Stottriger Start: Cannabis-Legalisierung treibt in Freiburg nur langsam Blüten Szene | 17.06.2025 | Till Neumann und Philip Thomas

Seit mehr als einem Jahr ist Gras in Deutschland teillegalisiert. Wie steht es um Anbau, Verkauf, Lizenzen und Schwarzmarkt in Freiburg? Die chilli-Redakteure Till Neumann und Philip Thomas sind auf die Suche gegangen. Sie haben einen Polizeieinsatz recherchiert, Dealer ausfindig gemacht, mit geduldigen Social-Club-Betreibern gesprochen und einen Aktivisten gefragt, wo es klemmt. Ihre Bilanz: Vieles ist unklar nach rund 14 Monaten legalem Kiffen.
„10 Euro pro Gramm“
Ein lauschiger Freitagabend in Freiburg. Auf dem Stühlinger Kirchplatz herrscht reges Treiben. Oben auf der Wendeltreppe sitzt eine Gruppe Jugendlicher. Ihr Ziel: Gras an Passant·innen verchecken. Der Reporter – testweise unterwegs – wird schnell angesprochen. Gleich mehrfach machen ihm Dealer in gebrochenem Deutsch eindeutige Angebote: „10 Euro pro Gramm.” Genau wie vor der Legalisierung.
Dass der Schwarzmarkt weiter floriert, könnte auch daran liegen, dass die Abgabestellen für legales Gras nur langsam in Gang kommen. In Cannabis Social Clubs (CSC) schließen sich Menschen zu einer Anbauvereinigung zusammen. Sie säen und ernten gemeinsam, konsumieren zum Selbstkostenpreis. Möglich sind Lizenzanträge seit Juli 2024. Doch elf Monate später gibt es keinen einzigen CSC in Freiburg, der anbauen darf. Für Baden-Württemberg sind es insgesamt 23, vermeldet das Freiburger Regierungspräsidium (RP) als zuständige Behörde.
„Intensive Bearbeitung“
Insgesamt 98 Anträge sind beim RP bisher eingegangen, sagt Sprecherin Heike Spannagel. Knapp 30 Anträge befinden sich aktuell „in der intensiveren Bearbeitung“. Wie lange ein solches Verfahren dauert, hängt laut Spannagel von der Qualität und Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen ab: „Hier ist die Bandbreite groß.” Wegen der noch recht neuen und komplexen Gesetzeslage zeige sich, dass oft auch bei gut aufbereiteten Antragsunterlagen regelmäßig deutlicher Nachbesserungsbedarf bestehe. Das RP nimmt dann Kontakt zu den Anbauvereinigungen auf und erklärt, welche Nachbearbeitungen konkret zu leisten sind.

Hatten Polizeibesuch: Das Team von „HeimatSeeds“ aus der March
Eine Anbauerlaubnis in Freiburg wurde noch nicht erteilt. Drei entsprechende Anträge aus der Green City gingen dieses Jahr beim RP ein. Schon im November hat der Greenberry CSC hier eine Lizenz beantragt. Die Anforderungen an Sicherheit und Co. sind hoch. Greenberry-Vereinsvorsitzender Doran Donath ist dennoch optimistisch, bald starten zu können.
Plötzlich Polizei
In den Startlöchern steht dafür der Black Forest Highland CSC im Glottertal. Vereinsvorstand Dominique Benaissa hat zwar noch keine zugelassene Website, aber eine Anbaugenehmigung. Am 20. August hatte der Verein den Antrag eingereicht. „Wir haben die Lizenz am 14. Mai erhalten“, sagt der 43-Jährige. Neun Monate später. In der Halle eines Landwirts im Glottertal soll bald Gras wachsen. Das Gebäude muss noch umfunktioniert werden. Mit einer Investition von 40.000 bis 80.000 Euro rechnet Benaissa.
Erlaubt ist neben den CSCs auch der Eigenanbau. Drei Pflanzen dürfen volljährige Privatpersonen in den eigenen vier Wänden hochziehen. Zwei junge Männer aus der March brachte das auf eine Geschäftsidee: Anton und Sven gründeten „HeimatSeeds“. Ihr Ziel: Hochwertige Stecklinge an Menschen verkaufen, die Gras anbauen möchten. Im Juli 2024 sind die Brüder mit einem Online-Shop an den Start gegangen. Doch Anfang Mai kam die Polizei, um den Großteil ihrer Ware zu konfiszieren.
„Vertrieb erlaubt“
„Wir waren schockiert“, betont Anton im Gespräch mit dem chilli. Die beiden möchten ihre Nachnamen wegen der gesellschaftlichen Vorbehalte zu Cannabis nicht lesen. Sie sind dennoch überzeugt: „Was wir machen, ist legal.”
Rund zehn Beamte standen am 8. Mai um 7 Uhr morgens mit einem Durchsuchungsbefehl vor seiner Tür, berichtet Anton. Dabei hatten sich die Brüder vor Geschäftsstart von einer Kanzlei beraten lassen. Die auf Cannabis spezialisierten Jurist·innen von BRP Renaud fertigen zwei Gutachten zur Geschäftsidee an. Sie liegen der Redaktion vor.
Entsetzen auch in Ravensburg
Dort heißt es: „Wir sind der Ansicht, dass der Vertrieb von Cannabis-Stecklingen ebenso wie der Vertrieb von Cannabissamen nach den Regelungen des CanG erlaubt ist.” Der Jurist Jan Rasmus Ludwig verweist aber auch auf eine Grauzone: „Unklar ist, warum sich der Gesetzgeber entschieden hat, nur die Erlaubnis von Cannabissamen zu regeln, nicht jedoch den Vertrieb von Stecklingen.”
HeimatSeeds haben sich also auf unbekanntes Terrain gewagt. Genau wie der Shop Wurzelwunder aus Ravensburg. Dort konfiszierte die Polizei schon Ende April Stecklinge und mehr. Das Entsetzen ist auch dort groß.
Strafrahmen bis fünf Jahre
Pressesprecherin Carola Seith von der Staatsanwaltschaft Freiburg bestätigt die Konfiszierung bei HeimatSeeds. „Die Staatsanwaltschaft führt im Zusammenhang mit dem Fall ein Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Cannabis”, erläutert Seith.

Verkaufen und beraten: Tobias Pietsch (Mitte) und seine Kollegen vom Hanfnah
Was Anton und Sven als noch THC-freies Vermehrungsmaterial verkauft haben, wird dort als gesetzeswidrig eingestuft. „Die Beschlagnahme konkreter Beweismittel, u. a. Cannabispflanzen und Mutterpflanzen, bei denen es sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht um Cannabisstecklinge handelt, wurde mittlerweile vom Amtsgericht Freiburg gerichtlich bestätigt”, so Seith. Der Regelstrafrahmen liege zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Es sei jedoch noch in der Ermittlung und unklar, ob Anklage erhoben werde oder das Verfahren eingestellt wird.
„Kann kein Cannabis verkaufen“
Anton betont: „Wir sind mit der Konfiszierung überhaupt nicht einverstanden.” Die Pflanzen würden konstant unter Licht gehalten und damit lediglich wachsen, aber keine Blüten und Früchte produzieren. Vor Gericht errechnen sie sich gute Chancen. Und seien auch bereit, vor weitere Instanzen zu gehen.
Unverständnis für solche Aktionen zeigt auch Freiburgs wohl umtriebigster Cannabis-Aktivist Tobias Pietsch. Der Betreiber des Hanfnah-Shops vertreibt am Schwabentorring 1a Cannabis-Zubehör und sieht das Geschäft auch als Beratungsstelle. Das Unwissen sei groß: „20-mal täglich kommen Menschen zu uns”, berichtet Pietsch. „Ich muss in allen Sprachen dieser Welt erklären: Ich kann dir leider kein Cannabis verkaufen.” Er könne jedoch Samen verkaufen und an einen Arzt vermitteln, der Rezepte ausstellt. „Alle unsere Mitarbeiter sind von dem Arzt zertifiziert, dass wir Cannabis-Beratungen geben können”, erklärt Pietsch. Jeder sei eingeladen, sich bei ihnen zu informieren.
Cannabis in Fachgeschäfte?
Was HeimatSeeds und Wurzelwunder widerfahren ist, findet er dramatisch: „Es ist wirklich schlimm, was da jungen Unternehmern angetan wird.” Denen würde die komplette Existenzgrundlage weggezogen. In anderen Ländern laufe das vernünftiger ab. „Da können solche aufstrebenden Unternehmer sogar gefördert und nicht mit Gefängnisstrafen aufgehalten werden.“
Wenn Pietsch eine Sache ändern könnte, wäre das die Abgaberegelung: „Das muss über Fachgeschäfte laufen, ganz klar”, sagt der Aktivist. Bisher passiere viel über Telemedizin und da sei wenig Beratung gegeben.
„Können Zeichen setzen“
Freiburg hatte sich mal als Pilot-Stadt für den Testlauf zur Cannabis-Abgabe in Geschäften ins Gespräch gebracht. Das würde Pietsch begrüßen. Er plant, die Stadtverwaltung zu kontaktieren, um ein Konzept zu erarbeiten. „Wir könnten als Vorreiterstadt ein tolles Zeichen setzen”, so Pietsch. Auch in Kooperation mit der Drogenhilfe. Der Schwarzmarkt am Stühlinger Kirchplatz ohne jegliche Qualitätskontrolle könnte so vielleicht ja trockengelegt werden.
Fotos: © tln; HeimatSeeds; Freepik.com
Joints im Aschenbecher – Wo in Freiburg (nicht) gekifft werden darf