„Für Feinstaub ist der Mensch nicht geschaffen“: Lungenarzt warnt vor Schäden durch kleinste Partikel STADTGEPLAUDER | 17.03.2019 | Philip Thomas
Wie schädlich ist das Leben in einer Großstadt? Sebastian Fähndrich ist leitender Oberarzt der pneumologischen Abteilung am Freiburger Universitätsklinikum. Im Interview mit chilli-Volontär Philip Thomas warnt der 42-Jährige sowohl vor Feinstaub als auch einer Schieflage in der aktuellen Diskussion.
chilli: Die Debatte um Feinstaub wird in Deutschland sehr emotional geführt. Zuletzt polarisierte der Lungenfacharzt Dieter Köhler in einer Talkshow mit Aussagen, er würde bedenkenlos an einer der schmutzigsten Straßen Stuttgarts wohnen. Was halten Sie von solchen Aussagen?
Fähndrich: Herr Köhler hat sich verdient gemacht, aber wir als Freiburger positionieren uns gegen solche Aussagen. Ohnehin gehörte diese Diskussion auf einen Fachkongress, die breite Bürgerschaft verfügt nicht über genügend Hintergrundwissen, um solche Aussagen richtig einordnen zu können. In diesem Bereich ist es schwierig, Studien zu betreiben, weil man kaum alle Störfaktoren abbilden kann. Es ist schwierig in der Angelegenheit eine Kausalkette aufzuzeigen, aber tausende Studien liefern Hinweise über die Schädlichkeit von Feinstaub.
chilli: Die Diskussion ist also überfällig?
Fähndrich: Ja, der Mensch ist von der Evolution konzipiert, um vor einem Lagerfeuer zu sitzen. Die Rauchpartikel, die dort entstehen und inhaliert werden, besitzen Maße von über zehn Mikrometer und sind damit vergleichsweise groß. Solche Partikel bleiben ungefähr 24 Stunden in der Lunge. Dann hat es der Körper durch Reinigungsmechanismen geschafft, die meisten dieser großen Teilchen wieder zu entfernen. Für Industrieverbrennungsprodukte wie Feinstaub ist der Mensch jedoch nicht geschaffen.
chilli: Warum nicht?
Fähndrich: Solche Teilchen sind mit einer Größe von unter 5 Mikrometern wesentlich kleiner. Zwar verlassen 80 Prozent dieser Partikel nach dem Einatmen den Körper direkt wieder, bei den restlichen 20 findet jedoch eine endgültige Deposition statt: Diese Teile vagabundieren in andere Organe und können dort chronische Entzündungen verursachen sowie zu einer verringerten Aufnahmefähigkeit der Lunge führen. Durch Feinstaubbelastung kann die Lunge eines Rentners aussehen wie die eines Rauchers.
chilli: Also sollte man Feinstaub den Kampf ansagen?
Fähndrich: Unsere Position ist es, Feinstaub zu vermeiden. In der EU muss normalerweise derjenige, der eine Chemikalie entwirft, beweisen, dass diese ungefährlich ist. In der Feinstaubdiskussion herrscht allerdings Beweislastumkehr: Hier muss der Geschädigte beweisen, dass er geschädigt wurde. Das ist eine schiefe Diskussion.
Fahrverbote: Alte Diesel werden in vielen Städten ausgesperrt
- Hamburg: Zwei Straßenabschnitte sind seit Mai für Diesel unter Euro 6 verboten. Teilweise auch für LKW.
- Stuttgart: Seit Januar dürfen in ganz Stuttgart keine Diesel bis Euro 4 unterwegs sein. Für Anwohner gilt eine Ausnahme bis zum 1. April.
- Bonn: Ab April sollen auf zwei Straßen alle Diesel bis Euro 4 tabu sein.
- Darmstadt: Ab Juni dürfen hier auf zwei Straßen keine Diesel bis Euro 5 fahren.
- Berlin: Ab Juli sollen elf Straßenabschnitte für Euro 5 und älter gesperrt werden.
- Essen: Ab Juli sind in vielen Stadtteilen nur noch Diesel der Schadstoffklasse 5 oder höher erlaubt. Ab September nur noch ab Euro 6.
- Paris: In Frankreichs Hauptstadt ist jeder erste Sonntag des Monats autofrei. Ab 2030 sollen dort Verbrenner-Motoren Geschichte sein.
- London: Für alte Diesel und Benziner ist ab April eine „toxicity charge“ von zehn Pfund fällig. Eine City-Maut zahlt jeder.
- Kopenhagen: Im Zentrum von Kopenhagen gibt’s seit Januar für Dieselautos keine Neuzulassung mehr.
tln
Fotos: © pixabay; Sven Henschke