Fechten für die Eins: Auszubildende kämpft um ihre Note Ausbildung & Arbeit | 27.10.2019 | Till Neumann

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Noten können Türen öffnen. Oder sie für immer schließen. Egal ob in der Schule, Ausbildung oder an der Uni. Daher werden sie immer häufiger angezweifelt. Notfalls auch mit dem Anwalt, wie der Fall einer Freiburger Auszubildenden zeigt. Ein Experte sagt: Wichtig ist, früh und überlegt zu handeln.

Anna Maier (Name geändert) hatte in ihrer Ausbildung immer Bestnoten. Die Mediengestalterin aus dem Freiburger Umland versteht ihren Job. Im Sommer hat sie ihre Abschlussprüfung gemacht. Mit dem Gefühl, die Aufgaben gut gelöst zu haben. Doch drei Wochen später kam das Zeugnis per Post – mit einer bösen Überraschung: Für die praktischen Prüfungen bekam sie lediglich die Note „befriedigend“.

Nur ein Punkt fehlte zur Note „gut“. Allein das wäre eine Abweichung von der Norm. Denn sonst hatte Maier überwiegend 1,0-Ergebnisse. Also beschloss sie, sich schlauzumachen. „Ich wollte herausfinden, warum die Note so ist“, erzählt Maier. Erklären konnte sie sich den Fall nicht.

Fragen bleiben unbeantwortet

Maier wandte sich an die Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein, die ihre Ausbildung koordiniert. Dort hat sie das Recht, die einzelnen Ergebnisse einzusehen. Drei Aufgaben waren bei der Prüfung zu bewältigen, die gemeinsam eine Note ergeben. Beim Vor-Ort-Termin wollte sie erfahren, wie die einzelnen Bewertungen ausgefallen sind.

Der Termin bei der IHK lief jedoch nicht wie erhofft. „Sie konnten mir nicht alles vorlegen“, erzählt Maier. Warum, weiß sie selbst nicht. Fragen dazu seien unbeantwortet geblieben. „Für mich fühlt sich das an, als hätte jemand was verbockt“, sagt Maier. Sie hat mit Hilfe eines Anwalts Widerspruch gegen die Benotung eingelegt. Ein rechtlicher Schritt, für den sie vier Wochen Zeit hat.

Stellung nehmen zu dem Fall möchte die IHK aufgrund des laufenden Verfahrens nicht. Bei der Pressestelle heißt es: „Die Zahl der Widersprüche liegt im unteren Null-Komma-Bereich. Dennoch nehmen wir natürlich jeden Fall sehr ernst.“ Einen solchen Widerspruch könne jeder Prüfling einlegen. Etwa einem Drittel werde stattgegeben.

Der Fall von Anna Maier ist keine Ausnahme. Die Zahl infrage gestellter Noten steige kontinuierlich an, sagt Thomas Böhm. Der 64-jährige Schulrechtsexperte hat im Juni das Buch „Diese Note akzeptieren wir nicht“ herausgebracht. Von Lehrern, die er fortbildet, weiß er: Die Konflikte nehmen zu. Der Grund? „Das hängt sicherlich mit der Bedeutung der Noten zusammen“, sagt Böhm. Für viele Studienfächer brauche es einen Numerus Clausus. Auch für sonstige Bewerbungen in Betrieben oder für Ausbildungsplätze brauche man ein passables Zeugnis.

Gute Argumente sind wichtig

Thomas Böhm

Schulexperte: Thomas Böhm

Dennoch werden die Erfolgschancen von angefochtenen Noten oft überschätzt. „Weil Eltern oder Schüler den Beurteilungsspielraum von Lehrern nicht wirklich berücksichtigen“, erklärt Böhm. Der Spielraum sei oft so groß, dass Proteste wenig bringen. Die Erfolgschancen würden daher bei weniger als 50 Prozent liegen.

Wichtig sei, gut darlegen zu können, warum man eine Note anfechtet. „Sie haben das im Unterricht nicht gut erklärt“, reiche nicht als Argument. Erfolgversprechender sei, wenn ein Thema im Unterricht überhaupt nicht behandelt wurde, in der Prüfung aber abgefragt werde. Oder wenn Anmerkungen unter der Klausur nicht zur Note passen. Oder wenn bei der Bewertung ganz offensichtlich ein Fehler unterlaufen ist.

Das Unproduktivste ist für Böhm, gleich zur Schulleitung zu gehen. „Der erste Schritt sollte immer der zum Lehrer oder Prüfer sein“, betont Böhm. Und das möglichst früh. Oftmals stoße man da mit einer sachlichen Bitte um Erklärung auf offene Ohren. „Der Lehrertypus, der der Überzeugung ist, immer im Recht zu sein, ist seit langer Zeit ausgestorben“, sagt Böhm.

Ein solches Gespräch ist eine formlose Beschwerde. Rechtlich aufwendiger wird es bei einem formalen Widerspruch, wie ihn Anna Maier eingelegt hat. Der Widerspruch kann nur bei zentralen Bewertungen eingelegt werden wie Abiturnoten oder einem Abschlusszeugnis. Für eine ganz normale Klassenarbeit gibt’s diese Option nicht. Gültig ist das für alle Bereiche mit Noten, erklärt Böhm. Egal ob Schule, Ausbildung oder Uni.

Der Kampf um Noten hat auch Schattenseiten, wie der Autor feststellt. Er berichtet von Lehrern, die im Zweifelsfall eher eine bessere Bewertung geben als die schlechtere. So wollen sie sich Ärger ersparen.

Andere ist es zu stressig

Für Anna Maier ist die Note nicht zukunftsentscheidend. Ihren Platz für ein duales Studium hat sie bereits sicher. Ihr geht es ums Prinzip: „Es kann nicht sein, dass sie hier abziehen, was sie wollen, und keiner macht was.“ Sonst gehe das die nächsten Jahre einfach so weiter.

Gerne hätte sie direkt das Gespräch mit ihren Prüfern gesucht. Doch sie weiß nicht, wer diese sind. Ihr ist nicht einmal bekannt, wie viele Prüfer es für ihre Arbeiten gibt. „Mir wurde im Betrieb gesagt, es könnten zwölf sein“, sagt Maier.

Sie ist nicht die Einzige ihres Jahrgangs, die von der Note irritiert ist. Von drei Kollegen weiß sie, dass ebenfalls um Einsicht in die Prüfungsunterlagen gebeten wurde. Widerspruch legte jedoch nur sie ein. „Das war ihnen zu viel Stress“, berichtet Maier.

Die Kosten für den Anwalt sind über eine Versicherung des Vaters gedeckt. Und das Engagement könnte sich lohnen: Dem Widerspruch wurde stattgegeben, ihre Prüfung soll nun neu bewertet werden.

HWK bietet mehr Einblicke

Wie viel Einblick in Ergebnisse gewährt die IHK ihren Auszubildenden? Die IHK lässt die Frage offen und betont die hohe Qualität der Prüfer: „Wichtig sind Sachkunde und fachliche Erfahrung, Kommunikations- und Urteilsvermögen sowie ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein, aber auch Reife und pädagogisches Gespür und Interesse an der Förderung des Fach- und Führungskräftenachwuchs.“ Rund 2000 Prüferinnen und Prüfer seien dort ehrenamtlich im Einsatz, manche seit Jahrzehnten.

Für die Zukunft würde Maier sich mehr Transparenz wünschen. Sie fordert, dass Auszubildende die Möglichkeit bekommen, nach abgelegter Prüfung eine halbe Stunde mit dem entsprechenden Prüfer zu sprechen. „Sonst wird man voll vor den Kopf gestoßen“, findet die Mediengestalterin.

Bei der Handwerkskammer Freiburg ist das möglich. Die Pressestelle teilt mit: Schon am letzten Prüfungstag, an dem die Prüflinge auch erfahren, ob sie ihre Gesellenprüfung bestanden haben oder nicht, werden ihnen die Ergebnisse dort erläutert. Auch bei Auszubildenden ist das bekannt. „Die HWK ist da viel offener“, sagt ein Auszubildender aus Freiburg, der beide Seiten kennt.

Fotos: © Jan Vasek / pixabay.com, privat