Die Geschichte einer Weltleitmesse: Interbrush Freiburg STADTGEPLAUDER | 24.04.2016

Man schrieb das Jahr 1960, als sich Vertreter der weltweiten Bürsten- und Pinselindustrie anlässlich der Jubiläumsfeier des in Freiburg ansässigen Branchenmagazins „Brossa-Press“ in der Freiburger Stadthalle trafen. An eine Fachmesse dachte damals noch niemand. Erst 1977 ging die erste Interbrossa mit 70 Ausstellern in der Messehalle 2 über die Bühne. Es war der Auftakt zur Weltleitmesse Interbrush, die Ende April ihre elfte Auflage in Freiburg erleben wird.
 
Ein Himmel voller Pinsel: Die Erfolgsgeschichte der Bürstenmesse begann 1977 auf dem Alten Messplatz.
 
Die Zutaten waren vorhanden: Der Schwarzwald ist historisch ein Zentrum der Bürstenindustrie, die Fachpresse war am Ort, da fassten sich der damalige Freiburger Messechef Helmar Biskaborn und der Brossa-Press-Verleger Rainer Grüb ein Herz und machten aus dem Branchentreffen von 1960 die Interbrossa. Nach dem Anfangserfolg beschloss man gemeinsam, diese künftig alle drei Jahre zu machen. Nach der zweiten Auflage 1980 wechselte der Neuling in einen vierjährigen Turnus, der bis heute noch dem Innovationszyklus der Bürstenmaschinen entspricht.
 
Es war vom Start weg eine internationale Messe: Firmen aus aller Welt tummelten sich, zeigten ihre neuesten Maschinen, Zuliefermaterialien und Rohstoffe, wichtige Abschlüsse wurden getätigt. „Für einen flächenmäßig relativ kleinen Messeplatz wie Freiburg war das ein echter Volltreffer“, sagt der ehemalige Freiburger Messechef Klaus W. Seilnacht. Wegen des hohen Zuspruchs von Ausstellern und Besuchern und der hohen Internationalität wurde die Freiburger Messe 1996 in den Weltverband der Messen „UFI“ aufgenommen – eine Anerkennung, die damals nur große, internationale Messeplätze erhielten.
 

 
Um die UFI-Prüfer von Freiburg zu überzeugen, musste anfangs ein bisschen improvisiert werden. Serviceräume mit internationalem Standard? „Die hatten wir in den alten Hallen nicht, die mussten wir provisorisch schaffen“, sagt Seilnacht, „wir bauten optisch ansprechende Verkleidungen der Halleneingänge bis hin zu behelfsmäßigen, regenfreien Übergängen von Halle zu Halle. Das erinnerte stark an ,potemkinsche Dörfer‘.“
 
Andere Messeplätze blickten in der Folge durchaus neidisch auf den Volltreffer und so blieben Versuche nicht aus, die Interbrossa aus Freiburg wegzulocken. Die veralteten Hallen an der Schwarzwaldstraße boten viele Angriffspunkte, konnten die Mindestanforderungen einer internationalen Fachmesse kaum mehr erfüllen. „Es waren die regelmäßig guten Ergebnisse
der Aussteller, das gute Miteinander, der Ausblick, dass ein neues Messegelände in Freiburg geplant wurde und nicht zuletzt die unschätzbare Tatsache, dass mit der Firma Zahoransky ein ganz Großer der Branche in unmittelbarer Nähe, in Todtnau und Freiburg, angesiedelt ist, die eine Abwanderung der Interbrossa in den 90er Jahren verhinderte“, erzählt Seilnacht.
 

 
Die neue Messe öffnete 2000 ihre Tore, jetzt konnten alle eigentlich zufrieden sein. Aber: Gleichzeitig wurde erstmals die Konkurrenzmesse „Brush-Expo“ in Luxemburg gemacht. Die Mehrzahl der Aussteller hielt Freiburg die Treue; in der Branche setzte sich die Meinung durch, dass eine Messe völlig ausreichend sei. In einer bis in die Nacht reichenden Sondersitzung in Zürich mit den führenden Vertretern der Branche und der Messe Freiburg konnte nach zähem Ringen eine Einigung erzielt werden. „Die Verhandlungen waren nicht einfach“, erinnert sich Seilnacht, „wurden aber vom Geiste getragen, eine für alle zufriedenstellende Lösung zu finden. Ich war glücklich, dass sich Freiburg als einziger Standort durchsetzen konnte.“ Der Messename blieb dabei aber auf der Strecke: Aus der italienisch angehauchten Interbrossa wurde die – internationaler klingende – Interbrush.
 
2006 kletterte Daniel Strowitzki, seit 2015 neuer Messechef, an Bord der Messegesellschaft: „Ich gehe zu jedem Verbandstreffen, rede regelmäßig mit den Landesvorständen, besuche Firmen, um Wünsche der Branche rechtzeitig erkennen zu können.“ Es sei eine überschaubare Branche mit familiärem Charakter – deshalb passe deren Welttreffen auch zu einem überschaubaren Messestandort.
 

 
Im Schnitt 2,1 Tage bleibt ein Interbrush-Besucher, von denen bis zu 90 Prozent aus dem Ausland kommen. Das führe dazu, dass die Hotels alle vier Jahre zu Interbrush-Zeiten gut belegt sind und nicht wenige Besucher würden noch einige Urlaubstage im Schwarzwald dranhängen. „Freiburg“, sagt Seilnacht, „bietet die Möglichkeit, Geschäfte zu machen und sich danach zu entspannen.“ Und Strowitzki fügt schmunzelnd hinzu: „Besonders US-Besucher wollen nicht selten im Vorfeld wissen, ob es auch sicher frischen Spargel geben werde.“
 
70 Aussteller waren es bei der Premiere 1977, Ende April werden es jetzt mehr als 200 sein. Das alte Messegelände hatte rund 12.000 Quadratmeter Hallenfläche, heute sind alle 21.500 gefüllt. Die Bürstenindustrie, die 2014 über 700 Millionen Euro Umsatz allein in Deutschland verzeichnete, ist eine alte Branche: Die meisten Firmen sind 50 Jahre und älter. Kaum ein Laie kann sich vorstellen, wo deren Produkte überall im Einsatz sind: technische Bürsten für den kratzerfreien Transport von Komponenten, für Waschstraßen, Make-up, Medizin, Malerei, Kehrbesen bis zum Handfeger.
 
„Laut Statistik gibt es in jedem deutschen Haushalt 46 Bürsten und Pinsel“, weiß Seilnacht: Wer aber glaubt, dass auf der Interbrush nur Stubenbesen neben Zahnbürsten und Rasierpinsel neben riesigen Rollenbürsten stehen, irrt. „Hier werden tonnenschwere Prototypen aufgebaut, mit denen diese Produkte erst einmal hergestellt werden“, sagt Strowitzki. Was die Hallenbelegung zu einer kniffligen Organisationsaufgabe werden lasse. Aber bisher ging immer alles problemlos über die Bühne – und das wird vermutlich auch 2016 wieder so sein.
 
Text: Stefan Pawellek / Fotos: © FWTM