„Manchmal sinnvoll“ – Psychologin über Einsamkeit bei jungen Menschen Gesellschaft | 27.09.2025 | David Pister
Fast die Hälfte aller Jugendlichen fühlt sich einsam. Das zeigt eine Studie der Uni Stuttgart zur Lage in Baden-Württemberg. Wie Einsamkeit entsteht, wie man damit umgehen sollte und warum Einsamkeit nicht unbedingt schlecht sein muss, erklärt die Psychologin und Psychotherapeutin der Uni Freiburg Eva-Maria Fassot im Interview mit f79-Redakteur David Pister.

Eva-Maria Fassot ist Diplom Psychologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Seit 2015 leitet sie die Ambulanz für Kinder, Jugendliche und Familien des Psychotherapiezentrums der Universität Freiburg.
f79 // Ist Einsamkeit eine psychische Erkrankung?
Fassot // Einsamkeit ist keine Diagnose, sondern ein Symptom von verschiedenen Krankheitsbildern. In der Praxis erleben wir Einsamkeit zum Beispiel häufig in Zusammenhang mit Depressionen oder als Folge von traumatischen Ereignissen, im Rahmen von Traumafolgestörungen, bei Ängsten oder auch bei expansiven Störungen.
f79 // Worin liegt der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?
Fassot // Alleinsein ist ein objektiver Zustand. Einsamkeit ist ein Gefühl. Junge Menschen können sich einsam fühlen, obwohl sie nicht alleine sind – und umgekehrt.
f79 // Wie äußert sich das?
Fassot // Einsamkeit kann sich auf verschiedenen Ebenen zeigen und ist nicht immer von außen zu sehen. Anzeichen können aber zum Beispiel Schlafprobleme oder Appetitlosigkeit sein. Einsamen Kindern kann es an sozialen Kontakten mangeln. Das führt zu Traurigkeit und einem geringen Selbstwertgefühl. Einsame Kinder ziehen sich oft noch weiter zurück und können mitunter auch aggressiv werden. In der Schule können sich die Leistungen verschlechtern.
f79 // Sind junge Menschen heute öfter einsam als früher?
Fassot // Ich denke, Einsamkeit war schon immer ein Thema. Kinder und Jugendliche verbringen immer mehr Zeit bei sozialen Netzwerken wie Instagram oder Tiktok. Das kann Einsamkeit verstärken. Diese Zeit steht dann nicht mehr zur Verfügung, um direkte soziale Kontakte zu pflegen. Online vergleichen sich die Kinder mit vermeintlich beliebteren Menschen. Das kann zu einer unguten Gedankenspirale führen.
f79 // Ist Einsamkeit denn immer negativ?
Fassot // Gerade im Jugendalter ist es manchmal sogar sinnvoll, sich einsam zu fühlen. Es geht um Selbstfindung und darum, Zeit mit sich selbst zu verbringen. Einsamkeit ist eine zweischneidige Angelegenheit. In gewisser Weise gehört sie zum persönlichen Wachstum dazu.
f79 // Während der Corona-Pandemie hatten Schulen geschlossen, soziale Kontakte wurden reduziert. Wie wurden Jugendliche dadurch beeinflusst?
Fassot // Für viele war das ein einschneidendes Erlebnis. Studien zeigen, dass psychische Erkrankungen zugenommen haben. Aus meiner Erfahrung hatten es vor allem Kinder, die zu dieser Zeit auf die weiterführende Schule gekommen sind schwer, Anschluss zu finden.
f79 // Welche Rolle spielen die Eltern?
Fassot // Der Einfluss der Eltern auf die psychische Entwicklung von Kindern ist sehr komplex. Die Vermutung ist allerdings, dass sich das soziale Verhalten von Kindern früh entwickelt. Gibt es eine gesunde, sichere Bindung zwischen Eltern und Kindern, hat das sicher einen positiven und schützenden Einfluss – auch beim Thema Einsamkeit. Wichtig sind offene Kommunikation, emotionale Unterstützung und soziale Erlebnisse wie gemeinsame Mahlzeiten oder Freizeitaktivitäten.
f79 // Wie sollten Eltern reagieren, wenn sich ihre Kinder einsam fühlen?
Fassot // Immer zuerst ins Gespräch gehen und dann gemeinsam mit dem Kind überlegen, wie man die Situation lösen kann. Feste Rituale und eine Tagesstruktur können präventiv wirken. Bei jüngeren Kindern können Eltern Freunde einladen oder das Kind in einem Verein anmelden. Bei Jugendlichen geht es darum, selbst Gelegenheiten zu schaffen, andere zu treffen – bei einem Hobby, im Verein. Manchmal kann man dem Kind helfen, indem man eigene Verhaltensweisen oder die des Kindes verändert, manchmal muss man aber auch die Situation ändern: Wenn ein Kind zum Beispiel aktiv in der Klasse ausgegrenzt und gemobbt wird, muss die Schule reagieren oder ein Klassen- oder Schulwechsel in Erwägung gezogen werden.
f79 // Was raten Sie Jugendlichen, die sich einsam fühlen?
Fassot // Sie sollten das Gespräch mit einer Vertrauensperson suchen. Eine Möglichkeit kann sein, zu versuchen, ihren Gefühlshaushalt in den Griff zu bekommen und zum Beispiel Tagebuch zu schreiben. Oder sich auch mal etwas Gutes tun. Wenn man mit sich selbst zufrieden ist, wird man auch attraktiver für andere. Das ist ja das Gemeine: Wenn es mir nicht gut geht, dann strahle ich das aus und auch andere wollen nichts mit mir zu tun haben.
Anlaufstellen
Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Stadt Freiburg:
Habsburgerstraße 2 (1. Obergeschoss), 79104 Freiburg, Tel.: 0761/2018521
beratung-habsburgerstrasse@stadt.freiburg.de
Weitere Standorte:
Krozinger Straße 19b, Leisnerstraße 2
Ambulanz für Kinder, Jugendliche & Familie der Uni Freiburg:
Sprechzeit, mittwochs 10–11 Uhr unter Tel.: 0761/20354014
Jugendberatung Freiburg e.V.:
beratemich@jugendberatung-freiburg.de // Tel.: 0761/273487
Nummer gegen Kummer:
Tel.: 116 111 // www.nummergegenkummer.de










