Acid-Trips vom Kiosk – Die Chemie macht’s möglich Gesellschaft | 15.06.2025 | David Pister

In einem Freiburger Kiosk werden offen Halluzinogene verkauft – inklusive Beratung. Es handelt sich dabei um ein LSD-Derivat. Die Hersteller verändern die chemische Struktur von LSD so, dass der Stoff legal ist. Noch.
„Die mit 10 Mikrogramm sind ganz angenehm. Die mit 150 knallen schon“, sagt der Verkäufer eines Freiburger Kiosks. Es geht um Acid-Trips. Acid steht umgangssprachlich für LSD, eines der stärksten bekannten Halluzinogene. 4,95 Euro für 10 Mikrogramm – 14,95 Euro für 150 Mikrogramm. Gehört zum Sortiment – neben Spiegel, Feuerzeug und Filterkaffee.
Vor dem Kiosk steht ein Aufsteller, auf dem die Trips beworben werden: 100 Prozent legal, steht da. Und noch etwas: LSD-Derivat. Die kleine Pille, die in der Tüte steckt, enthält kein LSD, sondern 1S-LSD. Wirken soll es genau gleich. Der einzige Unterschied: 1S-LSD ist legal.
LSD wirkt bewusstseinsverändernd: surreale Umgebungen, veränderte Farbwahrnehmung, optische und akustische Halluzinationen. „Das sind die gewollten Effekte. Bei höherer Konzentration kann es aber auch zur psycholytischen Wirkung kommen. Also, dass die Realität nicht mehr klar wahrgenommen werden kann oder man sich selbst fremd fühlt“, erklärt Tom Sundermann, Leiter der forensischen Toxikologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Dies kann aufgrund der erheblichen psychischen Belastung und möglichen paranoiden Psychosen als Horrortrip wahrgenommen werden.
Ein Derivat ist eine Abwandlung der ursprünglichen Substanz. 1S-LSD ist der chemischen Struktur von LSD sehr ähnlich. „Es ist davon auszugehen, dass aus dem 1S-LSD im Körper LSD wird“, sagt Sundermann. LSD selber sei relativ gut erforscht – über die Wirkung und Nebenwirkungen ist einiges bekannt. Ganz im Gegenteil zum neuen Derivat 1S-LSD. Eine vom chilli beauftragte Untersuchung einer Pille vom Kiosk in Freiburg ergab, dass die Tablette – wie auf der Verpackung angegeben – tatsächlich 1S-LSD enthält. „Im Zweifel ist man selbst freiwillige Testperson und setzt sich einem unkalkulierbaren Risiko aus, weil es keine Studien darüber gibt, wie neue LSD-Derivate im Körper wirken“, sagt der Toxikologe.
Über eine auf der Verpackung abgedruckte Internetseite gelangt man zum Hersteller: Research Chemicals. Dort könnte man sich das 1S-LSD – neben anderen Substanzen – bequem nach Hause bestellen. Aber vermutlich nicht mehr allzu lange. Ob 1V-LSD, 1D-LSD, 1T-LSD – bislang wurden alle LSD-Derivate irgendwann verboten.

LSD-Pille: Das LSD-Derivat wird in verschiedenen Dosierungen am Kiosk angeboten.
LSD fällt unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und ist dort als „nicht verkehrsfähig“ aufgeführt. Es darf weder verkauft noch verschrieben werden. In der Anlage des BtMG steht, welche Stoffe als Betäubungsmittel gelten. Für eine Änderung oder eine Aufnahme eines neuen Stoffes muss jedes Mal eine Gesetzesänderung angestrengt werden – was sehr zeitaufwendig ist. Siehe Cannabis. Wie eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums mitteilt, trat deshalb 2016 das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) in Kraft. Neue psychoaktive Stoffe – auch Designerdrogen, Legal Highs oder Research Chemicals genannt – seien von Akteuren des Drogenmarkts gezielt zur Umgehung rechtlich bereits erfasster und verbotener Stoffe hergestellt worden. Mit diesem Gesetz muss nicht bei jedem neuen Stoff der Bundestag miteinbezogen werden – eine Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums reicht aus.
Das NpSG erlaubt zudem ein Verbot ganzer Stoffgruppen. So wird verhindert, dass neue Substanzen an bereits verbotenen Strukturen anknüpfen. Aber auch durch dieses Gesetz können nicht grundsätzlich alle LSD-Derivate verboten werden. Dies sei „aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots und Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Strafvorschriften nicht zulässig“, so die Ministeriumssprecherin. Es kann also nur verboten werden, was bekannt ist.
„Durch das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz hat sich die Reaktionsgeschwindigkeit verändert, aber es ist noch immer zu langsam, um mit den Herstellern Schritt zu halten“, sagt Jan-Georg Wennekers vom Anwaltsbüro Hegarhaus in Freiburg. In der Praxis vergehen etwa ein bis zwei Jahre zwischen dem Aufkommen und dem Verbot eines neuen LSD-Derivats. Daraus ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Herstellern und Politik entstanden.
Die fünfte und damit jüngste Verordnung des NpSG ist Ende Juli 2024 in Kraft getreten – damals wurden die Derivate 1T-LSD und 1D-LSD in die Anlage aufgenommen. Dafür ist 1S-LSD nachgerückt. Bei 1S-LSD ist ein Siliziumatom in einer Seitenkette enthalten. Weil Silizium in der Definition des NpSG nicht enthalten ist, ist das Derivat aktuell legal. Blogger aus der Szene gehen davon aus, dass 1S-LSD nicht mehr lange erlaubt bleibt. Auch das Bundesgesundheitsministerium teilt mit, dass der Bundesregierung das Derivat 1S-LSD bereits bekannt sei. In Laboren dürfte aber schon ein neues Derivat bereitstehen.

In Reih und Glied: Acid-Trips neben THC-Candy, CBD-Joints und Feuerzeugen
Auf der chemischen Ebene könnte das Katz-und-Maus-Spiel noch ewig weitergespielt werden, meint der Toxikologe Tom Sundermann: „Da können die Hersteller kreativ sein und sehr viel ausprobieren. Irgendwann könnten die Einschränkungen durch das NpSG allerdings so hoch sein, dass die Wirksamkeit bei den Modifikationen, die dann noch legal vertrieben werden könnten, nicht mehr gegeben ist.“
Und was droht denjenigen, die mit den LSD-Derivaten handeln? „Strafrechtlich überhaupt nichts“, so Rechtsanwalt Wennekers, „weil dieses konkrete Derivat noch nicht verboten ist. Da 1S-LSD aber von einem Tag auf den anderen verboten werden kann, trägt der Verkäufer das Risiko und muss ständig die Rechtsgrundlage prüfen.“
Auch wenn das NpSG bereits hohe Strafen vorsieht, fallen die Strafrahmen des BtMG noch deutlich strenger aus: „Neue psychoaktive Stoffe tauchen zwar immer wieder in Verfahren auf – meist aber neben klassischen Drogen. Oft werden sie strafrechtlich vernachlässigt, weil das BtMG schärfer greift“, sagt Wennekers.
Ein Kiosk, der illegale LSD-Derivate verkauft, könnte auch ins Visier der Gewerbeaufsicht geraten, meint der Rechtsanwalt: „Ein bekannteres Beispiel wäre der Wirt, der unter der Ladentheke Koks verkauft und dadurch seine Schanklizenz verliert.“
Auf chilli-Anfrage teilt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Freiburg mit, es sei bekannt, dass LSD-Derivate im Raum Freiburg im Umlauf sind: „Im Bereich des gesamten Polizeipräsidiums Freiburg gab es Fallzahlen im unteren zweistelligen Bereich.“
In Freiburg ist der offene Verkauf in einem Kiosk bislang wohl ein Einzelfall – in Berlin hingegen gibt es Shops, die sich nur auf LSD-Derivate spezialisieren. Die meisten Konsumenten greifen vermutlich ohnehin auf das Internet zurück, wo entsprechende Substanzen leicht erhältlich sind. In Baden-Württemberg tauchten zuletzt auch Verkaufsautomaten auf: Mindestens drei davon standen laut SWR in Stuttgart, zwei weitere in Mannheim. Auch in Freiburg soll laut einem Insider ein Automat mit psychoaktiven Substanzen in der Schwarzwaldstraße gestanden haben.