Eine Nacht als Cyborg – Wie chilli-Volontärin Liliane Herzberg im Schlaflabor durchgecheckt wurde STADTGEPLAUDER | 20.10.2021 | Liliane Herzberg

Liliane Herzberg, an den ganzen Kabeln angeschlossen im Schlaflabor Friedlich: Noch weiß Liliane Herzberg nicht, was sie in der Nacht erwartet.

Schlaf ist die beste Medizin – sagt nicht nur ein altes Sprichwort, sondern auch die Forschung. Während des Schlummerns erleben Körper und Geist überlebenswichtige Regenerationsprozesse. Bei Problemen lohnt sich deshalb der Gang in ein Schlaflabor. chilli-Volontärin Liliane Herzberg hat in einem übernachtet und erfahren, was ihr in unruhigen Nächten helfen kann.

19 Uhr: Ich erreiche die Schlafmedizinische Station der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Freiburger Uniklinikums. Kaum gemütlicher als ein Standard-Krankenhauszimmer ist der Raum, in dem ich übernachten soll: Tisch und Stühle, ein alter Kassettenrekorder, Blumenbilder an den Wänden sowie ein simples Singlebett schmücken den Raum. Und dann wäre da noch die Kamera, die bedrohlich an der Wand hängt.

19.15 Uhr: Nach einer kurzen Einführung beginnt die Verkabelung, nach der ich aussehe wie ein Cyborg. Zuerst werden Elektroden an meinem Kopf befestigt. Damit sie die Nacht über in den Haaren halten, verwendet der Pfleger, der anonym bleiben möchte, eine Gips-Paste. Ich beginne mich unwohl zu fühlen. Während er Elektroden hinter die Ohren und ins Gesicht sowie ein „Schnarchmikrofon“ an den Kehlkopf klebt, erzählt er mir von den außerordentlichsten Schichten: „REM-Verhaltensstörungen zum Beispiel sind verrückt. Normalerweise fährt der Körper die Muskelfunktion in der Traumphase so weit wie möglich runter.“ Hin und wieder gebe es jedoch Ausnahmen. Die Patient·innen kommen ins Labor, weil sie ihre Träume ausleben: „Ein älterer Herr kämpfte etwa im Schützengraben: Er ist aufgestanden, hat sich hinter dem Bett versteckt und mit imaginären Handgranaten geworfen.“ 

19.30 Uhr: Während ich mir das Szenario vorstelle, wird mir schon ein Gurt mit Dehnungssensor für die Messung des Atems am Bauch und einer an der Brust angelegt. An den Finger kommt ein Oximeter für die Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz, ein Elektrokardiogramm (EKG) wird an Schlüsselbein und Rippen befestigt sowie Elektroden an den Beinen. Zuletzt bekomme ich eine Nasensonde, mit der ich mich endgültig würdelos fühle. 

19.55 Uhr: Mit all den Kabeln heißt es nun, probeweise zu „schlafen“ und alle Funktionen zu testen. Dafür lege ich mich ins Bett und kommuniziere mit der Pflegekraft über die im Zimmer installierte Freisprechanlage. „Wir müssen nachts alle zehn Minuten die Patient·innen auf den Monitoren überprüfen“, erklärt der Pfleger. „Alles tipptopp“, ertönt es schließlich von oben.

21 Uhr: Ein paar letzte Details werden geklärt, dann bin ich alleine und es wird ruhig. Die Kamera läuft, wenn auch nur „nebenbei“. Ich fühle mich unangenehm beobachtet und versuche, mich auf mein Notizbuch zu konzentrieren.

21.30 Uhr: Schichtwechsel. Die Nachtwache tritt ihren Dienst an. Acht Stunden darf ich schlafen – um 22.15 Uhr muss das Licht aus sein. Ab da heißt es: Buch weglegen, Handy ausschalten und schlafen. Komme, was wolle.

22.30 Uhr: Wie entspannt kann eine verkabelte Nacht sein? Gar nicht, sagt mein Schlaf, ich bin hellwach. Meine Gedanken fahren Karussell, ich wälze mich hin und her. Der sogenannte „First-Night-Effect“, wie mir Laborleiter Dieter Riemann später erklärt. „Für gesunde Schläfer ist es sehr gewöhnungsbedürftig, sowohl verkabelt als auch videoüberwacht zu schlummern.“ Deshalb sind die Patient·innen in der Regel zwei Nächte da.

Kameraausschnitt der Überwachung von Liliane Herzberg

Aufgezeichnet: Wild sieht es aus, wenn die chilli-Volontärin sich vom Arbeitstag erholt.

6.15 Uhr: Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein. Denn als ich am Morgen geweckt werde, verstehe ich nicht, wie mir geschieht. Gleich geht’s weiter: Fragebogen ausfüllen, entkabeln, duschen und frühstücken – dann bin ich entlassen.

Vier Tage später: „Sie haben den Schlaf eines jungen, gesunden Menschen, der die erste Nacht im Schlaflabor verbringt“, fasst der Experte Riemann beim Nachgespräch zusammen. 81,3 Prozent beträgt meine Schlafeffizienz, mehr als 85 Prozent sind normal. Lediglich die Arousal-Phasen sind auffällig: „Das sind kleine Aufwacher, meist nur Sekunden, in denen das Gehirn checkt, ob Gefahr in Verzug ist.“

Dieter Riemann

Expertenwissen: Dieter Riemann erklärt die Hintergründe.

Sich selbst in einer unruhigen Nacht nicht verrückt zu machen, ist die Message des kognitiven Verhaltenstherapeuten Riemann. „Erst bei chronischen Schlafstörungen, also ab circa drei Monaten, ist es sinnvoll, professionelle Hilfe wie den Hausarzt aufzusuchen.“ Der könne eine Überweisung an die „Schlafsprechstunde“ veranlassen. „Da wird geprüft, ob eine Untersuchung im Schlaflabor sinnvoll ist.“ Jede·r ist willkommen, für viele sei aber die Überwindung groß, sich an die Sprechstunde an einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zu wenden. „In der Regel wird immer erst mal ein diagnostisches Gespräch geführt, und wir versuchen, die Ursache herauszufinden“, erklärt Riemann. „Bei schweren chronischen Fällen übernachten die Patient·innen im Labor und wir untersuchen, ob organische Erkrankungen vorliegen.“ Ausgehend von der Diagnostik erfolgt dann, abhängig von der Erkrankung, eine spezifische Behandlung. Im Bereich der Insomnien werde hierbei im ambulanten Rahmen die sogenannte Kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. Von 100 Betroffenen könne dabei einem Drittel exzellent geholfen werden, für ein Drittel ergibt sich eine relevante Besserung, und beim letzten Drittel müssen weitere therapeutische Optionen geprüft werden. „Das ist auch bei anderen Erkrankungen im Bereich von Psychiatrie und Psychotherapie so“, erklärt Riemann. Die Krankenkasse übernimmt in der Regel die Kosten für die Diagnostik im Schlaflabor und für die weiterführende Therapie.

Das ist für mich aber erst mal nicht wichtig. Zwar schlafe ich seit der Nacht im Labor nicht besser – um dem Problem auf den Grund zu gehen, hätte ich wohl auch zwei Nächte bleiben müssen. Aber immerhin weiß ich jetzt: Wenn ich nachts kurz aufwache, sorgt mein Hirn nur für meine Sicherheit. Und wenn ich hin und wieder nicht einschlafen kann, ist das auch okay.

Info

Hintergrund

• Rund ein Drittel des Lebens verbringt der Mensch schlafend
• Sechs bis acht Stunden Schlaf pro Nacht sind ausreichend für Erwachsene 
Es gibt vier Schlaflabore in Freiburg
• 2000 Patient·innen jährlich 

Was ist eine Schlafstörung?

Es gibt verschiedene Formen der nächtlichen Unruhe. Die häufigste und bekannteste ist die Insomnie – chronische Ein- und Durchschlafstörungen, frühmorgendliches Erwachen oder das Gefühl, dass der Schlaf nicht erholsam war. Rund zehn Prozent der Deutschen sind davon betroffen. Folgen können etwa Beeinträchtigungen im Alltag sein, Gereiztheit oder Depression. Der größte Anteil der klinischen Fälle hingegen sind Atemstörungen wie Schlafapnoe, also nächtliche Atemstillstände, wodurch der Schlafende häufig aufwacht.

Was kann ich tun?

Für Schlafhygiene sorgen, vor allem bei Insomnie. Etwa Zubettgeh-Routinen einführen oder das Handy früh weglegen. Auf koffeinhaltige Getränke nach dem Mittagessen verzichten, Alkohol vermeiden, keine schweren Mahlzeiten am Abend essen. Körperliche Aktivität ist wichtig, ebenso die Schlafroutine. Die Schlafapnoe wird in der Regel mit einer „Maskentherapie“ behandelt.

Fotos: © Philip Thomas; Universitätsklinikum Freiburg