Wenn Taschen erzählen: Frauengeschichte zum Auspacken STADTGEPLAUDER | 16.10.2019 | Heide Bergmann

Damentasche

Der Inhalt einer Handtasche ist Privatsache – normalerweise. Bei der Taschensammlung der Feministischen Geschichtswerkstatt Freiburg ist das anders. Hier ist Öffnen, Stöbern und Lesen ausdrücklich erlaubt. Die Exponate werden jetzt auf dem Adelhauser Platz präsentiert. Einblicke in Frauenleben, die sonst in Vergessenheit geraten würden.

Huldi Jungen galt als Mathematik-Genie. Doch ein Universitätsstudium war für die 1913 geborene Bergbauerntochter aus der Schweiz undenkbar. Huldi wurde Lehrerin, heiratete, bekam drei Kinder und arbeitete zeitlebens als Bäuerin und Lehrerin. Sie engagierte sich für das Frauenwahlrecht und kandidierte als erste Frau für den Gemeinderat. „Huldi war ihrer Zeit voraus“, erzählt ihre Tochter Veronika Althaus-Brand. „Sie war klug und offen, eine Feministin, ohne sich so zu nennen.“ Um sich von der „strengen Arbeit“ zu erholen, löste Huldi gerne mathematische Aufgaben. Eine Glaskugel in der Hand half ihr beim Denken.

Die Kugel, Fotos, Briefe und einen biografischen Text haben Tochter und Enkelin in eine Umhängetasche gesteckt und der Geschichtswerkstatt zur Verfügung gestellt. Huldi starb mit 59 Jahren. Durch das Taschenprojekt bekomme sie ein „neues Leben“, so die Tochter. Und Enkelin Andrea ergänzt: „Gemeinsam haben wir ihre Geschichte aufgeschrieben, diskutiert, gelacht, waren berührt und bewegt.“

Huldis Tasche ist nur eine von mehreren im Archiv der Feministischen Geschichtswerkstatt. Die Taschen erzählen von verhinderten Karrieren, Träumen, ungleichen Chancen, vom Leben zwischen Beruf und Familie, aber auch von erkämpften Rechten und dem Überwinden von Grenzen. Viel zu oft bleiben solche Biografien, die auch ein Stück Zeitgeschichte spiegeln, im Verborgenen. „Mit dem Taschenprojekt wollen wir Frauengeschichten sammeln und dokumentieren, die sonst in Vergessenheit geraten würden“, so Birgit Heidtke, Historikerin, Frauenforscherin und eine der Initiatorinnen. „Und wie könnten wir ein Frauenleben sinnlicher, unmittelbarer und berührender darstellen als mit einer Tasche?“

Mitmachen kann jede, die eine bemerkenswerte Frau würdigen möchte. Seit Anfang des Jahres wurde dafür geworben, der Rücklauf war überraschend gut. Enkelinnen schreiben über Omas, Töchter über Mütter, einige schreiben über historische Frauenpersönlichkeiten und manche über sich selbst. Am 8. März, dem Internationalen Tag der Frau, wurden die ersten Exponate auf dem Rathausplatz ausgestellt. Weitere Taschen kamen dazu, inzwischen sind es rund 50, und jede ist anders.

Da findet man beispielsweise ein zierliches Täschchen einer ehemaligen Waldarbeiterin der DDR. Die Krokohandtasche einer Freiburger Fabrikantin, die zwei Weltkriege erlebt hat. Den Rucksack einer Frauenrechtlerin aus den 1920er-Jahren. Eine altmodische Einkaufstasche mit einem Bombensplitter. Oder den Stoffbeutel einer indonesischen Kräuterfrau und Mutter von zehn Kindern. Viele der Exponate thematisieren Krieg, Flucht, Kampf um Gleichstellung und Migration. „In unserem Verein gibt es viele Migrantinnen, daher war uns von Anfang an wichtig, dass wir nicht nur deutsche Geschichten erzählen,“ erklärt Heidtke. Auch Körper und Sexualität, Kunst, Religion, Kirche, Ehe und Patriarchat sind Themen.

Die meisten Taschen sind gestaltet wie ein kleines Museum. Sie enthalten Fotos, Notizen, Briefe, Dokumente, Portemonnaies, Schmuck, Kölnisch Wasser, ein Cognacglas, Gesangsnoten, ein Spekulum, Samentütchen und anderes mehr. Wer schauen und stöbern möchte, hat vom 18. bis 20. Oktober auf dem Adelhauser Platz Gelegenheit. Die Taschen werden, begleitet von verschiedenen Veranstaltungen, dort präsentiert. Ab dem 24. Oktober sind die Taschen dann für drei Wochen in der Künstlerwerkstatt in der Lameystraße 6 zu sehen. Das Projekt, das vom Fonds Soziokultur, von der Stadt Freiburg und Stiftungen gefördert wird, soll 2020 auf die Region ausgeweitet werden.

Info:

Taschen erzählen –Frauengeschichte zum Auspacken
18. bis 20. Oktober
Adelhauser Platz, Freiburg
Installation und Perfomances am Platz
Erzähl- und Leseorte in anliegenden Häusern
Lesungen und Theater am Abend
Das ausführliche Programm unter: www.femwerkstatt.de

Foto: © Heide Bergmann