Joint Venture: Breite Front will Freiburg als Cannabis-Modellkommune STADTGEPLAUDER | 17.08.2023 | Till Neumann

eine Person hält ein Hanfblatt gegen die Sonne

Das Bundeskabinett hat am gestrigen Mittwoch den Entwurf fürs neue Cannabisgesetz beschlossen. Nun sind Modellkommunen gesucht, die als Testballon für eine legalisierte Abgabe von Gras fungieren. München will es. Dortmund will es. Frankfurt und Offenbach auch. Auch in Freiburg häufen sich Stimmen für einen Antrag als Modellkommune. Die CDU ist besorgt und möchte gegen das Vorhaben mobilisieren. Doch ihr gegenüber steht eine breite Front aus Politik, Wissenschaft und Suchtbekämpfern. Dabei sind viele Eckpunkte noch unbekannt.

Mehrheit im Gemeinderat

Das Wort „breit“ im Zusammenhang mit Cannabis zu nutzen, ist zweideutig. Aber die Schlagkraft der unterzeichnenden Fraktionen bildet hier eine Mehrheit, die das Adjektiv verdient. Im Juni ging der Antrag zur Vorbereitung Freiburgs als Cannabis-Modellregion an Oberbürgermeister Martin Horn. Getragen von Jupi, den Grünen, Eine Stadt für Alle, SPD/Kulturliste sowie FDP/BfF. In voller Stärke versammeln sie allein 36 von 48 Mitgliedern des Gremiums. Ein Joint Venture für den Joint.

Mit dem Schreiben fordern sie, den Tagesordnungspunkt „Bewerbung Stadt Freiburg als Cannabis-Modellregion“ in eine Gemeinderatsitzung zu bringen. So wie das andere Städte tun. Frankfurt am Main gemeinsam mit Offenbach beispielsweise. Gleichlautende Stimmen aus Dortmund oder München sind zu hören. Dort gibt es ebenfalls Mehrheiten für einen solchen Vorstoß.

»Viel Expertise vor Ort«

Das interfraktionelle Bündnis im Breisgau nennt mehrere Gründe, den Hut in den Ring zu werfen: „Als Standort für solch eine Modellregion eignet sich Freiburg unter anderem dadurch, dass wir viel wissenschaftliche Expertise vor Ort haben.“ Welche Folgen für den Gesundheits- und Jugendschutz eine Legalisierung hätte, könnte gemeinsam mit wissenschaftlichen Einrichtungen überprüft werden. Genannt werden unter anderem die Albert-Ludwigs-Universität, das Uniklinikum oder auch das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht. Ein weiteres Argument ist für die Antragstellenden die Lage im Dreiländereck: Es könne untersucht werden, wie sich eine Legalisierung auf Grenzregionen auswirkt.

Auch weitere Partner sind im Antrag genannt: die Ortsgruppe des Deutschen Hanfverbands oder etwa Landwirt·innen, die erfahren sind im Anbau von Nutzhanf. Das Papier verweist darüber hinaus auf die Fachmesse CannaB. Sie ist 2022 zum ersten Mal an der Freiburger Messe gestiegen und habe „unsere Stadt als Standort für eine seriöse Auseinandersetzung mit der Thematik hervorgehoben“. Zu guter Letzt nennen die Stadträt·innen Freiburgs Bevölkerung als Argument. Sie sei jung, studentisch geprägt, liberal und daher offen für neue Wege in der Drogenpolitik.

Eine kritische Reaktion

Ist dafür: Stadtrat Hannes Wagner (Grüne)

Mitinitiator ist Hannes Wagner von den Grünen. Der Medizinstudent hält es für wichtig, den Antrag auf den Weg zu bringen, bevor das Bundesgesundheitsamt Details zum Verfahren preisgibt. Es erhöhe die Chancen, am Ende ausgewählt zu werden. Das hätten ihm Bundestagsabgeordnete seiner Partei mitgeteilt. Für den 24-Jährigen würde der Modellversuch Hand in Hand gehen mit verschiedenen Akteuren aus Wissenschaft und der Szene. Dafür sieht er viel Zustimmung, erste Gespräche seien bereits geführt worden.

Die kritischen Reaktionen sind hingegen verhalten. „Ich weiß von einer“, sagt der Stadtrat. Aus dem Bereich der Psychiatrie habe sich jemand mit Bedenken zum Gesundheitsschutz gemeldet. Das könne er verstehen. Er sagt aber auch: „Ich glaube, Beispiele wie Portugal zeigen, dass die Entkriminalisierung, wenn man es richtig macht, eben nicht dazu führt, dass mehr konsumiert wird.“ Besserer Jugendschutz sei so möglich. Portugal hat vor mehr als 20 Jahren Drogen entkriminalisiert. Der Besitz von weichen und harten Drogen gilt dort als Ordnungswidrigkeit. Die Prävention wurde verstärkt. Der Drogenkonsum ist vor allem bei jungen Menschen zurückgegangen.

Christoph Weber und Manuel Wiegert

Unterstützen den Vorstoß: Christoph Weber (rechts) von der Drogenhilfe Freiburg und Manuel Wiegert von der Freiburger Ortsgruppe des Hanfverbands.

„Schon genug legale Drogen“

Klaus Schüle von der CDU-Fraktion ist skeptisch. Er hat sich bereits öffentlich gegen das Vorhaben aus dem Gemeinderat positioniert. „Wir wollen dem energisch entgegentreten“, sagt der 59-jährige Stadtrat. Die CDU sei grundsätzlich gegen eine Legalisierung von Cannabis. „Wir haben schon genug mit anderen legalen Drogen zu kämpfen“, findet der Politiker. Eine Freigabe bringe die Gefahr mit sich, dass die Hemmschwelle sinke, Cannabis oder stärkere Mittel zu nehmen. Schüle fordert daher, verstärkt auf Prävention zu setzen. Und auf Aufklärung.

In dem Bereich kennt sich Christoph Weber aus. Der 62-Jährige arbeitet seit 25 Jahren für die Drogenhilfe Freiburg und hat mit vielen Konsumierenden zu tun, die dadurch in Schwierigkeiten geraten. Auch mit solchen, die in ihrem Leben zwei Joints geraucht hätten und trotzdem Ärger bekämen. „Grundsätzlich finden wir den Antrag als Modellkommune gut“, sagt Weber. Fachlich könne die Drogenhilfe dahinterstehen. Wichtig wäre aber, dass die Prävention in dem Zuge auch verstärkt wird. „Das muss möglichst gleichzeitig oder schon vorher aufgestellt werden“, fordert der Experte.

Schulen wollen Aufklärung

Die Mindestforderung sei hierbei, dass es in Städten eine Präventionsstelle gebe pro 100.000 Einwohner. Das wären 2,5 Stellen für Freiburg. Aktuell gilt Prävention als originäre Aufgabe von Beratungsstellen. Schon jetzt reiche das bei weitem nicht aus. Schulen würden regelmäßig darum bitten, zu ihnen zu kommen, um aufzuklären. „Das können wir personell überhaupt nicht leisten“, sagt Weber. Er geht davon aus, dass die Anfragen im Falle einer Legalisierung weiter steigen.

Wird Freiburg Cannabis-Modellstadt, ist die Drogenhilfe gerne bereit, ihre Expertise einzubringen und beratend zur Seite zu stehen, betont Weber. Dem CDU-Politiker Schüle widerspricht er vehement. „Wenn es in der Öffentlichkeit so ankommt, als würde mit der Legalisierung dem Konsum Tür und Tor geöffnet, ist das falsch.“ Das sei schon lange so.

Mehrere Personen tragen einen überdimensionierten Joint

Demo: Im April zog Aktivist Tobias Pietsch (vorne rechts) mit weiteren Legalisierungs-Befürwortenden durch die Innenstadt. Inklusive vier Meter langem Joint.

„Es ist einfach verrückt“

Es brauche daher vernünftige Schritte, die längst überfällig sind. Gelegenheitskonsumenten würden sonst weiter kriminalisiert und stigmatisiert. Dass Gras konsumiert werde, sei Fakt. „Es ist einfach verrückt, das dem illegalen Bereich zu überlassen“, sagt Weber. Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen: Von den 18- bis 25-Jährigen hat fast die Hälfte (46,6 Prozent) bereits gekifft.

Mit den Gefahren von Cannabis kennt sich auch Volker Auwärter aus. Er leitet das Labor für forensische Toxikologie am Freiburger Uniklinikum und befasst sich intensiv mit Risiken beim Konsum. Kürzlich hat er einen TikTok-Hit gelandet, als er für seinen Arbeitgeber in einem Video über „Fake Cannabis“ aufgeklärt hat. Mehr als 120.000 Views hat der Beitrag mittlerweile.

„Voraussetzungen sicherlich gut“

Auwärter ist ebenfalls im Team „Pro Modellstadt“. „Ich stehe dem Vorhaben grundsätzlich positiv gegenüber“, sagt der Forscher. Negative wie positive Folgen einer legalen Abgabe außerhalb der geplanten Anbauvereinigungen könnten nur valide bewertet werden, wenn entsprechende Modellprojekte durchgeführt und wissenschaftlich evaluiert werden. Für ihn ist Fakt: „Die Voraussetzungen für eine solche Evaluierung sind in Freiburg sicherlich sehr gut.“

Das sieht auch Tobias Pietsch so. Der Cannabis-Aktivist betreibt unter anderem in Freiburg den Hanfnah-Laden. Dort verkauft der 39-Jährige legale Produkte mit CBD und rund ums Thema Hanf. Er ist zudem amtierender „Mr. Cannabis Europe“ und hat sich mittlerweile weit über Freiburg hinaus einen Namen gemacht.

Am Ende Drogentote?

Für Pietsch ist die Sache klar: „In der Region wird ein Modellprojekt die Akzeptanz steigern.“ Jahrelang sei die Bevölkerung „gebrainwashed“ worden. Viele würden daher glauben, bei einer Legalisierung gebe es am Ende Drogentote und alle rennen mit irgendwelchen Psychosen rum. Dabei könne sich bei einer kontrollierten Abgabe die Situation für viele verbessern. Und die Regierung sogar Einnahmen generieren, die bisher in den Schwarzmarkt fließen.

Toxikologe Volker Auwärter (links) und CDU-Stadtrad Klaus Schüle.

Dafür und dagegen: Toxikologe Volker Auwärter (rechts) und CDU-Stadtrat Klaus Schüle.

Pietsch hofft, dass der Jugendschutz dann nicht mehr am Stühlinger Kirchplatz ende, sondern bei einer geprüften Abgabestelle, die auch den Ausweis kontrolliere. Millionen Menschen würden bisher ihrer Freiheit beraubt und kriminalisiert. Bisher habe das Verbot von Cannabis jedoch weltweit nur neue Probleme verursacht und keines der entstehenden jemals gelöst.

Forderung zum Führerschein

Zu Freiburg passe ein solcher Modellversuch als offene und moderne Stadt gut. Pietsch berichtet: „Beim weltweit stattfindenden Global Marihuana March haben wir in Freiburg schon seit Jahren in ganz Deutschland die höchsten Teilnehmerzahlen.“ Seine Expertise zum Thema würde auch er einbringen, wenn das gewünscht ist.

Dem pflichtet auch Manuel Wiegert bei. Der 34-Jährige ist Leiter der Freiburger Ortsgruppe des Hanfverbands und sagt: „Wir begrüßen den Antrag und sind bereit, uns in jeder Form einzubringen.“ Als Themen nennt er Jugendschutz, Verbraucherschutz, Prävention, Verbesserung der Ökologie sowie die Entlastung von Polizei und Justiz. Eines der heißen Eisen sei die Führerscheinfrage. Da trauten sich bisher die wenigsten ran. Der Verband wünscht sich dringend mehr Klarheit. Konkret: eine Grenze zu führerscheinrechtlichen Konsequenzen, die vergleichbar dem Wert von Alkohol wissenschaftlich angepasst wird.

Die Zahl der Befürworter einer Modellkommune im Breisgau ist groß. Für die CDU ist das kein Grund, die Segel zu streichen. „Wir werden sehr intensiv darüber diskutieren und die Diskussion in der Gesellschaft in Freiburg suchen“, sagt Schüle. Er ist überzeugt, „sehr viele Menschen hinter uns zu haben mit unseren Argumenten“. Gegen eine breite Mehrheit im Gemeinderat dürfte das trotzdem schwierig werden. Die Lunte für einen Antrag als THC-Test-Stadt ist gelegt.

Modellkommunen

Die Bundesregierung möchte Cannabis legalisieren. Vorab sollen ausgewählte Kommunen erproben, wie eine solche legale Abgabe funktioniert. Erwachsene können dann in lizenzierten Geschäften Cannabis kaufen. Wie viele Kommunen ausgewählt werden und ab wann, ist bisher nicht zu erfahren. „Aktuell befindet sich der Entwurf des Gesetzes in der Abstimmung mit den Ressorts, Ländern und Verbänden“, teilt Bundesgesundheitsministeriums-Sprecherin Sabine Grüneberg mit. Eine Stellungnahme sei daher nicht möglich. Weitere Informationen sollen im zweiten Halbjahr 2023 folgen.

Fotos: © unsplash.com, Till Neumann, Universitätsklinik Freiburg, privat, Britt Schilling

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