Bis 2100: Wissenschaftler prognostizieren Temperaturanstieg in Freiburg um fast vier Grad Natur & Umwelt | 15.07.2021 | Philip Thomas

Dreisam Wie schon 2018: So sieht die Dreisam im Jahr 2100 aus, sagen Freiburger Forscher.

Starkregen und Hagel, Hitzewellen und Trockenperioden. Die Auswirkungen der globalen Erderwärmung sind allgegenwärtig. Wissenschaftler der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität sagen jetzt in einem Portal aufs Grad genau voraus, wie sich das Wetter in Baden-Württemberg verändern wird. Das Projekt soll bei der längst notwendigen Klimawandelanpassung helfen – und zur Schadensbegrenzung beitragen.

Seit Beginn der Aufzeichnung im Jahr 1881 ist die Jahresmitteltemperatur in Baden-Württemberg laut Landesanstalt für Umwelt um 1,5 Grad gestiegen, davon allein in den vergangenen 30 Jahren um ein Grad. Die durchschnittliche Anzahl von Tagen mit Temperaturen jenseits der 30-Grad-Marke hat sich von fünf pro Jahr im Zeitraum von 1961 bis 1900 auf zehn verdoppelt (1990 bis 2019). Grund ist der menschengemachte Klimawandel.

„Wie gehen wir damit um? Und wie stellen wir sicher, dass Städte trotz Hitzewellen lebenswert bleiben“, fragt Hartmut Fünfgeld vom Institut für Umweltsozialwissenschaften
und Geographie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Um das zu beantworten und die Auswirkungen des Klimawandels auf Kommunen und Landkreise zu  veranschaulichen, hat der Professor mit einem fünfköpfigen Team im Juni das Lokale Klimaportal online gestellt.

schmelzendes Eis

„Unser Ziel ist die Zusammenfassung von Kommunen in Cluster, die aufgrund von vergleichbaren Eigenschaften ähnliche Auswirkungen des Klimawandels erleben und
zu erwarten haben“, erläutert sein Kollege Rüdiger Glaser von der Professur für Physische Geografie an der Universität Freiburg. Um zu verdeutlichen, wie brenzlig es genau
wird, werden die Karten mit sozioökonomischen Daten wie beispielsweise der Bevölkerungsdichte, der wirtschaftlichen Situation oder der land- und forstwissenschaftlichen
Nutzung abgeglichen.

Die Projektionen des Portals sind verheerend: In Freiburg werde sich die mittlere Jahrestemperatur bis 2050 um weitere 1,3 Grad auf etwa 11 Grad erhöhen. Sollte Klimaschutz nicht massiv vorangetrieben werden, skizziert das Portal im Vergleich zu 1971 bis 2000 in der Breisgau-Metropole bis Ende des Jahrhunderts einen Temperaturanstieg von knapp vier Grad.

Hartmut-Fünfgeld

„Je mehr Klimaschutz, desto weniger Klimawandelanpassung“: Hartmut Fünfgeld.

„Das ist sehr viel und hätte massive Auswirkungen“, betont Fünfgeld. Das 2019 ratifizierte Abkommen von Paris sieht vor, die Erderwärmung „deutlich unter zwei Grad“ zu begrenzen. „Aktuell steuern wir mindestens auf 2,8 Grad zu. Eher 3,5. Das ist fatal. Gerade auch für Menschen in vielen Ländern im globalen Süden“, betont der 45-Jährige.

Laut Karte werden sich in Freiburg Tage mit Temperaturen jenseits 30 Grad von 2050 (durchschnittlich 18) bis zum Jahre 2100 (durchschnittlich 42) mehr als verdoppeln – eine konservative Schätzung: „Die Daten, die wir verwenden, basieren auf der Annahme, dass es in Zukunft keine drastischen Reduktionen von Treibhausgasen geben wird“, so Fünfgeld.

14 Hotspots in Freiburg

Im Umland sieht es nicht besser aus: In Emmendingen werde das Thermometer bis zum Jahr 2100 durchschnittlich an bis zu 45 Tagen im Jahr die 30-Grad-Marke knacken. 20 Nächte falle es nicht unter 20 Grad. Zum Vergleich: Zwischen den Jahren 1971 und 2000 gab es elf solcher Tage – und keine einzige Nacht.

Im Wintersportgebiet Todtnau fällt bald wohl mehr Regen als Schnee: Zwar nimmt die Niederschlagsmenge in der kalten Jahreszeit bis 2100 zu (durchschnittlich 586 Millimeter pro Quadratmeter), allerdings wird der Gefrierpunkt statt wie bis zum Jahr 2000 an 145 Tagen nur noch an 64 Tagen erreicht.

Keine dieser Gemeinden kann den Klimawandel allein aufhalten. Die Siedlungen müssen sich aber mit dessen Auswirkungen arrangieren: „Es geht nun darum, Klimawandelanpassung zu planen“, betont Fünfgeld. Möglichkeiten dazu sind vorhanden. „Kommunen spielen in der Klimaanpassung eine zentrale Rolle und haben diverse Möglichkeiten, Maßnahmen zur Klimaanpassung zu ergreifen“, erläutert Sibylle Braungardt, Senior Researcher im Institutsbereich Energie und Klimaschutz des Öko-Instituts im Büro Freiburg.

Steckbriefe für mehr als 1000 Kommunen in Baden-Württemberg: Lokales Klimaportal.

Seit der Novelle des deutschen Baugesetzbuches im Mai ist Klimaanpassung als Grundsatz in der Bauleitplanung festgelegt und entsprechend zu berücksichtigen. „Dies ermöglicht den Kommunen, Maßnahmen wie beispielsweise die Begrünung von Dächern und Fassaden in Bebauungsplänen festzuschreiben“, so die Expertin.

Der Bereich Klimawandelanpassung ist für Kommunen laut Fünfgeld allerdings noch relativ neu: „Wir sprechen hier von zehn bis zwölf Jahren.“ Das Freiburger Rathaus beschäftigt sich laut Eva Amann vom Pressereferat seit 2007 mit Klimawandelanpassung. Seit 2013 gibt es eine Strategie, seit 2018 einen Sachstandsbericht, wonach Acker- in Grünland umgewandelt oder der Regenwasserabfluss verbessert werden soll. Seit März 2020 gibt eine Klimaanpassungsmanagerin. Mit dem im Jahr 2019 veröffentlichten Klimaanpassungsplan liegt in Freiburg ein Konzept sowie ein Maßnahmenplan für das Handlungsfeld Hitze vor, das laut Gemeinderatsbeschluss bei allen Verfahren der Bauleitplanung und der städtebaulichen Planungen berücksichtigt werden muss. „Es ist nur richtig“, dass Freiburg ein hitzebezogenes Konzept entwickelt hat, kommentiert Fünfgeld.

Lokales Klimaportal

Ein 37 Punkte umfassendes Maßnahmenpaket mit Sonnensegeln, Begrünung oder Trinkwasserspendern soll in der Green City Milderung bringen. Im Fokus stehen dabei 14 Wohngebiete, die das Konzept als Hotspots ausmacht. Mit dabei: Altstadt, Betzenhausen, Brühl, Haid, Haslach, Mooswald, Rieselfeld, Stühlinger, Wiehre und auch Weingarten. Der als „klimaneutral“ konzipierte Stadtteil Dietenbach wird laut Rathaus kein roter Fleck auf der Klima-Karte: Kalte Nahwärme, Dach- und Fassadenbegrünung, Bäume an den Straßen sowie zwei Parks sollen Hitzeentwicklung dort reduzieren, wo sich jetzt noch Wiesen und Felder befinden.

Auf nationaler Ebene kommen zahlreiche Maßnahmen gegen den Klimawandel zu spät. Einzig: Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent gesenkt werden. Dieses Tempo reicht laut Fünfgeld nicht aus. Und mache Abgase nicht ungeschehen: „Wir merken nun die Emissionen der vergangenen Jahrzehnte.“ Laut Umweltbundesamt gaben Staat, Unternehmen und private Haushalte in Deutschland 2018 insgesamt 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit 72,5 Milliarden Euro für den Umweltschutz aus. Das entspricht zwar immerhin einer Steigerung von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr, laut Fünfgeld müsste allerdings viel mehr in Klimaschutz investiert werden.

Im Freiburger Doppelhaushalt 2021/22 werden 61 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 11,75 Millionen Euro zum Klimaschutz umgesetzt. Seit 2008 floss außerdem jährlich eine Million Euro aus der sogenannten Konzessionsabgabe, Entgelte des Energieversorgers Badenova, in Freiburger Klimaschutzmaßnahmen. Ab 2014 waren es drei Millionen Euro. Seit 2020 sind es fast sechs Millionen Euro.

Kosten für Klimawandelanpassung könnten jene für Klimaschutz bald übersteigen. Nicht nur das Klimaportal verdeutlicht das: „Sämtliche Klimaszenarien für die nahe Zukunft
bis 2050 haben eine sehr hohe Übereinstimmung. Daran lässt sich so gut wie nichts mehr ändern“, sagt Fünfgeld. Bis zum Jahr 2100 gebe es gravierende Auswirkungen.

Und gravierende Kosten: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beziffert die Auswirkungen des Klimawandels allein hierzulande bis 2050 auf knapp 800 Milliarden Euro. Fünfgeld blickt bereits auf das Ende des Jahrhunderts: „Je mehr wir jetzt für den Klimaschutz tun, desto weniger anstrengend wird die Klimawandelanpassung.
Aber anstrengend wird es auf jeden Fall.“

Info
Webseite Lokales Klimaportal: www.lokale-klimaanpassung.de

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