Corona-Babys: Zahl der Geburten in Freiburg während Pandemie gestiegen STADTGEPLAUDER | 28.12.2020 | Liliane Herzberg

Babys Nachwuchs: Wegen der Pandemie gibt es mehr werdende Mütter als in den Vorjahren.

Den ersten Lockdown in Freiburg ab März verbrachten viele Menschen und Paare im trauten Heim. Manche von ihnen nutzten die Zeit: Frauenärzte berichten von vielen werdenden Müttern. Auch bei der Beratungsstelle Pro Familia stiegen die Anfragen zur Schwangerschaftsberatung. Ein Freiburger Ethnologe geht dem bisher unerforschten Phänomen auf den Grund.

„Paare haben immer Sex und haben mehr Sex, wenn sie zusammen sonst nicht so viel zu tun haben“, erklärt Ingo Rohrer, vom Institut für Ethnologie Freiburg, schmunzelnd. „Aber die Frage, warum sie dann auf Verhütungsmittel verzichten und sich ausgerechnet in dieser unsicheren Situation für eine Schwangerschaft und ein gemeinsames Kind entscheiden, finde ich schon erstaunlich und konter-intuitiv.“

Dass mehr Frauen als im Vorjahr schwanger geworden sind, bestätigt Stella Gier Dos Santos, Auszubildende zur medizinischen Fachangestellten in der Frauenarztpraxis Faigle und Schöpsdau. „In den Monaten März bis Mai kamen viele Frauen zur Schwangerschaftsfeststellung. Wir nennen sie unsere Corona-Babys oder auch Homeoffice-Babys.“ Im zweiten Quartal 2019 waren in der Praxis 134 Schwangere als Patientinnen gelistet, 2020 waren es 160 im selben Zeitraum. Auch im dritten Quartal halten sich die Zahlen: 143 Schwangere 2019, 151 werdende Mütter 2020. „Gefühlt sehe ich nur noch Schwangere bei der Arbeit.“

Rohrer

Wagt sich an Thesen: Ethnologe Ingo Rohrer.

Auch Brigitte Knör, Leiterin des Fachbereichs Schwangerschaft und Geburt von Pro Familia, hat einen deutlichen Anstieg der Nachfrage bei Schwangerschaftsberatungen beobachtet. „Im Jahr 2019 waren es 3133 Beratungen, bis zum November waren es jetzt bereits 3404 und das Jahr ist ja noch nicht zu Ende.“ Insbesondere in den Monaten März bis Juli sind die Zahlen auffällig: Wurden 2019 noch 1281 Beratungen in Anspruch genommen, waren es im laufenden Jahr 1674. „Was das bedeutet, ob das mit dem Lockdown zu tun hat, wissen wir aber nicht. Wir wissen ja nicht, ob der Anstieg nur bei uns so hoch ist oder bei allen drei Beratungsstellen in Freiburg“, so die 47-Jährige.

Mehr Klarheit dazu werde es erst in den kommenden Monaten geben, denn „Frauen, die am ersten Tag des Lockdowns (17. März) schwanger wurden, hatten ihren voraussichtlichen Entbindungstermin rechnerisch erst am 8. Dezember“, weiß Eva Amann, Pressesprecherin im Rathaus.

Der Ethnologe Rohrer vermutet, dass die Kinder, die jetzt geboren werden, zum größten Teil gewollt sind. „Ich glaube nicht, dass es an einem Versorgungsengpass von Verhütungsmitteln liegt.“ Dass die zu jeder Zeit der Corona-Krise ausreichend vorhanden waren, bestätigt Drogeriemarkt dm auf chilli-Anfrage.

Studien zu dem Thema gebe es bislang noch nicht, weiß Rohrer. „Ich glaube aber, dass der Lockdown bei vielen Leuten Umdenkprozesse und eine Entschleunigung verursacht hat.“ Wer sich rückerinnere, dem falle auf, dass es sehr still war, es gab etwa kaum Straßenverkehr. „Das lenkt sozusagen die ganze Aufmerksamkeit nicht mehr ab, sondern auf sich selber und das nahe Umfeld.“ So hätten Umdenkprozesse stattgefunden. „Plötzlich hat man eine Kontrastfolie zum vorherigen Leben und kann ein bisschen darüber nachdenken, ob man mit dem Leben zufrieden war und ist.“

Manche Menschen hätten festgestellt, dass sich das Leben nicht um Ausgehen, um Unternehmungen und den Arbeitsplatz drehe, sondern dass sie sich im sozialen Nahraum, der Geborgenheit der Partnerschaft, am wohlsten fühlen, erklärt Rohrer. „Und dass man das vielleicht durch ein gemeinsames Kind noch mal zementiert.“

 

Fotos: © unsplash.com/Minnie Zhou, Frank Bale