Rätselhafte Splitter: Eine skurrile emotionale Reise zwischen erlebten und erträumten Erinnerungen Kinonews | 15.02.2024 | Erika Weisser

Filmausschnitt: Linoleum Cameron und seine Frau

Cameron ist Astronom. Seit Jahren erforscht er mit ­naturwissenschaftlichen Mitteln akribisch die Positionen, Bewegungen und Eigenschaften der Objekte im Universum. Mit großer Leidenschaft beschäftigt er sich mit der Sonne, den Planeten, Monden, Sternen, Asteroiden, Galaxien und anderen Himmelskörpern, aber auch mit der ­interstellaren Materie und der im Weltall auftretenden Strahlung. Viel Erfolg hat er dabei nicht, mangels großartiger Entdeckungen plätschert sein berufliches Leben ebenso dahin wie sein privates.

Bis ein neuer Nachbar, der wie eine bessere, weil vitale Version von ihm selbst wirkt, Camerons ruhiges Vorstadt-Mittelstandsleben aus der Bahn wirft und ihn in eine veritable Midlife-­Crisis stürzt. Seine wenig ruhmreiche Karriere implodiert, und auch seine Ehe steht vor dem Zusammenbruch, die Kinder entgleiten ihm zusehends. Von Selbstzweifeln geplagt, hält er nicht einmal die Überreste einer abgestürzten Raumkapsel, die er eines Morgens in seinem Garten findet, für echt.

Doch dann lassen die kaputten Teile des mysteriösen Flugobjekts aus dem All seinen Kindheitstraum wiedererstehen – von einer Astronautenkarriere, die er einst gegen eine sicherere Laufbahn in der Forschung eintauschte. Nach kurzem Zögern sammelt er den Weltraummüll ein, räumt seine Garage leer und beginnt darin mit dem Bau einer eigenen Mondrakete. Das ist der Ausgangspunkt einer skurrilen und emotionalen Reise, die ihn zwar von seinen Angehörigen entfernt, doch ihn sich selbst wieder näher bringt. In einer anderen Welt. Und in einem umwerfenden Finale, das wohl niemanden unberührt lässt.

Colin West, der zu den jungen, ambitionierten US-Filmregisseuren gehört, beglückt in seinem zweiten Film mit einer mitreißend versponnenen Story, die er mit Thriller-, Mystery- und Science-­Fiction-Motiven anreichert und zu einem völlig unerwarteten Plot verbindet. Mehrere Jahre hat er an der fantastischen, dem in einer Doppelrolle brillierenden Comedy-Star Jim Gaffigan wie auf den Leib geschriebenen Geschichte getüftelt.

Ausgangspunkt, sagt er, seien Besuche bei seinem Großvater gewesen, den er beim langsamen Abgleiten in die Demenz beobachten konnte. Dabei sei er „Zeuge geworden, wie seine subjektive Geschichte begann sich zu vermischen, zu überlagern und zu einer Art Ansammlung von Erinnerungen zu werden, die er einmal gelebt oder im Fernsehen gesehen oder geträumt hatte. In seinem Kopf schien die Realität anderen Regeln zu folgen – eher einem Prozess der Entdeckung und Erkundung, bei dem die emotionale Relevanz im Vordergrund steht“. Und diese Erfahrung hat er nun zu Camerons Geschichte verwoben – voller magischem Realismus, situativem Humor und herzlichem Familiendrama.

Linoleum
Das All und all das
USA 2023
Regie: Colin West
Mit: Jim Gaffigan, Rhea Seehorn, Katelyn Nacon, Gabriel Rush, Tony Shalhoub u.a.
Verleih: Camino
Laufzeit: 101 Minuten
Start: 15. Februar 2024

Foto: © Camino Filmverleih