Leinsamen statt Chia: Superfood aus der REGIO Neuigkeiten | 11.11.2018 | Frank von Berger

Ob Quinoa oder Goji-Beeren: Superfoods sind seit einigen Jahren im wahrsten Sinne des Wortes in (fast) aller Munde. Aber was ist wirklich dran an den exotischen Pflanzen – und gibt es eigentlich auch regionale und preiswertere Alternativen?

Matcha, Lucuma und Spirulina, Maqui, Chia-Samen und Camu Camu – je exotischer der Name und je ferner die Herkunftsländer, desto wertvoller scheint das neue Wunderfutter zu sein. Allen diesen echten oder vermeintlichen Superfoods gemeinsam ist, dass sie vom Normalverbraucher so gut wie nie oder nur in kleinen Mengen verzehrt werden – und dass sie nicht ganz billig sind. Betrachtet man die oft bedenklichen Produktionsbedingungen vor Ort, die weiten Transportwege und die bei einigen Chargen nachgewiesenen Pestizidrückstände, haben die hippen Wunderwaffen für Fitness und gegen Zivilisationszipperlein leider einen etwas bitteren Nachgeschmack.

Dabei muss man bei einer ausgewogenen Ernährung nicht zwangsläufig zu Produkten wie der als „Vitamin-C-Booster“ beworbenen, aus Südamerika stammenden Acerola-Kirsche greifen. Auch hierzulande gibt es sogenannte Superfoods, die deutlich preiswerter und manchmal sogar gratis zu bekommen sind. Luzia Bollack-Beuschlein, Leiterin des Ernährungszentrums Ortenau am Offenburger Amt für Landwirtschaft, meint: „Wir brauchen diese weitgereisten Superfoods aus China, Nord- und Südamerika eigentlich nicht. Gerade hier in der Ortenau leben wir in einer wahren Superfood-Region!“

Balaststoffe, Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren: Wundermittel Leinsamen

Das Image von einheimischen Hagebutten, Heidelbeeren oder Haselnüssen ist freilich etwas angestaubt. Würde heute jemand in den Anden, am Amazonas oder im Himalaja diese Früchte neu entdecken, dann dauerte es gewiss nicht lange, und sie würden vom Handel als neues Wundermittel für mehr Fitness, Power und Attraktivität gefeiert. Denn ein willkürlich von der Werbung vergebenes Label macht aus ganz gewöhnlichen Nahrungsmitteln etwas vermeintlich Besonderes. „Der Begriff Superfood ist nicht klar definiert und kann für jedes beliebige Lebensmittel verwendet werden“, klärt Luzia Bollack-Beuschlein auf.

Gesunde Wildfrüchte

Schon die Uroma wusste, dass auch viele der bei uns einheimischen Wildfrüchte voller gesunder Inhaltsstoffe stecken. Die Hagebutten etwa, die den Wandernden jetzt im Herbst leuchtend rot in Feld und Flur begegnen, enthalten rund zwanzig Mal so viel Vitamin C wie die vergleichbare Menge Zitronen. Auch die Vitamine A und B sowie die Mineralstoffe Kupfer und Zink sind in der fleischigen Frucht der Wildrose enthalten. Zwar können Acerola-Kirschen und die im Amazonasgebiet wachsende Camu Camu-Frucht den Vitamin-C-Gehalt der Hagebutten lässig toppen. Aber da dieses Vitamin vom Körper nicht gespeichert werden kann und ein Überschuss auf natürlichem Wege wieder ausgeschieden wird, ist eine hochdosierte Zufuhr dieses Wirkstoffs wenig sinnvoll. Also öfter mal Hagebuttenmus statt anfallartig Acerola-Kirschen in Hochdosierung zu konsumieren ist demnach hilfreicher fürs Immunsystem.

Nicht nur Hagebutten und Vogelbeeren (unten) sind Vitamin-C-Spender, auch Saisongemüse wie Grünkohl (s. Bild) steckt voller Vitamine.

Heimische Vitamin-C-Spender sind übrigens auch Sanddornbeeren und die knallroten Früchte der Kornelkirsche. Und statt teurem Chia-Samen aus Südamerika empfiehlt sich der gute alte Leinsamen mit gleichen Qualitäten, aber deutlich günstigerem Preis. „Auch blaue Trauben sowie ein Gläschen Rotwein versorgen uns mit wertvollen Anthocyanen, denen gesunderhaltende Eigenschaften zugesprochen werden. Und das zu einem deutlich günstigeren Preis und mit kürzeren Wegen, die sich daher positiv auf unser Klima auswirken“, weiß die Ernährungsexpertin.

Andere heimische Vitaminschleudern findet man ebenfalls in der Natur oder im Garten. Gerade jetzt im Herbst hat Wildobst Hochkonjunktur und kann Erkältungen vorbeugen. Einige der wilden Früchtchen sind wahre Fitmacher für den Winter. Doch man sollte sich auskennen und nicht alles, was bunt und lecker aussieht, gleich in den Mund stecken. Nascht man etwa die leuchtend orangeroten, erbsengroßen Früchte der Eberesche, im Volksmund auch Vogelbeeren genannt, direkt vom Baum, wird man rasch das Gesicht verziehen. Die vitalstoffreichen Früchte werden erst durch Frosteinwirkung entbittert. Dann aber kann man daraus Konfitüre, Kompott, Sirup oder Likör bereiten. Von Bitterstoffen nahezu frei sind dagegen die Früchte der Mährischen Eberesche.

Frostige Abreibung gefällig

Auch andere einheimische Wildobstarten brauchen eine frostige Abreibung, bevor sie genießbar werden. Die ersten eisigen Nächte machen die Früchte von Schlehen und säuerlich schmeckenden Berberitzen, im Volksmund auch Sauerdorn genannt, weich und aromatisch. Auch die etwas fad schmeckenden Mehlbeeren und die nahe verwandten Elsbeeren mit teigigem Fruchtfleisch werden erst durch Frosteinwirkung genießbar. Die golfballgroßen, schorfigen Früchte der aus Südosteuropa stammenden, hierzulande aber gelegentlich gepflanzten Echten Mispeln brauchen sogar noch einige Minusgrade mehr und werden oft erst im Dezember erntereif. Dann kann man daraus aber eine köstliche Konfitüre oder ein Fruchtmus zubereiten.

Wer sich nicht zutraut, Wildobst in die Menüplanung einzubeziehen, muss übrigens nicht gleich zu exotischem Superfood wie Noni-Saft, Açai-Beeren oder Maca-Pulver (die getrockneten, zermahlenen Knollen einer peruanischen Kresseart) greifen. Meistens genügt es schon, wenn man täglich einen Apfel (bitte mit Schale!) isst und öfter mal Saisongemüse aus der Region auf den Tisch bringt. Sogenanntes „Green Food“, also Blattsalate, Spinat, Grünkohl und frische Würzkräuter, stecken voller Vitamine und Vitalstoffe. Und ein bei uns seit Jahrhunderten bewährtes „Superfood“ ist rohes Sauerkraut, das praktisch fettfrei, aber reich an Milchsäure, Vitamin A, B und C sowie Mineralstoffen ist und die Verdauung in Schwung bringt.

Fotos: © Frank von Berger