Rebellen mit Klebstoff: Die umstrittenen Aktivist*innen der „Letzten Generation“ STADTGEPLAUDER | 17.03.2022 | Till Neumann

Aktivisten rebellieren und blockieren Straße

Immer wieder haben sie zuletzt Autobahnen blockiert – und sich dabei mit Klebstoff auf die Straße geheftet. „Zivilen Ungehorsam“ nennen die Protestierenden ihre Form des Widerstands für mehr Klimaschutz. Er sorgt in Bevölkerung und Politik für viel Kritik. Auch in Freiburg ist eine Gruppe der „Letzten Generation“ aktiv. Zwei Engagierte erzählen, was sie antreibt.

Sie sind bereit, mit heftigsten Maßnahmen friedlich für ihre Ziele zu kämpfen: die Aktivisten von „Aufstand der letzten Generation“. Hervorgegangen ist die mittlerweile deutschlandweit aktive Gruppe aus einem Hungerstreik im Sommer 2021. Vor dem Reichstag in Berlin harrte eine Gruppe aus und wollte erst dann wieder essen, wenn die Regierung ihnen ein Gespräch zusagt. Das ist nach langem Durchhalten gelungen, Bundeskanzler Scholz stellte sich später ihren Fragen – es wurde hitzig.

In den Augen der Hungerstreikenden ist die deutsche Klimapolitik zu lasch und muss dringend verschärft werden. Mit ihrer Forderung verbinden sie ein Zitat des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber: „Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt.“ Er ist Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und langjähriges Mitglied des Weltklimarats. Die Protestierenden sehen sich daher als „die ‚letzte Generation‘, die die unumkehrbare Vernichtung unserer Lebensgrundlagen und damit unserer Zivilisation stoppen kann“.

Auch Melina, die ihren Nachnamen lieber für sich behält, sieht das so: „Wir rasen ungebremst in den Klimakollaps.“ Was sie antreibe? „Es ist eine Art Verzweiflung, wenn man sich die Fakten anschaut.“ Auch hier in Deutschland sei der Kollaps nahe, mit Klima-flüchtlingen sei zu rechnen.

Aktivistin Melina

Wird angeschrien: die Freiburgerin Melina.

Mehrfach war sie zuletzt bei Straßen-blockaden dabei. Sowohl die B31 hat sie mit Kolleg*innen in Freiburg lahmgelegt als auch die Abfahrt der Autobahn A5. „Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich so etwas mal mache“, erzählt Melina. Aber es habe sich richtig angefühlt – trotz des heftigen Gegenwinds. „Wir wurden mehrmals angeschrien“, erzählt sie. „Verpiss dich“, sei da noch eine Beschimpfung der harmloseren Sorte gewesen.

Der Ärger der ausgebremsten Autofahrer war wie zu erwarten groß. Daher kommt die „Letzte Generation“ zu solchen Aktionen mit einem Deeskalationsteam. „Wir haben Schokolade dabei und verteilen die an die Autofahrer – manchmal hilft’s“, berichtet Melina. Auch Konflikttraining gibt’s im Vorfeld: „Wir schreien uns gegenseitig an“, berichtet die Aktivistin. Ihr Ansatz, um Distanz zu wahren: „Wir stehen für die Sache ein, man darf es nicht persönlich nehmen.“ Die Polizei nahm sie mehrfach mit aufs Revier. Geld-strafen stehen im Raum.

15 bis 20 Leute umfasse das Team in Freiburg, berichtet Melina. Von einer 66 Jahre alten Seniorin bis zu Studierenden sei die Gruppe breit gefächert. Mit ihren Blockaden macht sich die „Letzte Generation“ jedoch auf breiter Linie unbeliebt. Ihre Einsätze werden als illegal gescholten, selbst die Klimapartei der Grünen hat sich in großen Teilen distanziert. „Autobahnen oder auch Flughäfen zu blockieren ist keine Hilfe, es ist falsch“, sagt Umweltministerin Steffi Lemke. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FPD schrieb auf Twitter: „Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig. Protest ist okay, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“

Aktivist sitzend auf dem Boden und einem Polizisten zugewandt

Blockieren Straßen: die Protestierenden fordern mehr Klimaschutz.

Dennoch stößt das Ziel der Gruppe auf Zuspruch: Sie fordert ein sofortiges „Essen-Retten-Gesetz“. Es soll Supermärkte verpflichten, Lebensmittel zu spenden, statt sie wegzuwerfen. In Frankreich gibt es das seit 2015. Daher ist auch das sogenannte Containern Teil der Aktionen der „Letzten Generation“. Sie fischen weggeworfene Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten. Mitgemacht hat dabei auch der Freiburger Tobias März. Der 42-jährige Familienvater ärgert sich maßlos über die gängige Verschwendung: „Es ist doch absurd, dass 30 Prozent der Lebensmittel weggeworfen werden.“ Ein Gesetz, das das stoppt, sei etwas Konkretes: „Das kann man sofort ändern“, sagt März. Er ist seit 20 Jahren Berater für Solarenergie und schon länger Klimaaktivist.

Bei einer Container-Aktion in Freiburg mit der „Letzen Generation“ war März bereit, sich danach selbst anzuzeigen. So wollte die Gruppe darauf aufmerksam machen, dass das Retten weggeworfener Lebensmittel strafbar ist. Es kam jedoch anders: Der Filialleiter des Supermarkts entdeckte die Gruppe und rief die Polizei. Für März ist das kein Drama, auch er ist bereit, für seine Ziele Ärger in Kauf zu nehmen.

„Jede Minute wird eine LKW-Ladung Essen in den Müll geworfen“, ärgert sich Melina. Genau daher findet Tobias März so eine konkrete Aktion wie das Containern richtig. „Wir wollen maximalen Druck erzeugen“, sagt er zu den Aktionen. Auch mit wenigen Leuten schaffen sie so große Aufmerksamkeit – vor allem mit den Blockaden.

Manche Reaktion macht die Gruppe fassungslos So startete sie kürzlich eine Lebensmittel-Verschenk-Aktion in der Freiburger Innenstadt. Passanten konnten sich containertes Essen mitnehmen. Doch die Polizei stoppte die Aktion und kassierte die Ware. Für Melina ist das schwer nachzuvollziehen. Sie ist fest entschlossen, sich weiter für die „Letzte Generation“ einzusetzen.

Fotos: © freepik.com/lifeforstoc, Melina, Till Neumann