„Unerträgliche Abzocke“: Streit um Studiengebühren für Nicht-EU-Studenten Schule & Studium | 18.06.2018 | Till Neumann

Studiengebühren für Nicht-Eu-ler erhitzen weiter die Gemüter. Zwei Betroffene erzählen, ein Student engagiert sich, eine Politikerin will sie abschaffen.

Tausendfünfhundert Euro pro Semester zahlen Studierende aus Nicht-EU-Ländern an baden-württembergischen Universitäten seit Oktober. „Unfair“ finden das nicht nur zwei Chinesinnen in Freiburg. Die Landesregierung möchte mit ihrem Geld das Bildungsangebot verbessern. Doch jüngste Zahlen lassen die Zweifel daran wachsen, ob die Rechnung aufgeht.

„Natürlich finden wir das unfair“, sagen Lijun Qioan und Shuo Kin (Foto oben) zu den Studiengebühren. Die zwei 24 Jahre alten Chinesinnen sind seit Oktober in Freiburg. Jetzt sitzen sie während einer Vorlesungspause in der Unibibliothek und erzählen. Sie machen einen VWL-Master und fühlen sich gestresst. Jedes Semester, das sie länger hierbleiben, kostet viel Geld. „So schnell wie möglich“ wollen sie deswegen den Abschluss machen. Deutsche Kommilitonen könnten sich dafür Zeit lassen. Gerecht fühlt sich das nicht an, sagen sie.

Verärgert: Gabi Rolland

Die Studentinnen sind 2 von 5688 Nicht-EU-lern, die seit Oktober in Baden-Württemberg ein Studium angefangen haben. Sie müssen 3000 Euro im Jahr bezahlen – wenn sie nicht unter Ausnahmeregelungen fallen. Das sind viele, zeigte sich Ende Mai im Landtag auf SPD-Anfrage: Nur rund die Hälfte aller Betroffenen zahlen Gebühren: 2839 Studierende. Befreit werden beispielsweise Begabte oder Studierende aus Entwicklungsländern.

Eine lautstarke Gegnerin ist Gabi Rolland. Die SPD-Landtagsabgeordnete ist hochschulpolitische Sprecherin ihrer Partei und findet die Bezahlpflicht „diskriminierend und sozial selektierend“. „Es ist unerträglich, junge Menschen so abzuzocken“, schimpft sie. Um den Hochschulstandort Baden-Württemberg macht sie sich Sorgen. Schließlich ist es das einzige Bundesland, in dem die Gebühr erhoben wird. Unis in Köln, München oder Hamburg sind weiterhin kostenfrei.

Das Bildungsministerium hält dagegen: „Gebühren für internationale Studierende sind europäischer Standard und ein solidarischer Beitrag zur Finanzierung des Hochschulsystems.“ Es verlangt zudem seit Oktober für alle Studenten 650 Euro pro Semester für ein Zweitstudium.

Wie sich die Gebühren für nicht EU-ler auswirken, ist seit Kurzem offiziell: Um rund 20 Prozent ist deren Zahl in Baden-Württemberg zurückgegangen. „Ein erheblicher Einbruch“, sagt Rolland. Bildungsministerin Theresia Bauer (Grüne) interpretiert die Zahlen anders: Der Rückgang sei geringer als erwartet, lässt ihr Ministerium mitteilen.

Rund 4,2 Millionen Euro nimmt das Land dieses Semester durch die Gebühren ein. 5,4 Millionen waren geplant. „Kosten und Nutzen stehen in keinem Verhältnis“, sagt Rolland. Sie ist überzeugt, dass der Verwaltungsaufwand die Einnahmen schluckt. Von „durchaus relevanten Beträgen“, spricht das Bildungsministerium.

Lijun Qioan und Shuo Kin hätten die Gebühren gerne umgangen. Als Studienstandort standen Kassel und Freiburg zur Wahl. Beim Ranking-Vergleich schnitt Freiburg deutlich besser ab. Also fiel ihre Wahl auf den Breisgau.

Engagiert: Philipp Stöcks

Auch Physikstudent Philipp Stöcks ist empört. Als Vorsitzender des Freiburger Studierendenrats setzt sich der 22-Jährige für betroffene Kommilitonen ein. „1500 Euro sind ein krasser Betrag“, sagt er. Das gleiche Recht auf Bildung sei verletzt. In den Hörsälen mache sich ein beklemmendes Gefühl breit: „Man weiß, dass der Nachbar 1500 Euro zahlt, man selbst aber nichts.“

Drei Studenten haben gegen die Gebühren geklagt, einer davon aus Freiburg. Bei allen Klagen hat Stöcks mitgewirkt. Auch einen landesweiten Aktionstag gegen die Gebühren hat der Studierendenrat-Chef im Mai organisiert. Freiburg ist damit der aktivste Anti-Studiengebühren-Standort.

Parallel zum Landestrend geht auch an der Uni Freiburg die Zahl der Nicht-EU-Studenten zurück, 472 haben sich zum Wintersemester eingeschrieben. 15 Prozent weniger als im Vorjahr.

Erfreut ist man im Rektorat nicht: „Die Universität Freiburg hat deutlich weniger Erstsemester-Studierende (15%) verloren als im Landesdurchschnitt (21%)“, sagt Juliane Besters-Dilger, Prorektorin für Studium und Lehre. „Wir bedauern aber jeden einzelnen Fall, in dem eine Studieninteressentin oder ein Studieninteressent infolge der Studiengebühren auf ein Studium in Baden-Württemberg verzichtet hat.“

Die Aussage passt zu einem Beschluss des Universitätssenats, in dem neben Philip Stöcks auch Uni-Rektor Hans-Jochen Schiewer sitzt: Der Senat hatte sich vor Einführung der Gebühr mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen – als einziger in Baden-Württemberg.

Fotos: © Till Neumann & privat

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