Debatte ums Dope: Wie steht die Green City zur Cannabis-Legalisierung? Szene | 29.11.2018 | Till Neumann & Philip Thomas

Uruguay hat’s getan, Kanada auch. Und Deutschland? Die Legalisierung von Cannabis wird derzeit vielerorts diskutiert. Auch, weil alte Bastionen bröseln. In Freiburg erhitzt die Pflanze entgegen ihrer Wirkung aber weiter die Gemüter. Ein Experte der Drogenhilfe wartet mit einer überraschenden Aussage auf. Und ein Dealer sieht das Ende nahen.

Ganze 2,7 Gramm konsumiert Norman Schäfer täglich. Legal. Der 29-Jährige bekommt Marihuana auf Rezept aus der Apotheke. Zahlen muss er dafür lediglich 40 Euro Rezeptgebühr im Jahr. Der Emmendinger leidet gleich vierfach: Epilepsie, ADHS, eine zu kurze Hüfte und eine Wirbelfraktur. „Cannabis ist das Einzige, was hilft“, sagt er. Kürzlich ist er mit

Behandelt Patienten mit Cannabis: Professor Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums in Freiburg.

40 Gramm Marihuana durch Marokko gereist – autorisiert von deutschen und marokkanischen Behörden. „Ich bin wohl der erste Deutsche, der das dort darf“, sagt Schäfer nicht ohne Stolz.

So unkompliziert wie er würden viele Deutsche auch gerne an Cannabis kommen. Doch das ist gesetzlich verboten. Lediglich zu medizinischen Zwecken darf es abgegeben werden. Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums am Universitätsklinikum Freiburg erklärt: „Die Cannabispflanze enthält eine Vielzahl von Wirkstoffen, von denen einige positive medizinische Effekte zu haben scheinen.“

Drei bis vier Patienten im Monat behandelt der 57-Jährige mit Cannabidiolen, die keine psychischen Effekte besitzen wie THC. Uneingeschränkt zugänglich machen würde der 57-Jährige Marihuana jedoch nicht: „Ich halte eine allgemeine Freigabe von Cannabis ohne jede Einschränkung nicht für empfehlenswert, da manche Bestandteile erhebliche psychische und kognitive Nebenwirkungen verursachen können.“

Tobias Pietsch, Betreiber des Freiburger Hanfnah-Ladens, ist trotzdem von der Pflanze überzeugt. In seinem Shop gibt es neben Pfeifen und Blättchen auch Cremes, Brotaufstriche oder Pralinen mit Cannabis – alles vollkommen legal und ohne berauschende Wirkung. Für Pietsch ist das Ende der „Prohibition“ ein Herzensanliegen. „Wir wollen eine sachliche Debatte, ich bin ganz sicher, dass irgendwann der Durchbruch kommt“, sagt der 33-Jährige.

Völlig klar: Tobias Pietsch und Milena Pires von Hanfnah hoffen auf ein Ende der „Prohibition“.

Immer wieder ist er unterwegs, um Entscheidungsträger von den positiven Seiten des Cannabis zu überzeugen. Im Oktober war er in Berlin bei einem parlamentarischen Abend mit Vertretern aller großer Parteien. Diskutiert wurde über Cannabis, serviert ein 5-Gänge-Menü auf Cannabis-Basis. „Allein, dass so etwas stattfindet, lässt hoffen“, sagt Pietsch. Vor einigen Jahren sei das undenkbar gewesen.

Selbst in der CDU gibt es mittlerweile Bewegung: So hat der CDU-Gesundheitspolitiker Erwin Rüddel zuletzt Cannabis-Modellprojekte gefordert.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matern von Marschall hat mit Marihuana schlechte Erfahrungen gemacht.

Sein Freiburger Parteikollege Matern von Marschall sieht das jedoch anders: „Ich sehe es kritisch, eine Substanz zu legalisieren, deren Wirkung auf den menschlichen Körper unberechenbar ist“, sagt der Freiburger Bundestagsabgeordnete. Er verweist auf eine Freundin aus Schultagen, die durch Cannabis depressiv wurde und schließlich auf härtere Drogen umstieg. Die medizinische Nutzung schließt von Marschall nicht aus, eine Legalisierung schon: „Ich bin für ein suchtfreies Leben und die Bekämpfung von Drogenmissbrauch.“

Damit nicht einverstanden ist jemand, der die negativen Folgen von Cannabis-Konsum aus dem Effeff kennt: Christoph Weber von der Drogenhilfe Freiburg. Der 57-Jährige ist dort seit 20 Jahren für Suchtkranke zuständig und leitet eine Hilfsgruppe für Kiffer. „Die Lage in Deutschland ist absurd“, sagt Weber, „Kritiker sagen, man würde mit der Legalisierung ein Fass aufmachen, dabei ist das Fass längst offen.“

Christoph Weber von der Drogenhilfe geht nicht davon aus, dass der Konsum im Falle einer Legalisierung steigen würde.

Jeder Jugendliche könne sich problemlos Cannabis besorgen. Und dabei an Orten wie dem Stühlinger Kirchplatz mit weitaus schlimmeren Drogen in Berührung kommen. Eine kontrollierte Abgabe sei der bessere Weg. Zumal ihn auch die Kriminalisierung stört: Er kenne viele Fälle, in denen Leute ihren Führerschein verloren haben. Ein Mann hätte durch den Verstoß gegen Bewährungsauflagen sogar  hinter Gitter sollen wegen ein paar Gramm Marihuana. „Ein Auge zudrücken geht bei Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht“, so Walter Roth von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Freiburg.

Weber ist überzeugt, dass der Konsum bei einer Legalisierung nicht steigen würde. Höchstens kurzfristig. Das zeigten Erfahrungen aus dem Ausland. Zumal hier Kiffen längst kein Jugendphänomen mehr sei. Omas bauten an, Mamas rauchten zum Frühstück, berichtet Weber. „Der Konsum ist so gigantisch hoch, dass ein Verbot keinen Sinn macht“, so der Experte. Laut dem aktuellen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung haben sieben Prozent der 12- bis 17-Jährigen, 19 Prozent der 18- bis 25-Jährigen und 6 Prozent der 25- bis 64-Jährigen im vergangenen Jahr Cannabis konsumiert.

Urs Leyde geht für Marihuana sogar auf die Straße. Der 23-Jährige organisiert seit 2005 den Global Marihuana March in Freiburg. 2017 und 2018 kamen jeweils mehr als 1000 Leute zur Legalisierungs-Parade. Damit ist sie die größte ihrer Art in Deutschland. Freiburg, eine Kifferhochburg? „Wir sind eine Studentenstadt, jung und grün“, erklärt Leyde. Er selbst sieht sich als Verfechter des Jugendschutzes: Eine Freigabe ab 21 Jahren mache Sinn, denn vorher sei das Hirn noch nicht ausgereift – und damit anfällig für schädliche Cannabisfolgen. Die Argumente der Cannabis-Gegner hält er für mehr als überholt.

40 Gramm aus der Schweiz

Bei allen Pros und Contras zu gesundheitlichen Aspekten gibt es auch einen finanziellen. Und der ist gewichtig, wie ein Ökonom der Universität Düsseldorf kürzlich errechnet hat: Allein mit Steuergeldern könne der Staat bei einer Legalisierung Milliarden verdienen.

Wegen Dope hinter Gitter? Die Polizei kann bei Betäubungsmitteln kein Auge zudrücken. Was eine Legalisierung für Dealer bedeutet, ist umstritten. Einer sagt: „Dann muss ich mir einen neuen Job suchen.“

Auch in der Medizin spielt Geld eine wichtige Rolle. „Die Einstufung von Cannabis-Extrakten als Betäubungsmittel stellt zwar eine Hürde für die Sammlung klinischer Erfahrungen dar“, sagt Schulze-Bonhage. Vor allem aber wollten Konzerne auf dem Gebiet keine teuren Studien durchführen, weil Nachzügler geleistete Pionierarbeit ohne Vergütung abgrasen könnten. „Pflanzliche Wirkstoffe wie THC kann man nicht patentieren“, so der 57-Jährige. „Das ist eine Aufgabe für die staatliche Förderung“, sagt der Professor, der dieses Jahr eine solche Studie beantragt hat. „Ohne diese Forschung bleibt das ein anrüchiges Umfeld.“

Genau in diesem Dunstkreis dreht S. seine Runden. Er ist Mitte 20, arbeitslos, aber nicht ohne Beschäftigung. Gemeinsam mit einem Freund verkauft er in Freiburg illegal Marihuana: „Kunden gibt’s viele, vom Studenten bis zum Familienvater ist alles dabei, jeder raucht“, sagt er. Um den Markt zu bedienen, bekomme er von einem Bekannten aus der Schweiz regelmäßig bis zu 40 Gramm Grünes. Um die 550 Euro hätte S. damit am Ende des Monats in der eigenen Tasche. Bei einer Legalisierung geht sein Geschäft in Rauch auf: „Wenn Weed nicht mehr verboten ist, muss ich mir einen anderen Job suchen.“

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