Bildhafte Tiefe: Dolmetschen für gehörlose Menschen STADTGEPLAUDER | 31.10.2020 | Stella Schewe

Gebärdensprachdolmetscher „Geht‘s dir gut?“, fragt Sibylle Gaa in Gebärdensprache.

Ob bei der Eröffnung einer neuen Straßenbahnlinie oder bei Pressekonferenzen zur Corona-Pandemie im Fernsehen – immer häufiger übersetzen dabei Gebärdensprachdolmetscher das Gesagte für nicht hörende Menschen. Eine von ihnen ist Sibylle Gaa aus Freiburg.

Winken wie die Queen, mit leicht erhobener Hand, das bedeutet „Hallo“ in der Gebärdensprache. Mit einer Hand übers Brustbein streichen und anschließend mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis formen, fragt „Geht’s dir gut?“ Sibylle Gaa ist begeistert von dieser dreidimensionalen Möglichkeit des Ausdrucks: „Die Sprache wird mit Händen, Teilen des Körpers und mit Mimik aufgebaut. Wir bilden Worte im Raum ab und machen sie so visuell wahrnehmbar.“ Wir, das sind neben der 55-jährigen Freiburgerin noch zwölf weitere Gebärdensprachdolmetscher aus Freiburg und Umgebung, die sich in einem Netzwerk zusammengeschlossen haben.

Die regelmäßigen Treffen sind ihr, gerade in Zeiten von Corona, wichtig. „Während des Lockdowns im Frühling haben wir wenn, dann nur noch online gedolmetscht“, erzählt sie. Aktuell aber seien sie alle wieder voll im Einsatz: bei Betriebsversammlungen oder Teamsitzungen, bei Arzt- oder Amtsterminen oder einer Theatervorstellung für gehörlose Kinder. Bei einer der Demonstrationen von „Fridays for Future“ hat sie kürzlich ehrenamtlich gedolmetscht.

Gebärdensprachdolmetscher

Zur Begrüßung „Hallo“ sagen, ist für alle verständlich: einfach mit leicht erhobener Hand winken.

Bis 1995 war Gaa als Sozialarbeiterin tätig. Dann erlebte sie bei einem Vortrag in Berlin, wie eine Gebärdensprachdolmetscherin die Worte der Referentin übersetzte. „Durch ihre Mimik und Bewegungen bekam das Gesagte eine bildhafte Tiefe. Ich war total geflasht und wusste: Das will ich lernen!“ Gar nicht so einfach in jenen Jahren: Erst nach und nach wurden in den 1990er-Jahren Studiengänge dafür angeboten. Sie lernte die Sprache in VHS-Kursen sowie einer Theatergruppe für taube und hörende Menschen. In berufsbegleitenden Lehrgängen ließ sie sich dann zur staatlich geprüften Gebärdensprachdolmetscherin zertifizieren.

Kommunikation ist ein Grundbedürfnis

Wütend macht sie, dass die Gebärdensprache so lange verboten war, gar als „Affensprache“ bezeichnet wurde. „Selbst in den Gehörlosenschulen mussten die Kinder ihre Hände stillhalten, durften nicht auf diese Weise kommunizieren. Dabei ist Kommunikation doch ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen!“ Bis heute werde die Sprache in den Gehörlosenschulen nicht unterrichtet, berichtet Gaa. Dadurch würden Menschen behindert, die sich sonst gar nicht als behindert empfinden würden.

Ein großer Durchbruch war das 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz, mit dem die Deutsche Gebärdensprache als Amtssprache anerkannt wurde. Das bedeutet: Entweder beherrscht auf einer Behörde jemand diese Sprache, oder es muss ein Dolmetscher zur Verfügung stehen. „Seither haben wir viel mehr Aufträge“, erzählt Gaa, und macht sich zum nächsten Termin auf. „Das ist das Schöne an meinem Beruf“, schwärmt sie. „Man wechselt ständig von einem Setting ins nächste. Kein Tag ist wie der andere.“

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