Eine Stadt steht auf: Zehntausende setzen in Freiburg Zeichen gegen Rechtsextremismus STADTGEPLAUDER | 16.02.2024 | Pascal Lienhard

Bunte Protestschilder in der Menschenmenge Bunter Protest: Seit Mitte Januar gehen in Freiburg Menschen auf die Straße, um sich gegen menschenverachtende Ideen auszusprechen.

Seit eine Recherche Vertreibungsfantasien rechter Kreise weithin publik gemacht hat, reißen die Proteste in ganz Deutschland nicht mehr ab. Auch in Freiburg gehen Tausende auf die Straße. Nach mehreren Großveranstaltungen sind sich Organisatoren einig, dass Demonstrationen allein als Zeichen gegen Rechtsextremismus nicht aus­reichen. chilli-Volontär Pascal Lienhard hat sich bei den Protesten umgesehen und mit einem Politologen über Hintergründe und Potentiale der Demos gesprochen.

Selten hat eine journalistische Recherche einen solchen Einfluss gehabt. Am 10. Januar veröffentlichte das Medienhaus Correctiv den Beitrag „Geheimplan gegen Deutschland“. Darin berichten die Autor·innen über ein konspiratives Treffen in einem Hotel bei Potsdam. Dort wurde offenbar über radikale Abschiebepläne gesprochen. Zu den Teilnehmern gehörten Mitglieder von AfD und CDU, Letztere als Teil des Vereins Werteunion.

Michael Wehner, Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung, haben die Ergebnisse der Recherche nicht überrascht. Die besprochenen Inhalte seien nicht neu. Doch habe die Recherche in einem Jahr mit Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie in der EU und den USA die Gefahr des Rechtspopulismus verdeutlicht und Bilder von Umstürzen und Deportationen generiert. „In dieser gesamtpolitischen Gemengelage haben viele entschieden, ein Zeichen zu setzen“, analysiert der Politologe.

In Freiburg wurde das schon am 17. Januar deutlich. Bei einsetzender Dunkelheit und Nieselregen stehen Menschen dicht an dicht auf dem Platz der Alten Synagoge. Mit den Jugendorganisationen von FDP, CDU, Grünen, Linken und Junges Freiburg haben die Freiburger Jusos zur Kundgebung geladen. „Es ist inakzeptabel, wenn Menschen Pläne über massenhafte Deportationen anderer Bürger·innen machen“, sagt Gasan Gusejnov, stellvertretender Juso-Vorsitzender, Ende Januar über die Correctiv-Recherche.

Protestmenge mit Bannern und Schilder angeführt von einem Traktor

Breites Bündnis: Der Protest vereint unterschiedliche Gruppen.

In den Reden geht es nicht nur um die AfD: Quentin Gantert, Kreisvorsitzender der Jungen Union Freiburg, verkündet, dass Mitglieder der Werteunion nicht in der CDU sein dürfen. Neben dem politischen Nachwuchs spricht Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn, den größten Applaus bekommt Ali Sari vom Migrant_innenbeirat der Stadt Freiburg. Die Truppe auf der Bühne ist nicht minder bunt als die davor: dort die Familie mit Kleinkindern, daneben der Geschäftsmann, ein paar Meter weiter die Linken mit Antifa-Flagge. Die Polizei spricht von 7000 bis 8000 Teilnehmern, der Veranstalter von 10.000. „Dass es so viele sein würden, habe ich nicht kommen sehen“, sagt Gusejnov.

Auch Wehner hat nicht mit einer derart breiten Protestbewegung gerechnet: „Ich war überrascht, wie flächendeckend die Proteste stattgefunden und wie stark sich Personen und zivilgesellschaftliche Organisationen eingebracht und vernetzt haben.“ Viele fragen sich, ob die Demos einen Einfluss auf anstehende Wahlen haben werden. „Proteste verändern das Wahlverhalten nicht monokausal und linear“, erklärt Wehner. Zwar rechne er damit, dass die AfD bei den anstehenden Kommunalwahlen mehr Mandatsträger in Kreistage und Gemeinderäte entsenden wird. Auf der anderen Seite könne die öffentliche Kritik manchen bewegen, sich intensiver mit der Partei, ihren Strömungen und Problemen auseinanderzusetzen. Derzeit hält es der Wissenschaftler für ausgeschlossen, dass die AfD in den kommenden Jahren auf Bundes- oder Landesebene Teil einer Regierung wird.

Können Demos Wahlen beeinflussen?

AfD-Stadtrat Detlef Huber berichtet derweil von steigenden Mitgliedszahlen seit Beginn der Proteste. „Wir beantworten derzeit 20 Anfragen, jeden Tag kommen ein paar dazu“, sagt er. Wichtiger als ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger sei, dass die Partei Themen setzen und Debatten bestimmen könne. „Jeder spricht jetzt über Remigration“, erklärt er. Er ist sich sicher, dass seine Partei bei der Kommunalwahl mit einer „stattlichen“ Fraktion in den Freiburger Gemeinderat einziehen wird. Basierend auf den Umfragewerten von Mitte Januar hält er fünf plus x Sitze für realistisch. Aktuell sind es zwei.

Huber kritisiert, dass der Auslöser der Demos auf „krassen Fehlinformationen“ beruhe. Weder sei bei Potsdam von „Deportationen“ noch von der Ausweisung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund gesprochen worden. Wehner erkennt hier ein Muster: „In Zweifel ziehen, in Frage stellen, die Inhalte als Falschmeldungen zu diskreditieren, gehört zum Repertoire populistischer Parteien. Besonders dann, wenn sie in der eigenen Wahrnehmung als tendenziöse Medien gelten.“

Das Theater Freiburg umringt von einer protestierenden Menschenmenge

Rekord: „Wir sind die Brandmauer“ wird zur größten Demonstration der jüngeren Freiburger Geschichte.

Mitte Januar und Anfang Februar trafen sich in Freiburg wieder Tausende, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Am 20. Januar mobilisieren die „Omas gegen Rechts“ rund 5000 Menschen auf dem Platz der Alten Synagoge. Die Sonne scheint. Eine Frau im besten Alter trägt einen Rucksack, auf dem steht: LIBERTÉ, ÉGALITÉ, FCKAFDÉ. Die Polizei ist da, es ist alles friedlich, kein Gegröle, kein Getöse. Am Folgetag zieht ein Protestzug mit circa 25.000 Teilnehmern durch die Innenstadt. 13 Tage später bringt die von einem Netzwerk organisierte Protestveranstaltung „#Wir sind die Brandmauer“ noch mehr Personen auf die Straße: Die Polizei spricht von 30.000 zu den Spitzenzeiten, eine Veranstalterin von mehr als 35.000. Den Demoaufruf haben mehr als 530 Organisationen unterstützt – vom Klimacamp bis zur Badenova. Es ist die größte Demonstration seit dem Zweiten Weltkrieg.

Zum Redaktionsschluss ist keine weitere Großdemo angekündigt. „Es ist immer schwierig, eine solche Bewegung über längere Zeit aufrechtzuerhalten“, sagt Wehner. Auch Fridays for Future habe sich irgendwann schwergetan, weiter zu mobilisieren. Doch so wie ein heißer Sommer mit Hitzetoten die Umweltbewegung stärken könnte, könnten auch erneute Bedrohungen der Demokratie entsprechende Erstarkungsmomente auslösen.

Der Pädagoge Dejan Mihajlović hat den Protest vom 21. Januar organisiert. Er ist sich sicher: „Eine Demo kann nur ein Auftakt sein.“ Für den 24. Februar plant er ein „Demokratie-Camp“. Dort sollen unterschiedliche Ideen und Ansätze, die sich damit befassen, wie die Demokratie gestärkt und geschützt werden kann, frei und gemeinsam diskutiert und bearbeitet werden. „Es soll eine Möglichkeit sein, das Potential der Kundgebungen aufzugreifen und in den Alltag unterschiedlicher Bereiche zu überführen und zu verstetigen“, erklärt der 47-Jährige.

Greta Waltenberg und Dejan Mihajlovic

Gemeinsam laut: Greta Waltenberg und Dejan Mihajlović engagieren sich gegen Rechtsextremismus.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Studentin Greta Waltenberg, die an der Organisation von „#Wir sind die Brandmauer“ mitgewirkt hat. „Dauerhafte, auch kleinere Veranstaltungen oder Hintergrundarbeit erzeugen den größeren Impact“, glaubt die 22-Jährige. Das Netzwerk habe einen großen Fokus auf weiteres Engagement gelegt. Juso Gusejnov wünscht sich derweil, dass die Gesellschaft aktiv bleibt. „Ein Bündnis aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft ist erforderlich, um weiter stark für unsere Demokratie einzutreten“, erklärt der 22-Jährige.

Politologe Wehner blickt zuversichtlich nach vorne: Aktuelle Umfragen zeigten, dass ein Großteil der Bevölkerung mit der Demokratie zufrieden sei. Letztlich sei das Reden über die Krise so alt wie die Regierungsform selbst. Er ist sich sicher: „Die Demokratie ist herausgefordert, aber sie wird diese Krise bewältigen.“

Fotos: © Peter Herrmann, Cedric Büchling