»Es brennt lichterloh« – Das Ringen um die Rückkehr zu G9 Schule & Lernen | 18.09.2023 | Pascal Lienhard

Frau streicht G8 an einer Tafel durch.

Das Ländle ist Außenseiter. Baden-Württemberg ist das einzige westdeutsche Flächenland, in dem das acht­jährige Gymnasium noch Standard ist. Kritik am Sonderweg formulieren nicht nur Politik und Schüler*innen, sondern auch Eltern. f79-Volontär Pascal Lienhard, der 2012 zum ersten G8-Jahrgang gehörte, hat sich des Themas angenommen und mit einer Aktivistin gesprochen, die sich für die Rückkehr zu G9 einsetzt.

Das achtjährige Gymnasium ist auf dem Rückzug. Die Heidelbergerin Anja Plesch-Krubner setzt sich dafür ein, dass auch das Land Baden-Württemberg zum neunjährigen Gymnasium zurückkehrt. Nun will sie das Thema mit der Initiative „G9 jetzt! BW“ via Volksantrag in den Stuttgarter Landtag bringen.Weshalb sie sich für G9 einsetzt, wie sie die Erfolgsaussichten einschätzt und welche Erfahrungen sie als Mutter eines Abiturienten gemacht hat, berichtet sie im Interview.

Anja Plesch-Krubner

Lobby für Schüler*innen sein: Das will Anja Plesch-Krubner mit dem „Volksantrag G9“

f79 // Frau Plesch-Krubner, warum setzen Sie sich für die Rückkehr zu G9 ein?

Plesch-Krubner // Ich habe bei meinem Sohn mitbekommen, welch vollgepackte Wochenpläne Schülerinnen und Schüler durch G8 haben. Als Corinna Fellner und ich unsere Elterninitiative für G9 begonnen haben, war er in der achten Klasse. Mit seinem Eishockeytraining hatte er wahnsinnig lange Tage. Da bleibt wenig Freizeit. Zudem bin ich überzeugt, dass die Bildung unter G8 leidet. Viel Stoff  kommt viel zu früh. Landesweit gibt es nur 43 Modellschulen, an denen das Abitur in neun Jahren abgelegt werden kann. Die Plätze werden verlost, der Zulauf ist groß. Das ist nicht ausreichend für die übergroße Mehrheit der G9-befürwortenden Eltern.

f79 // Wie ist die Situation in anderen Bundesländern?

Plesch-Krubner // In Baden-Württemberg sind wir eine Enklave. Außer den Stadtstaaten sind in Westdeutschland alle Bundesländer zu G9 zurückgekehrt. Die ostdeutschen Länder sind beim achtjährigen Gymnasium geblieben. Aber dort ist das System traditionell gewachsen und nicht in einer Hauruckaktion entstanden. Zudem gehen dort weniger Schülerinnen und Schüler aufs Gymnasium. Dennoch wird auch in Thüringen die Einführung von G9 gefordert.

f79 // Warum nun der Volksantrag?

Plesch-Krubner // Da bisherige Petitionen und Eingaben folgenlos waren. Wir wollten uns aber erst einmal der Rückendeckung versichern. Daher haben wir im Juli vergangenen Jahres eine Videokonferenz organisiert und die Unterzeichner einer früheren G9-Petition eingeladen. Wir waren ganz aufgeregt, dass mehr als 300 Leute kamen. Da war klar, dass wir die notwendige Rückendeckung haben. Danach haben wir mit juristischer Hilfe einen Gesetzesentwurf aufgesetzt. Wenn wir bis November 39.000 Unterschriften zusammen haben, muss sich der Landtag öffentlich damit auseinandersetzen.

f79 // Wie viele Stimmen haben sie bisher?

Plesch-Krubner // Eine Zählaktion ist aufwendig. Bei der Bestandsaufnahme zur Halbzeit hatten wir an Pfingsten etwa 20.000 zusammen.

f79 // Oftmals werden Kosten und Lehrermangel als Argument gegen G9 angeführt. Wie stehen Sie dazu?

Plesch-Krubner // Natürlich würde das Geld kosten, letztendlich etwa 100 Millionen Euro pro Jahr. Direkt nach Einführung des G9 käme es zunächst sogar zu einer personellen Entlastung, da etwa eine Mittelstufenklasse dann nur 32 statt 36 Wochenstunden hat. Das gestrichene Jahr hat zu einer Ersparnis geführt, allerdings ist die G8-Reform gescheitert. Als Ärztin in der Psychiatrie weiß ich, dass vor allem während der Pandemie Krankheiten wie Burnout und Angststörungen unter Schülerinnen und Schülern zugenommen haben. Es brennt lichterloh. Volkswirtschaftlich wird es teuer, wenn wir viele instabile und kranke Kinder – später dann womöglich zahlreiche weniger belastbare Arbeitnehmer – haben. Und den Lehrermangel halte ich für ein schlechtes Argument. An Gymnasien gibt es immer noch mehr Bewerber als offene Stellen.

f79 // Was geschieht, wenn Sie nicht genügend Unterschriften bekommen?

Plesch-Krubner // Das wäre schon sehr, sehr schade. Aber diese Möglichkeit verdränge ich aktuell noch und versuche lieber, weiterhin möglichst viele Menschen zu mobilisieren. Es geht um das Wohl der Schüler, sie haben nur eine Biografie. Wir wollen ihre Lobby sein. Wir sind zwar auch Teil des Bürgerforums. Bei diesem sollen zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger über die Zukunft der Gymnasien diskutieren. Allerdings halte ich das für unnötig. Da gibt es keine neuen Argumente. Was dort entschieden wird, ist nicht bindend. Allein unser Volksantrag zwingt die Politik, das Thema zu verhandeln. Ich glaube daran, dass G9 wieder eingeführt wird. In der Politik hat sich schon jetzt etwas getan.

Info

Wenn die Initiative bis zum 13. November 39.000 Unterschriften abgeben kann, muss sich der Landtag mit dem G9-Gesetzesentwurf befassen. Weitere Infos gibt’s unter: www.g9-jetzt-bw.de

Der Landesschülerbeirat begrüßt die Unterschriftensammlung für den Volksantrag. Sprecherin Jette Wagler betont: „Wir unterstützen die Forderungen nach G9, aber mit einem Schnellläuferzug mit G8 an jedem Gymnasium.“ Im Konzept des Volksantrags ist die bedarfsgerechte Bereitstellung von G8-Zügen beziehungsweise Schnellläuferklasssen enthalten.

Foto: picture-alliance.com/Armin Weigel/dpa, G9 jetzt! BW