Nur am Sonntag im Kino Harmonie: Alfonso Cuaróns „Roma“ – Gewinnerfilm des Goldenen Löwen in Venedig Kinonews | 07.12.2018 | Erika Weisser

Cléo ist klein, flink, gütig, freundlich, diskret, unauffällig. Oder besser, sie macht sich unauffällig: Ohne Pause und fast geräuschlos ist die stets gut gelaunte junge Frau mit den langen schwarzen Haaren und dem aufmerksamen Blick in dem riesigen, in Mexiko-Citys wohlhabendem Stadtviertel Roma gelegenen Haus einer kinderreichen Arztfamilie unterwegs, deren Haushalt sie versorgt.

Zusammen mit Adena, die aus demselben Dorf der indigenen Mixteken kommt wie sie und die sie zärtlich „manita“ – Schwesterchen – nennt. Die beiden guten Seelen putzen, kochen, waschen, bügeln, räumen Kindersachen auf, schrubben den vom Familienhund ständig verdreckten Innenhof, bedienen außer dem Ehepaar und dessen vier Kindern auch die Großmutter – wann immer diese es wünschen.

Cléo ist außerdem auch für die Kinder zuständig; sie weckt sie, richtet ihnen frühstück und Vesper, bringt den Kleinsten zur Schule und holt ihn wieder ab, spielt und singt mit ihnen, schlichtet ihre Streitereien, bringt sie ins Bett. Und ist dabei auf so liebevoller Augenhöhe mit ihnen, dass diese sie längst in ihr Herz geschlossen haben, dass sie für das Mädchen und die drei Jungen die eigentliche Ansprechpartnerin in der Familie ist.

Die beiden Mixtekinnen müssen zwar viel arbeiten, doch sie werden von allen Familienmitgliedern respektvoll behandelt; sie teilen sich ein kleines Zimmer, in dem sie abends kichernd Gymnastik machen, und wenn sie hin und wieder zusammen ausgehen, haben immer viel Spaß miteinender. Und mit den beiden jungen Männern, mit denen sie sich im Kino oder im Vergnügungspark verabreden.

Doch die Welt ist nicht so heil, wie es scheint: Der Ehemann und Vater verlässt die Familie, seine Frau Sofia verheimlicht das den Kindern, erzählt ihnen, dass er auf einer längeren Dienstreise in Kanada sei. Cléo, die die Wahrheit kennt, ist solidarisch mit der Chefin; sie verrät nichts, wendet sich den Kindern jedoch umso liebevoller zu. Dabei hat sie selbst große Sorgen: Sei ist schwanger von Fermín, einem paramilitärischen Kampfsportler, den sie kaum kennt und der sie im Stich lässt, als sie ihm davon erzählt.

Ganz anders als erwartet reagiert hingegen Sofia, als Cléo sie voller Angst vor einer Kündigung über ihern Zustand informiert: Sie tröstet sie, behält sie in der Familie, geht mit ihr zu einer Vorsorgeuntersuchung, kümmert sich um kostenlose ärztliche Betreuung – ist also ihrerseits solidarisch mir Cléo. Die beiden verlassenen Frauen finden Halt aneinander, ohne dass sie jedoch zu Freundinnen werden oder auch nur die Klassenunterschiede überwinden würden. Obwohl sie mehr und mehr zum Gravitätszentrum der Familie wird, bleibt Cléo das Dienstmädchen – und Sofia die Herrin. Daran werden auch die weiteren, teils herzzerreißend dramatischen Ereignisse nichts ändern. ,

Alfonso Cuaróns stark autobiografisch geprägter Film, den er seinem eigenen mixtekischen Kindermädchen Libo (Liboria Rodriguez) gewidmet hat, spielt zu Beginn der 1970-er Jahre, in Zeiten, da in Mexico heftige politische Unruhen herrschten und Hunderte Regimegegner spurlos verschwanden. So geraten Cleo und die Großmutter der Familie, als sie sich in einem Kaufhaus im Zentrum der Hauptstadt nach einer Baby-Grundausstattung umsehen, mitten in eine Auseinandersetzung zwischen rebellierenden Studenten und Polizei sowie rechtsgerichteten paramilitärischen Truppen. Mindestens 120 Menschen wurden bei diesem so genannten “Fronleichnamsmassaker“, das tatsächlich am 10,´. Juni 1971 stattfand, von der von der damaligen Regierung gestützten Milizgruppe „Halcones“ erschossen.

Cléo wird Augenzeugin eines solchen Mords – und die Tatsache, dass ausgerechnet Fermín der Täter ist, löst eine Reihe von höchst dramatischen Ereignissen aus, die den ganzen weiteren Film bestimmen, die hier aber nicht verraten werden sollen. Nur so viel: „Roma“ macht die Vergangenheit gegenwärtig, lässt einen trotz seiner 135 Minuten nicht einmal für einen kleinen Moment los.

Es dürfte der schönste, ungewöhnlichte und bewegendste Film des Jahre sein. Nicht nur wegen seiner Geschichte und der Art, wie diese in Szene gesetzt ist. Diese Hommage an eine schlichte und so kraftvolle Frau ist auch rein ästhetisch ein Kunstwerk: Die Schwarz-Weiß-Bilder sind mit sämtlichen Grau-Variationen versehen, die es überhaupt nur gibt, die von Cuarón selbst geführte Kamera hat immer genau die richtige Distanz und Nähe; sie wird niemals voyeuristisch und fängt denn och für sich sprechende Details ein – und Soundtrack und Geräusche stimmen auch.

Kein Wunder also, dass dieser Film bei den Filmfestspielen in Venedig 2018 den Goldenen Löwen gewann.

Leider ist er nur in wenigen Kinos und da auch nur für eine sehr begrenzte Zeit zu sehen: „Roma“ wird von Netflix herausgebracht und ist ab 14. Dezember weltweit online zu streamen. Genau 38 Kinos in Deutschland haben es sich aber nicht nehmen lassen, diesen Film wenigstens ein- oder zweimal dorthin zu bringen, wo er hingehört, nämlich auf die große Leinwand. Das Kino Harmonie in Freiburg ist eines von ihnen: Am Sonntag, 9. Dezember, 20.40 Uhr. Wer Zeit hat, sollte sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Roma
Mexiko/USA 2018 2017
Regie: Alfonso Cuarón
Mit: Yalitza Aparício, Marina de Tavira, Diego Cortina Autrey u.a.
Laufzeit: 135 Minuten
Nur am Sonntag, 9. Dezember, 20.40 Uhr im Kino Harmonie

Bilder: © Netflix/Carlos Somonte