Das ist der DHH 2021/22 in Freiburg: Ein Parlament im Streitmodus STADTGEPLAUDER | 16.05.2021 | Lars Bargmann

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Der Freiburger Gemeinderat hat am 27. April den gut zwei Milliarden Euro schweren Doppelhaushalt 2021/2022 beschlossen. Einen mit 245 Millionen Euro Investitionen. Einen auf Pump.

Einen, dem sich erstmals überhaupt die CDU-Fraktion und die Freien Wähler verweigerten.  Zudem die Fraktionsgemeinschaft FDP/BfF, die AfD und Freiburg Lebenswert. Unabhängige Frauen und die Grüne Alternative enthielten sich. 20 von 48 Volksvertretern im Gremium tragen den Haushalt der Stadtspitze nicht mit. Vor zwei Jahren hatte es zwei Gegenstimmen gegeben.

Um den Haushalt überhaupt genehmigungsfähig aufzustellen, kassierte der Gemeinderat ein gutes Dutzend alter Investitionsbeschlüsse wieder ein: etwa das Außenbecken Westbad, die Erweiterung des Berthold-Gymnasiums oder die Sanierung der Max-Weber-Schule. 

Carolin Jenkner, Fraktionsvorsitzende der CDU (6 Sitze), kritisierte in ihrer Rede, dass Oberbürgermeister Martin Horn und eine Mehrheit im Gremium im Kampf für mehr bezahlbaren Wohnraum der Freiburger Stadtbau (FSB), statt sie für Neubauprojekte finanziell möglichst krisenfest aufzustellen, mit dem FSB-2030-Konzept eigene Einnahmequellen verunmöglicht und sie so „an den städtischen Tropf“ hänge – ohne dass am Ende auch „nur eine einzige Wohnung mehr gebaut“ werde.

Würde man die FSB stattdessen zur Querfinanzierung des sozialen Mietwohnungsbaus weiter mehr als nur 25 Prozent Eigentumswohnungen bauen lassen, würde das unterm Strich genauso viel Wohnraum schaffen, zusätzlich aber Menschen in Eigentum bringen. Zudem beschließe die Mehrheit, „selbst in den bizarrsten Situationen kein einziges städtisches Grundstück mehr zu verkaufen, auch wenn es für die Stadt überhaupt keinen Nutzen hat“. Seit dem Amtsantritt von Horn 2018 haben sich die Schulden im Kernhaushalt von knapp 190 auf geplante 347,5 Millionen Ende 2022 fast verdoppelt: „Das ist fatal. Wir finden uns in diesem Haushalt nicht mehr wieder.“

Das gelingt auch den Freien Wählern (3 Sitze) nicht. „Der von OB Horn und Finanzbürgermeister Stefan Breiter eingebrachte Doppelhaushalt hat unsere seit Jahren bestehenden schlimmsten Befürchtungen noch bei weitem übertroffen“, so Fraktionschef Johannes Gröger. 90 Millionen Neuverschuldung, 60 Millionen zusätzliche Kassenkredite und mehr als 20 Millionen ins Haushaltsjahr 2020 geschobene Ausgaben würden die „nicht anders als dramatisch zu bezeichnende“ finanzielle Situation aufzeigen. Es sei der Milde des Regierungspräsidiums und dem niedrigen Zinsniveau zu verdanken, „dass in dieser Stadt nicht bereits der Insolvenzverwalter das Sagen hat“. 

Auch Gröger kritisiert, dass die Stadtspitze der FSB „die wirtschaftliche Selbstständigkeit entzieht und auf Jahre an den städtischen Subventionstropf hängt“. Untermalt werde dies mit der Grundeinstellung des OB und einer Mehrheit des Gemeinderates, dass Wohneigentum offenbar nicht wünschenswert sei, trotz ständig steigender Mieten und einer massiven Zunahme der Altersarmut. Was an einer solchen Politik nachhaltig und sozial sein soll, „kann nicht nur unsere Fraktion nicht erkennen“. Welcher fiskalische Sachverstand es rechtfertige, auf den Verkauf von einzelnen städtischen Grundstücken zu verzichten oder anzunehmen, dass das Baugebiet Kleineschholz oder der städtische Anteil im Dietenbach über die sogenannte Erbbaurechtslösung realisierbar ist, bleibe völlig offen: „Wir reden hier über Hunderte von Millionen zusätzlicher Schulden.“

In dieselbe Kerbe schlägt Sascha Fiek, Fraktionsvorsitzender der FDP/BfF (4 Sitze): „Die Mehrheit dieses linken Hauses behandelt den Haushalt weiterhin wie einen Pott Spielgeld am Monopoly-Tisch.“ Sorgen bereite der Fraktion vor allem der Bausektor: „Wir verheddern uns inzwischen in einem dichten Geflecht aus Milieuschutzsatzungen, Gestaltungssatzungen, Veränderungssperren und Anpassungen von Bebauungsplänen, nur um ja auch den letzten Rest an privater Initiative im Keim zu ersticken.“ Mit „großer Spannung“ erwarte man die Vorschläge der Verwaltung, wie Dietenbach angesichts wegbrechender Finanzen ausschließlich im Erbbau realisiert werden soll, denn das sei „illusorisch“.

Die Grünen indes, mit 13 Sitzen die mit Abstand größte Fraktion, tragen den Haushalt mit. Nicht aber die Vorschläge, erneut Grundstücksvermögen zu verkaufen: „Schuldenmachen ist keine gute Sache. Aber wie ausgerechnet die CDU darauf kommt, in einer Niedrigzinsphase Schulden zu vermeiden, indem man Grundstücke verkauft, das einzige Wirtschaftsgut, das nicht vermehrbar ist und deshalb langfristig im Wert steigt, lässt einen doch den Kopf schütteln.“ Gleiches gelte für die Versuche, das Bekenntnis dieses Gemeinderats zur Stärkung der Stadtbau infrage zu stellen.

Zur Schieflage in der Stadtkasse sei es nicht nur wegen sich abflachender Einnahmen aus Steuern und Zuweisungen gekommen oder den Minder-Erträgen aus der Beteiligung an der Badenova, sondern vor allem durch steigende Aufwendungen „für all die guten Dinge, die wir beschlossen haben“: Straßenbahnlinien, Betreuung in Kitas, Schulsozialarbeit an den Schulen. Es sei gelungen, dem Haushalt eine „grüne Handschrift“ zu geben und unabdingbar, auf dem Weg zur Klimaneutralität und zu einer echten Verkehrswende entschieden voranzugehen. Der grün-schwarze Masterplan zur Entschuldung des städtischen Haushalts wirkt auf den Betrachter heute wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Die Hand gehoben hat „mit großen Bauchschmerzen“ mehrheitlich auch die Fraktionsgemeinschaft Eine Stadt für alle (ESfA, 7 Sitze). „Für uns ist dieser Haushalt ein schlechter Kompromiss auf Kosten einer sozial gerechteren Stadt“, so der Co-Vorsitzende Michael Moos. Für Alarmismus bei den Schulden bestehe indes kein Anlass. Es sei auch keine Alternative, das Haushaltsdefizit auf Kosten des sozialen Wohnungsbaus auszugleichen, es sei vielmehr der „eigentliche Skandal“ der Anträge, den eingeschlagenen Kurs einer Forcierung des Mietwohnungsbaus, insbesondere des öffentlich geförderten, zu torpedieren. Und es sei „eigentlich unfassbar“, dass städtische Grundstücke „jahrzehntelang auf den Markt geworfen wurden“ – mit dem Ergebnis, dass die Stadt selbst spekulative Preise bei Grundstücken und Mieten angeheizt habe.

 „Ein Fiasko für die Einrichtungen“

Auch die SPD-Kulturliste (7 Sitze) gibt dem Werk aufgrund der Kernthemen Soziales, Wohnen, Klima ihr Ja-Wort und begründet die vielen Millionen, die das Thema Wohnen kostet: „Es liegt in unserer Verantwortung, dass jene Menschen, denen wir für ihre Arbeit in der Krankenpflege, im Einzelhandel, bei der Müllabfuhr und in der Kita so dankbar sind, auch zukünftig in Freiburg wohnen können“, so die Fraktionsvorsitzende Julia Söhne. Genau deswegen stehe die Liste zum FSB-Sozialbonus, zum Investitionsprogramm und zur Wohnbauoffensive. „Es ärgert mich maßlos, dass es zahlreiche Fraktionen und Stadträt·innen gibt, die Wohnungen und Boden verkaufen wollen, um den Haushalt zu sanieren. Das ist maximal kurzfristig gedacht, wenig sozial und damit auch nicht nachhaltig“, sagt Söhne: „Wohnen ist ein Menschenrecht. Wir setzen gemeinsam einen 60 Millionen Euro teuren und längst überfälligen Schwerpunkt.“ Kult-Stadtrat Atai Keller kritisiert die Folgen der Aussetzung der „mühsam erkämpften jährlichen Dynamisierung“ im Kulturbereich: „Ein Fiasko für alle Einrichtungen.“

Der Vorsitzende der fünfköpfigen JUPI-Fraktion, Simon Sumbert, erklärt, dass die Entscheidungen gegen die Tariferhöhung für die Rathaus-Bediensteten (diese 19 Millionen Euro müssen die Ämter einsparen, d. Red.), gegen die Dynamisierung der Zuschüsse für die Kulturschaffenden, gegen das Außenbecken im Westbad oder die Sanierung der Max-Weber-Schule in ihren Auswirkungen wohl nicht nur ihm Angst machen würden. Aber die Spielräume seien eben nicht da. Auf der anderen Seite stünden etwa der Innovationsfonds für die Kultur, ein Nachtbürgermeister·in, viele wichtige soziale sowie Klimaschutz- und Verkehrswende-Projekte.

Detlef Huber von der AfD (2 Sitze) sieht im Haushalt „eine Kapitulation vor dem linksgrünen Zeitgeist“. Der OB habe „in erster Linie Verantwortung für die Bürger dieser Stadt und eben nicht für das Weltklima“. Ein Verzicht auf das „unnötige Vergangenheitsbewältigungsprojekt“ NS-Dokuzentrum würde mehr als neun Millionen Euro sparen. Völlig unverständlich sei auch die beharrliche Weigerung dieses Gemeinderats, kleinste Erbpachtgrundstücke zu verkaufen, wo ein Potenzial von über 46 Millionen Euro liege: „Ein Eisstadion sozusagen.“

Einzelstadtrat Wolf Dieter Winkler wiederholt seine Kritik am Dietenbach: „Allein in diesen beiden Haushaltsjahren sollen dafür 65 Millionen Euro ausgegeben werden.“ Und auf der anderen Seite lasse die Verwaltung das Lycée Turenne seit 28 Jahren leer stehen. Wegen der einseitigen Ausrichtung der Ausgaben hin auf den zerstörerischen Wohnungsbau lehnt er den Haushalt ab. 

Die Haushaltsberatungen legen einen Graben quer durch den Gemeinderat frei. Die „bürgerlichen“ Fraktionen sind in der Opposition, Horn kann mit Grünen, ESfA und JUPI (25 Sitze) Mehrheiten links der Mitte finden. Es liegt an ihm, diese verantwortungsvoll zu nutzen. Aktuell ist das Schuldenmachen für mehr Ökologie, Kultur und Soziales in Freiburg Regierungspolitik.

Das Regierungspräsidium muss den neuen Haushalt aber noch genehmigen. Das ist eigentlich eine Formsache. Allerdings hatten die Aufseher schon vor zwei Jahren „erhebliche Risiken“ in der Gesamtverschuldung des Konzerns Stadt Freiburg gesehen. Und die steigt weiter. Auf 1,6 Milliarden Euro bis Ende 2024.

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