Aktien als Schulfach? – Schülervertretung fordert lebensnahe Lehrinhalte Schule & Lernen | 14.12.2023 | Pascal Lienhard

junges Mädchen am Laptop

Was muss ich bei Mietverträgen beachten? Wie lege ich mein Geld sinnvoll an? Viele haben auf solche Fragen nach dem Schulabschluss keine Antwort. Das will der baden-württembergische Landesschülerbeirat ändern. f79-Volontär Pascal Lienhard hat mit einer Vertreterin über die Forderung nach Alltagsunterricht gesprochen.

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ Den Spruch haben wohl alle Schüler*innen schon einmal gehört. Aber wie viel Wahrheit steckt darin? Der LandesschülerbeiratBaden-Württemberg (LSBR) möchte dem Ideal näher kommen – und fordert mehr Alltagsthemen im Schulunterricht. Was das in der Praxis bedeutet, wie neue Lehrinhalte umgesetzt werden können und was Politik und Schüler*innen dazu sagen, verrät die LSBR-Pressesprecherin Jette Wagler (19) im Interview.

Jette Wagler

Setzt sich für mehr Alltagswissen im Schulunterricht ein: LSBR-Pressesprecherin Jette Wagler

f79 // Frau Wagler, was verstehen Sie unter Alltagsunterricht?

Wagler // Darunter verstehen wir im LSBR einen Unterrichtsansatz, der sich auf praxisnahe Themen und Fähigkeiten konzentriert, die im täglichen Leben relevant sind. Wenn Schulen den Anspruch vertreten, auf das Leben vorzubereiten, sollten neben traditionellen Fächern auch Themen wie Steuer und Investment einbezogen werden.

f79 // Was sind potentielle Inhalte?

Wagler // Die Einführung von steuerrechtlichen und anlagestrategischen Inhalten ist eine konkrete Forderung aus unserem Grundsatzprogramm. Weitere Inhalte könnten Gesundheit und Ernährung, zwischenmenschliche Kommunikation, Medienkompetenz und Zeitmanagement umfassen. In Bezug auf Berufsorientierung sollten Karriereplanung, Skills-Entwicklung und Einblicke in verschiedene Berufsfelder behandelt werden. Aber es müsste auch um ganz banale Dinge gehen: Wie unterschreibe ich einen Mietvertrag? Worauf muss ich da achten?

f79 // Wie haben Schüler*innen auf der einen und Politiker*innen auf der anderen Seite auf Ihren Vorstoß reagiert?

Wagler // Die Reaktionen der Politiker*innen variieren. Prinzipiell haben viele Verständnis für unseren Ansatz, mehr Alltägliches in der Schule zu vermitteln. Aber wenn es darum geht, andere Fächer zu kürzen oder anzupassen, sind noch ein paar von ihnen entschieden dagegen. Die Schüler*innen sind meistens begeistert und fordern mehr Alltagsunterricht. Das kann man auch verschiedenen Studien entnehmen. Auch unsere persönlichen Gespräche mit Schüler*innen bestätigen das. Sie haben ein großes Interesse, lebensbedeutsame Fähigkeiten zu erlernen.

f79 // Gibt es bereits Regionen mit einem solchen Alltagsunterricht?

Wagler // Es gibt Länder, die Elemente des Alltagsunterrichts in ihren Lehrplänen integriert haben. Einige skandinavische Länder haben beispielsweise Fächer, die sich auf Lebenskompetenzen und Berufsorientierung konzentrieren.

f79 // Fordern Sie ein eigenes Fach für den Alltagsunterricht? Oder könnten die Inhalte in andere Fächer integriert werden?

Wagler // Ein eigenes Schulfach könnte sicherstellen, dass wichtige Themen angemessen und systematisch vermittelt werden. Für realistischer halten wir jedoch eine Integration in bereits bestehende Fächer. Das spiegelt die Realität besser wider und stellt sicher, dass die Themen in einem sinnvollen Kontext behandelt werden. Möglich wären zudem Projektwochen zu relevanten Themen.

f79 // Welche Lehrkräfte könnten die Inhalte vermitteln?

Wagler // Natürlich können auch einige Lehrkräfte solche Inhalte in ihren jeweiligen Fächern vermitteln. Zum Beispiel im Fach Wirtschaft oder Gemeinschaftskunde. Wir unterstützen auch den Ansatz, externe Expert*innen stärker in den Schulalltag einzubeziehen. Eine Projektwoche zu Finanzen könnte beispielsweise sehr gut von externen Personen mit entsprechendem Fachwissen abgehalten werden. So könnte man sicher­stellen, dass die Schüler*innen auch mehr praxisnahe Informationen erhalten.

f79 // Müssten zur Umsetzung Ihrer Forderungen zusätzliche Stunden geschaffen werden?

Wagler // Wir sind bei der ohnehin starken Auslastung keine Fans davon, noch mehr Stunden pro Woche zu schaffen. Sollte der Alltagsunterricht als Fach eingeführt werden, müsste eventuell an anderen Fächern gespart oder ihnen eine Stunde pro Woche geklaut werden.

f79 // Wie schätzen Sie die Chance ein, dass der Alltagsunterricht tatsächlich in den kommenden Jahren etabliert werden wird?

Wagler // Die Lehrpläne werden ständig überarbeitet. Und die neuesten Studienergebnisse ergeben immer wieder, wie wichtig das Thema ist. Dass ein neues Fach eingeführt wird, halte ich allerdings für sehr unwahrscheinlich. Deswegen konzentrieren wir uns auch eher auf die Forderung, die Themengebiete stärker in den aktuellen Lehrplan sowie in die schon vorhandenen Fächer einfließen zu lassen.

Landeschülerbeirat

Der LSBR ist die baden-württembergische Schülervertretung. Er steht im Austausch mit Politik und Verbänden und fungiert als Beratungsgremium des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport.

Am 26. und 27. Januar steigt in der Stadthalle Geisingen (Landkreis Tuttlingen) der Landesschülerkongress. Die größte Veranstaltung für Schüler*innen in Süddeutschland bietet die Möglichkeit, sich zu vernetzen, weiterzubilden und für schulpolitische Belange zu engagieren.

Mehr Infos: www.lsbr.de

Fotos: © iStock.com/Ridofranz, Jette Wagler