Bedrückende Kammer: Bauarbeiten im künftigen Dokumentationszentrum Nationalsozialismus Freiburg Kultur | 15.03.2023 | Erika Weisser

Baustelle

Von dem am Rotteckring gelegenen ehemaligen städtischen Verkehrsamt ist derzeit nicht viel zu sehen. Die für seinen Architekten, den von 1925 bis 1952 amtierenden Freiburger Stadtbaumeister Joseph Schlippe, typischen, in der ganzen Altstadt anzutreffenden Arkaden verschwinden hinter einem hohen gelben Bauzaun, ein Kran ragt empor. Unsichtbar sind dadurch derzeit auch die massiven Eisengitter der Firma Mannesmann, die über den Kellerluken in den Boden eingelassen sind, auf denen „Luftschutz“ zu lesen ist. Und die Jahreszahl 1936.

Diese Zahl prangt auch auf dem eher luftig anmutenden gusseisernen Gitterwerk, das über der eher unscheinbaren Tür angebracht ist, durch die man von der Turmstraße aus Zugang zu dem zweigeschossigen Haus hat – wenn man das Glück hat, mit einer befugten Person hinter den Bauzaun zu gelangen. Zu diesen Menschen gehört zweifellos Julia Wolrab, die seit etwa zwei Jahren das hier entstehende Dokumentationszentrum Nationalsozialismus leitet. Gleich am Eingang erläutert sie, was es mit den olympischen Ringen auf sich hat, die, umrankt von repräsentativen Ornamenten, unter der Jahreszahl in die Vergitterung eingearbeitet sind: Mit diesem Emblem, sagt die Historikerin, sollte das 1936 eröffnete Verkehrsamt, in dem verschiedene Reise-, Freizeit- Wander- und andere Mobilitätsvereine untergebracht wurden, die Weltoffenheit der Stadt Freiburg signalisieren und Winter- wie  Sommerfrischler für den Schwarzwald begeistern.

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Obwohl an den Luftschutzgittern wie auch an den in Hüfthöhe mit phosphoreszierender Farbe aufgemalten Pfeilen zu erkennen ist, dass Nazideutschland damals schon den Krieg vorbereitete: Sie weisen in den von Anfang an geplanten und eingerichteten Luftschutzkeller in dem Haus, das Schlippe 1934 im Auftrag der damaligen Nazi-Stadtverwaltung entwarf. Nach außen angeblich weltoffen, im Innern ausgrenzend, mörderisch und kriegstreibend, sagt Wolrab dazu. Kurz darauf wird deutlich, was sie meint: Zwischen dem beinahe im Original erhaltenen, bombensicher wirkenden Keller, von dessen Decke derzeit alle möglichen Kabel und Rohre von der Decke hängen, und dem Ausgang  ins benachbarte Treppenhaus, ist eine Gas-Schleuse mit zwei Türen eingerichtet, die bei Giftgasalarm geschlossen wurden, um die dorthin Geflüchteten zu schützen.

Diese enge, bedrückende Kammer ist im Originalzustand – und soll auch so bleiben. Auch die beiden Kellerräume mit den diversen Nebenräumen mit den oben erwähnten Luken werden lediglich gereinigt und eventuell gestrichen. Nicht nur wegen des Denkmalschutzes: Hier wird der Teil der Dauerausstellung untergebracht, der die ersten Jahre der Diktatur zum Thema hat. Und diese Räume eignen sich laut Wolrab besonders gut, um die beengende Atmosphäre jener Zeit zu spiegeln.

Vom Keller aus wird man künftig in den Gedenkraum gelangen, der im derzeitigen Innenhof ganz neu eingerichtet wird. Hier wird ein Teil der bei den Bauarbeiten am Platz der Alten Synagoge gefundenen Fundamentsteine eingearbeitet. Hier werden außerdem die Namen aller von den Nazis ermordeten Freiburger·innen zu lesen sein, deren Lebens- und Leidensgeschichten über QR-Codes zu erfahren sind.

Zurzeit ist davon aber noch keine Spur zu sehen; die Bauarbeiter haben eben erst angefangen, die Erde auszubaggern. Schicht für Schicht, sagt Julia Wolrab, und mit großer Vorsicht: Es kann vermutet werden, dass der Boden noch Gefahrenstoffe aus der Kriegszeit birgt: „Überraschungen kann es bei einem alten Gemäuer immer geben.“ Welche Überraschungen im Hausinnern noch lauern, ist gleichfalls ungewiss. Wolrab hofft aber, dass, falls vorhanden, sie den Baubetrieb nicht aufhalten und das Dokuzentrum Mitte 2024 eröffnet werden kann.

Fotos: © Erika Weisser

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