Wortbilder einer Dichterin: Ingeborg Gleichaufs neues Buch Kultur | 28.08.2023 | Erika Weisser

Ingeborg Gleichauf ist eine fleißige und produktive Autorin. In den 28 Jahren ihres freien Schriftstellerinnendaseins hat die fast 70-Jährige 15 Bücher veröffentlicht. Und sich dabei bis auf wenige Ausnahmen nicht gerade mit einfachen Themen beschäftigt. Im Gegenteil: In ihren kenntnisreichen Biografien und Porträts vorwiegend  weiblicher Menschen hat sich die promovierte Germanistin und Philosophin, die aus Neustadt stammt und seit 50 Jahren in Freiburg lebt, stets mit schwierigen oder schwierig einzuordnenden Persönlichkeiten beschäftigt.

Simone de Beauvoir gehörte dazu, Ingeborg Bachmann, Hannah Arendt, aber auch umstrittene Frauen wie Gudrun Ensslin. Und nun eben auch Gertrud Kolmar, die wenig bekannte „Dichterin mit den starken Wortbildern“. Wie bei den anderen mehr oder weniger namhaften Dichterinnen, Philosophinnen und Aktivistinnen hat Gleichauf auch in ihrem jüngsten Buch das Leben und Handeln ihrer Protagonistin weniger interpretiert als sorgfältig recherchiert und säuberlich, aber dennoch empathisch, analysiert.

Die komplexen Hintergründe und Beziehungen, die sie prägten. Aber auch und vor allem „von innen heraus“ anhand der schriftlichen Spuren, die sie hinterließen: Lyrik, Prosa, Manifeste, Artikel, Tagebücher, Briefe. Über diese „Zeugnisse des intimsten Empfindens“, sagt sie, nähere sie sich jenen an, die sie zwar erforsche, jedoch nie als Forschungsobjekte sehe. Sondern als besondere Menschen.

Diese Herangehensweise erlaube ihr, schon im Prozess der Recherche eine Nähe zu der jeweiligen Person aufzubauen, aus der sich beim Schreiben ein „tiefes Verstehen“ entwickle. Diese ganz besondere – aber keineswegs distanzlose – Einfühlung ist auch in „Alles ist seltsam in der Welt“, dem biografischen Essay über Gertrud Kolmar, zu spüren. Dadurch, dass Gleichauf viele ausführliche Beispiele aus dem lyrischen Werk dieser fast vergessenen Autorin einflicht und so Dichtung und Leben miteinander verwebt, wird das Buch dennoch zu einem sehr fundierten und genauen Porträt dieser Frau. Die nicht einmal 50 Jahre alt war, als sie 1943, nach zwei Jahre währender Zwangsarbeit in einem Berliner Rüstungsbetrieb als Jüdin nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde.

Ihre Motivation, dieses Buch zu schreiben, sagt Gleichauf, sei es gewesen, die zwar sehr persönliche, aber universelle und nicht an Zeitläufte gebundene Lyrik von Gertrud Kolmar heutigen Leserinnen und Lesern nahe zu bringen. Und dabei auch der Gefahr entgegenzutreten, „alles vor dem Horizont ihres frühen und gewaltsamen Todes zu lesen“. Denn bevor sie zum Opfer wurde, habe sie gelebt. Und wurde, „indem sie die Dichterin ihres Lebens ist, zur Dichterin des Lebens überhaupt“.

Info

Am 31. August gibt es bei den Herdermer Sommerlesungen auf dem Kirchplatz die Gelegenheit, mit Ingeborg Gleichauf in eben dieses Leben der Gertrud Kolmar einzutauchen. Beginn: 19.30 Uhr, bei Regen im Jugendforum bei der Weiherhofschule.

Foto: © Frank Berno Timm

Alles ist seltsam in der Welt

Alles ist seltsam in der Welt

Getrurd Kolmar. Ein Porträt
Von Ingeborg Gleichauf
Verlag: Aviva, 2023
206 Seiten, gebunden