Tatsache, dass ihr Félix‘ Kuss nicht mehr aus dem Kopf geht, gesellt sich die beunruhigende Einsicht, dass sie sich zunehmend zu Oliver hingezogen fühlt, der offenkundiges Interesse an ihr zeigt. Wie sie diesen Männerstress löst, sei nicht verraten. Nur so viel: Zwischen Zartheit und Burleske und mit einem Anflug von „Mystery“ wird die prekäre Balance zwischen Körper, Geist und Gefühl, Sinn und Sinnlichkeit flirrend, feinsinnig und vergnüglich veranschaulicht.

Jane Austen und das Chaos in meinem Leben
Frankreich 2024
Regie: Laura Piani
Mit: Camille Rutherford, Pablo Pauly, Charlie Anson, Annabelle Lengronne, Alan Fairbaim u.a.
Verleih: Splendid Film
Laufzeit: 94 Minuten
Start: 16. Oktober 2025










