Angriff der Arten: Multi-Milliarden-Schaden – Invasive Tiere und Pflanzen bedrohen hiesige Ökosysteme Natur & Umwelt | 26.07.2024 | Philip Thomas
Retter in der Not? Die Samuraiwespe befällt Eier der Marmorierten Baumwanze.Tigermücke, Nosferatuspinne, Baumwanze. In Baden-Württemberg machen sich invasive Arten breit. Die unliebsamen Gäste bedrohen heimische Arten und Ökosysteme. Weil Fressfeinde fehlen oder Pflanzenschutzmittel unwirksam sind, können sich die Invasoren nahezu ungehindert ausbreiten. Das verursacht europaweit Schäden in Milliardenhöhe.
„Wir sind ein Einfallstor“, sagt Christine Dieckhoff vom Sachgebiet Biologischer Pflanzenschutz am Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg (LTZ). Wie viele gebietsfremde Arten sich im Südwesten genau einquartiert haben, ist auch Daniel Schulz-Engler, Leiter der Koordinierungsstelle der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW), nicht bekannt.
Aufgrund der Lage an Rhein und Donau, vergleichsweise mildem Klima sowie etablierten Verkehrspfaden, kann es laut Schulz-Engler aber „durchaus möglich sein, dass in Baden-Württemberg mehr gebietsfremde Arten vorkommen als in anderen Regionen Deutschlands.“ Zahlen liegen der LUBW nicht vor.
Mindestens 20 invasive Arten in BW
Die sogenannte „Unionsliste“ der EU listet seit 2022 insgesamt 88 Tier- und Pflanzenarten, die mit ihrer Ausbreitung Lebensräume, Arten und Ökosysteme auf dem Kontinent beeinträchtigen können. Davon sind 20 Arten in Baden-Württemberg etabliert. Michael Wohlwend an der Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement der Universität Freiburg geht davon aus, dass es noch mehr sind: „Viele sind wohl noch unentdeckt.“
Laut einem Bericht des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) aus dem Jahr 2023 sind global mehr als 37.000 Arten gebietsfremd, 3500 gelten als invasiv. Denn nicht jede Art, die eingeschleppt wird, ist schädlich und damit definitionsgemäß invasiv. Und nicht jede Art, die in Deutschland ankommt, kann sich hierzulande verbreiten: Die Experten gehen davon aus, dass – je nach Artengruppe – zehn Prozent aller eingeschleppten Arten in diesen Breitengraden überleben können. Wiederum knapp zehn Prozent bilden Populationen und noch mal circa zehn Prozent können laut Wohlwend invasiv werden.
Ins Land gelangen die Tiere vor allem über Verkehr und Handel. „Dabei können gebietsfremde Arten in und an Waren, aber auch an deren Transportmitteln unbeabsichtigt ver- und eingeschleppt werden“, erklärt Schulz-Engler. Laut Invasionsbiologe Wohlwend gelangen beispielsweise Tigermücken in Autoreifen, Spinnen in Bananenkisten und Pflanzensamen als Verunreinigungen im Saatgut über Ländergrenzen. Der Klimawandel begünstigt die Verbreitung. „Die Wintersterblichkeit vieler Arten ist nicht mehr so hoch wie früher. Auch die Bergkette der Alpen kann öfter überwunden werden“, sagt Dieckhoff vom LTZ.
Aktenkundig sind auch freigelassene Exoten, beispielsweise Fische aus Aquarien. Oft ist die Gefahr zunächst unsichtbar: Der wohl im Jahr 2015 aus solchen Gehegen eingeschleppte sogenannte Salamanderfresserpilz ist ein aggressiver Keim, der Löcher in die Haut von Amphibien frisst. Die Tiere ersticken, weil ihre Haut nicht mehr atmen kann. „Über kurz oder lang wird er den Feuersalamander in Deutschland ausrotten“, so Invasionsbiologe Wohlwend.
Sogar absichtliche Einbringungen aus wirtschaftlichen Interessen sind überliefert: 1934 ließ ein Pelztierzüchter am hessischen Edersee vier nordamerikanische Waschbären frei. Fressfeinde haben die maskierten Allesfresser hierzulande nicht. Heute leben schätzungsweise mehr als eine Million Tiere im Bundesgebiet. Laut Schulz-Engler beeinträchtigen sie die hiesigen Amphibienpopulationen erheblich.
Besonders problematisch seien invasive Flusskrebsarten wie der aus Nordamerika stammende Signalkrebs. „Dieser dringt nach Freisetzung in unseren Gewässern in die Mittel- und Oberläufe der Fließgewässer vor und verdrängt dort die letzten heimischen Populationen von Dohlen- und Steinkrebs oder infiziert diese mit der für sie tödlichen Krebspest“, so Schulz-Engler.
Dass Behörden die Tiere ernst nehmen, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 2021. Zöllner des Amts Weil am Rhein-Autobahn stoppten einen 46-Jährigen, der 17 lebende Wollhandkrabben ins Land kutschieren wollte. Bis zu 50.000 Euro kann so ein Vorfall kosten.
Auch für Menschen schädliche Arten wie die Asiatische Tigermücke haben es nach Baden-Württemberg geschafft. Im April rief das Freiburger Rathaus zur Bekämpfung der Schnake auf, weil die aggressive Art Krankheitserreger wie Dengue- und Zika-Viren übertragen kann. Die Mücken brüten in Wasseransammlungen wie Eimern, Gießkannen oder Autoreifen. Zur Bekämpfung lässt die Stadtverwaltung biologisches Larvizid einsetzen und gibt dieses auch an die Bevölkerung aus.
Weiter südlich am Bodensee vermehrt sich die Quaggamuschel. Die Art stammt eigentlich aus dem Schwarzen Meer und verbreitet sich durch Schiffe und im Gefieder von Wasservögeln. Eine Studie der Universität Konstanz aus dem Jahr 2023 geht davon aus, dass die Population in den nächsten 22 Jahren im Bodensee, Genfersee und Bielersee um den Faktor 20 wächst und Schäden in Millionenhöhe verursacht, weil die bis zu vier Zentimeter lange Art dort auch Leitungen von Versorgern verstopft.
Laut LUBW lassen sich die Schäden in Baden-Württemberg nur schwer beziffern – auch weil nicht bloß Umweltämter „zum Teil umfangreiche Mittel“ zum Umgang mit invasiven gebietsfremden Arten aufwenden. Systemisch erfasst werden die Summen laut Schulz-Engler nicht. Klar ist: Allein die Maßnahmen gegen Unionslistenarten durch die Naturschutzverwaltung kosten Steuerzahler mehr als 500.000 Euro im Jahr.
Ganze Flüsse umgraben
Reichen diese Mittel? „Nie. Aber wenn diese Arten etabliert sind, ist es oft auch schon zu spät“, betont Wohlwend. Um etwa das heimische Pflanzen verdrängende Indische Springkraut an deutschen Fließgewässern einzudämmen, müssten laut Wohlwend ganze Flüsse umgegraben werden.
Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) geht in einem Bericht aus dem Jahr 2019 von jährlichen Schäden im Wert von mehr als 423 Milliarden Dollar durch biologische Invasionen aus. Eine 2023 in der Fachzeitschrift „Environmental Sciences Europe“ veröffentlichte Studie geht davon aus, dass sich die Ausgaben allein in der Europäischen Union auf mehr als 26,64 Milliarden Euro belaufen. Bis 2040 modellieren die Forscher einen Gesamtschaden in Höhe von 142,73 Milliarden Euro.
Ein teurer Kampf, auch weil gegen viele Arten kein Kraut gewachsen ist. „Die Regulation durch natürliche Gegenspieler fehlt hier. Das ist ein großer Faktor“, sagt Dieckhoff. Von heimischen Vögeln wird die Marmorierte Baum- oder Grüne Reiswanze beispielsweise verschmäht. Auch mit Pflanzenschutzmitteln oder bekannten Pheromonfallen ist die seit 2011 in Deutschland vorkommende Marmorierte Baumwanze kaum zu bekämpfen.
Helfen könnten zum Teil andere, ebenfalls gebietsfremde Arten wie die sogenannte Samuraiwespe. Diese parasitieren in Wanzeneiern und stören damit die Fortpflanzung. Ausgesetzt werden darf dieser Gegenspieler laut LTZ nicht. Allerdings breitet sich auch diese Art in Deutschland gerade ohne weiteres menschliches Zutun aus.
Fotos: © Christine Dieckhoff, Klaus Schrameyer LTZ