Das Verschwinden – Der Franco-Quebecer Éric Tessier bringt das Thema Demenz einfühlsam ins Kino 4Film | 02.12.2023 | Erika Weisser
Wohnzimmeratmosphäre mit Polstermöbeln, Bücherwänden und einem älteren Paar. Doch die beiden betagten Menschen sitzen nicht einfach gelangweilt am alltäg-
lichen Nachmittagskaffeetisch und reden aneinander vorbei. Um sie herum werden Möbel verschoben, bringen Techniker Lampen, Kameras und Aufnahmegeräte in Position, wuseln Stylisten, die sie pudern, frisieren und schminken.
Die aufgeregte Hektik gilt dem Film im Film: Edouard und seine Frau Madeleine werden für eine Fernsehaufzeichnung gestylt. Für Edouard eigentlich ein Routine-Auftritt: Der pensionierte Historiker war es gewöhnt, vor laufenden Kameras Vorträge zu halten oder aktuelle politische Ereignisse zu kommentieren. Doch dieses Mal geht es um ein anderes Thema: Der freundliche Mann ist dabei, sein Gedächtnis und damit seine Worte zu verlieren. Nun soll er darüber sprechen, wie es sich anfühlt, mit einer Alzheimer-Erkrankung zu leben.
Doch so weit ist Edouard noch nicht. Während er versucht, seine „gelegentliche kleine Vergesslichkeit“ zu verharmlosen, geizt Madeleine nicht mit giftigen Bemerkungen zu seiner falschen Selbstwahrnehmung. In der Gewissheit, dass er „nach drei Minuten sowieso alles wieder vergisst“, lässt sie ihrer Verbitterung freien Lauf. Nach dem Interview packt sie ihren Ehemann ins Auto und liefert ihn bei der Tochter Isabelle ab. Und verschwindet zu ihrem neuen heimlichen Lover.
Da Isabelle berufliche Verpflichtungen hat, überlässt sie den verwirrten Vater der Obhut ihres arbeitslosen Lebensgefährten, der mit der Situation ziemlich unaufgeregt umgeht. Doch er wird überraschend zu einem dringenden Termin gerufen; als kurzfristige Betreuung für Edouard fällt ihm nur seine nicht besonders lebenstüchtige, sehr distanzierte und völlig ungebundene 20-jährige Tochter Bérénice ein. Widerwillig – und gegen Geld – macht sie mit.
Nach anfänglichen Holprigkeiten finden sie schließlich Zugang zueinander. Sie erinnert ihn an seine zweite Tochter Nathalie, die mit zweitem Namen auch Bérénice hieß und über die seit ihrem Suizid vor fast 30 Jahren in der Familie nicht mehr gesprochen wurde. Bald gehört Bérénice zu Edouards vertrautestem Kreis; mit ihr kann er auch über sein langsames Verschwinden, seinen allmählichen Abschied von sich selbst sprechen. Und sie wächst mit ihrer Rolle, in der sie lernt, Verantwortung zu übernehmen.
Dieser wunderbar einfühlsame und zugeneigte Film ist bereits vor dem offiziellen Start im Rahmen der Französischen Filmwoche am 25. und 28. November im Kino Friedrichsbau zu sehen.
Du wirst mich in Erinnerung behalten
Kanada 2020
Regie: Éric Tessier
Mit: Rémy Girard, Karelle Tremblay, France Castel, Julie Le Breton, David Boutin u.a.
Verleih: JETS Filmverleih
Laufzeit: 108 Minuten
Start: 7. Dezember 2023
Fotos: © JETS Filmverleih