Ärger nach dem Aus: Schule muss Modellprojekt ohne Noten einstellen Schule & Lernen | 01.06.2018 | Clémence Carayol 

Lernt man ohne Noten besser? Das wird seit 2013 an der Paul-Hindemith-Grundschule in Freiburg getestet. Als eine von zehn Schulen in Baden-Württemberg erprobt sie eine alternative Bewertungsform. Nun will die Regierung die Initiative stoppen. Schulleiterin Sandra Kieber ist empört, Eltern auch. Auch eine Gymnasiastin, die beide Seiten kennt, ist vom ­notenfreien Unterricht begeistert.

Schule ohne Noten? Für Sandra Kieber ist das der falsche Ausdruck: „Die Formulierung gefällt mir nicht. Sie impliziert, dass keine Leistung erbracht wird, was total falsch ist“, betont die Leiterin der Paul-Hindemith-Grundschule. Sehr wohl gebe es Bewertungen. Diese heißen „alternative Leistungs-Rückmeldung und -Messung“. Die 48-Jährige findet es wichtig, neue Wege zu gehen: „Es muss Vielfalt im Schulbereich geben.“

Seit rund fünf Jahren erprobt die Freiburger Grundschule die alternative Bewertung ohne Schulnoten, die beispielsweise an Waldorfschulen Standard ist. Zum nächsten Schuljahr soll damit nun Schluss sein, hat das Kultusmin­is­terium im Winter verkündet. Das erfuhr Kieber aus der Zeitung. Die Empörung ist groß: „Als die Entscheidung kam, war das Kollegium sehr überrascht“, berichtet sie. Auch Elternbeiratsvorsitzende Annett Klauschke ist verstimmt: „Reine Willkür“ sei dieser Kurswechsel. Die Eltern seien „extrem empört“, betont die 46-Jährige. „Ein Gespräch mit uns wurde nicht gesucht.“

Neben Ärger gibt es auch Unverständnis. Schulleiterin Kieber bedauert, dass es nicht einmal eine Erklärung für das Aus gibt. Als Begründung sei lediglich der Bedarf an qualifizierter Kompetenz und klaren Leistungsrückmeldungen genannt worden. Diese müssten nachhaltig und individuell sein, heißt es beim Ministerium. „Genau das machen wir ja an der Schule“, erwidert Sandra Kieber. Tatsächlich gibt es eine schriftliche Benotung der Kinder. Sie zeigt, wo sie sich verbessern können.

Enttäuscht: Schulleiterin Sandra Kieber und Elternbeiratsvorsitzende Annett Klauschke.

Kieber betont die Individualität ihrer ­Methode: „Jedes Kind wird für sich gesehen.“ Man könne schließlich kein Kind mit einem anderen vergleichen. Aufgrund der Bewertung werde zusammen nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht: „Es ist ein gemeinsames Arbeiten an der Weiterentwicklung des ­Kindes – mit dem Kind und seinen Eltern.“

Elternbeiratsvorsitzende Annett Klauschke findet das Schulmodell „extrem vorteilhaft“. Ihr Sohn sei als hochintelligent getestet worden. Leistungen seien bei ihm nicht das Problem – mit Noten habe er aber zu kämpfen. Der Vorteil für sie an der Freiburger Grundschule: „Hier wird er insgesamt betrachtet und begleitet.“ Zumindest bisher.

Unterstützung gibt’s immerhin vom Freiburger Gemeinderat. Der hat sich einstimmig für den Modellversuch ausgesprochen. Alternativen für Schüler, die benotet werden wollen, gebe es genügend, so der Tenor. Man wolle sich für eine Verlängerung um vier Jahre starkmachen, findet auch Bildungsbürgermeisterin Gerda Stuchlik.

Anouk Plocher fände das gut. Sie war selbst zehn Jahre lang Schülerin an einer Schule ohne Noten, der Kapriole in Freiburg. „Noten können der Komplexität des individuellen Lernweges in vieler Hinsicht nicht gerecht werden“, schreibt die Freie demokratische Schule auf ihrer Website. Deswegen entziehen sich „fast alle Tätigkeiten einer benotenden Bewertung“. Anouk findet das super: „Ich habe mich total wohlgefühlt. Du wirst ­einfach nicht mit Noten für die Leistung, die du an der Schule bringst, bewertet, sondern du wirst als ganzer Mensch beurteilt.“

Die 17-Jährige ist jetzt auf der Freien Christlichen Schule in Landwasser – einer Schule mit Noten. Dort ist sie in der 11. Klasse, die Umstellung fällt ihr schwer: „Die Kapriole war ein Riesengeschenk“, schwärmt sie. Jeder habe dort Zeit, seine Talente zu entdecken.“ Nun sei das anders: „Ich habe jetzt alles, was ich nicht gut finde. Man wird nur auf die Noten beschränkt.“ Trotz ihrer Begeisterung glaubt Anouk, dass es auch Schulen mit Noten braucht: „Jeder Mensch ist anders und lernt anders.“

Fotos: © Clémence Carayol, Unsplash.com