Flussfahrt mit Biber: Der letzte Bootsbauer im Elsass Freizeit in der Regio | 03.07.2022 | Heidi Knoblich

Bootsführer Patrick Unterstock mit einer Gruppe von Menschen auf einem Kahn

Libellen surren durch die Luft, das Wasser gluckert, tief beugen sich die Zweige übers Wasser: Ruhig gleitet der Kahn dahin, wenn Patrick Unterstock seine Gäste über die Flussarme der Ill im Grand Ried schippert. Die einzigartige Auenlandschaft im Herzen Europas kennt der Batelier du Ried wie seine Westentasche. Gern teilt der Schiffer sein Wissen und erzählt Wundersames von Bibern und Bootsbau.

Kristallklare Wasserläufe, Bäche und Flüsse durchziehen die Naturlandschaft des Großen Ried (Grand Ried) mit seinen Feuchtwiesen und Auwäldern zwischen Straßburg und Colmar, der Ill und dem Rhein. Hier bauen Biber ihre Burgen, finden Störche und Brachvögel ihre Futter- und Nistplätze und Zugvögel ihren Rastplatz. Im Rhythmus der Jahreszeiten formt das Wasser poetische Landschaften. Patrick Unterstock ist hier daheim. „Wasser hat mich immer angezogen“, sagt der 49-Jährige, der in Muttersholtz bei Schlettstadt (Sélestat) an der Brücke über der Ill lebt.

„Ich habe schon immer am Fluss gewohnt“, erzählt der Batelier du Ried, der Schiffer des Rieds. „Meine Eltern, meine Großeltern und Urgroßeltern wohnten schon da. Und vielleicht bin ich noch einmal zur Welt gekommen, nur um das hier noch einmal zu machen.“ Der Mann mit dem Schalk im Nacken, dem, wie er sagt, die Nixen hold sind, schippert auf seinem Kahn Gäste durch das Ried und zeigt ihnen den Zauber dieser wilden Naturlandschaft, in deren verwunschene Winkel man nur auf dem Wasserweg gelangt. Patrick Unterstock führt auf seinem Kahn durch eine fremde Welt. Mitten in Europa. Überall gurgelt es. Libellen surren durch die Luft.

„Ich bin ein Naturmensch“, sagt der Elsässer, der das Ried um Schlettstadt wie seine Westentasche kennt und sich für den Naturschutz einsetzt. Er war auch an der Wiedereingliederung des Bibers beteiligt, des „schwimmenden Holzfällers“, wie er ihn nennt. „Keine zweite Tierart schafft anderen Pflanzen und Tierarten so viel Lebensraum. Fischotter, Amphibien und zahlreiche Fischarten fühlen sich im Biberrevier wohl.“

Bootsführer Patrick Unterstock

Während der Kahn gemächlich durch die einzigartige Auenlandschaft der Ill gleitet, genießen die Gäste die wohltuende Stille (o.). Nur ab und zu unterbrochen von Bootsführer Patrick Unterstock, der allerlei Wissenswertes zur Gegend zu erzählen hat.

Die Ill ist die still fließende Hauptschlagader des Großen Ried. „Sie hat dem Elsass seinen Namen gegeben, Ill-Sass. Die Elsässer waren einst die, die an der Ill saßen“, erzählt Unterstock. Der dreifache Familienvater ist auch Historiker. Sein Masterstudium hat er an der Universität Straßburg abgeschlossen. Auf seinen Touren erzählt er von den umliegenden 300 Burgen, Märchen und Legenden des Elsass und führt am Ende durch die barocke Abteikirche von Ebersmünster mit ihren Kunstwerken und der Silbermann-Orgel.

„Kelten und Römer transportierten ihre Nahrungsmittel schon in solchen Kähnen auf der Ill“, erzählt er auf seinen Touren, auf denen er seinen Kahn mit einer viereinhalb Meter langen Stocherstange durch das Wasser manövriert. „Im Spätmittelalter wurde auf solchen Kähnen Wein transportiert. Drei Tage dauerte die Fahrt von Colmar nach Straßburg.“

Heute ist er der letzte Bootsbauer im Elsass. „Als kleiner Junge träumte ich schon davon, ein solches Boot zu besitzen“, erzählt er. „Ein alter Mann aus einem Nachbardorf hat es mir beigebracht.“ Viele Kähne hat er seitdem gebaut. Es sind Weidlinge, Holzkähne, sieben bis neun Meter lang. Das Holz für den Bootsboden stammt aus den Vogesen. Jeden Winter sucht er hierfür Tannen und Fichten aus, die er dann fällt.

„Die Ill läuft, wie sie will.“ Auf dem knapp 217 Kilometer langen Fluss gibt es unzählige Biegungen. An manchen Stellen ist sie fünf Meter tief und voller Buchten, Kiesbänke und Strudel. „Wenn ich müde bin“, sagt der Schiffer schmunzelnd, „spanne ich die Bisamratten ans Boot und sage ,Hü!’ Dann geht das Boot vorne hoch und hinten runter und saust wie von alleine davon.“

INFO:
Patrick Unterstock
Le Batelier du Ried
Tel.: 0033 388 851 311
E-Mail: contact@batelier-ried.com
www.batelier-ried.com

Foto: © Daniel Millius, Patrick Unterstock – ADT