Ein Desaster, viele Faktoren – Kommentar zum Wirbel um die Musikerinitiative Multicore 4Musik | 21.11.2022 | Till Neumann

Nacht Konzert beleuchtete Bühne Publikum hebt Hände hoch

Stattliche 90.000 Euro hat der Verein Multicore für das Reboot-Festival im Sommer bekommen. Das Geld hat das Kollektiv – man kann es nicht anders sagen – in den Sand gesetzt. Der Ärger darüber entlud sich danach auch auf Instagram. Der Verein hat Fehler gemacht, die Gründe für das gescheiterte Festival sind aber vielfältig. Das Engagement für die Freiburger Musiklandschaft schmälert der Misserfolg nicht.

Multicore will ein „Verein zur Förderung von Live-Musik in Freiburg und Region“ sein. Für viele ist er mittlerweile der Inbegriff eines Vereins, der viel Geld bekommt und das amateurhaft verschleudert. Einen Einblick in die heftige Kritik gibt’s unter dem Instagram-Multicore-Post zu einem Spendenaufruf für den Verein. User raten den Verantwortlichen, lieber Pfandflaschen zu sammeln oder wollen einen Rechenschieber spendieren, damit ab sofort vernünftiger kalkuliert werden kann.

Mit der Kritik muss Multicore leben. Die Initiative hat schließlich jede Menge Geld versenkt: 90.000 Euro hat ihnen die Stadtkasse für das Reboot Open Air zur Verfügung gestellt. Mit einem Minus von 30.000 Euro ging das Event aus. Ein Desaster.

Das viertägige Festival stieg Anfang Juli im Eschholzpark und sollte mit 24 Acts aufwarten. Der Fokus lag auf lokalen Bands, als Zugpferde sind überregional bekannte wie der Sänger Mal Élevé der Irie Révoltés oder das Kollektiv Luksan Wunder gebucht worden. Am Ende kamen laut Veranstaltern nur rund 1000 zahlende Gäste. Das chilli war am letzten der vier Tage da und schätzt, dass etwa 20 zahlende Gäste anwesend waren. Die Tagestickets kosteten 24 bis 27 Euro. Aufgrund der wenigen Zuschauer wurden die Preise am Festivaltag sukzessive gesenkt. Am Ende hieß es: Pay what you want. Bei all dem Übel muss man ergänzen: Zwei Gruppen fielen an dem Tag spontan aus. Unter anderem Hauptact Luksan Wunder.

Eine Antwort gibt es direkt am Zaun

Warum Zuschauer nicht kommen, ist Spekulation. Fakt ist aber: Zwei entscheidende Faktoren sind die Attraktivität der Acts und die Ticketpreise. Im Nachhinein waren knapp 30 Euro sicher zu viel. Der Verein hat sich da grandios verkalkuliert. Dennoch standen auf den Bühnen auch Gruppen, deren Namen man kennen könnte. Die Singer-Songwriterin Laura Braun zum Beispiel, sie hat gerade erst das E-Werk gefüllt. Warum zahlen Musikfans das Geld nicht?

Eine Antwort gab es direkt am Festivalgelände. Am Zaun rund um das Areal standen Menschen, die sagten: Warum soll ich hier eine Karte holen, ich habe die doch gerade erst kostenlos gesehen. Gemeint war das Festival „Freiburg Stimmt Ein“. Es bietet seit mehr als zehn Jahren auf zig Bühnen in Freiburg Livemusik ohne Eintritt. So schön das für die Zuschauenden ist: Der Ansatz hat auch seine Schattenseiten. Ist kostenlose Kultur nachhaltig? Gerade in Zeiten, in denen kleineren und mittelgroßen Bands viele Einnahmemöglichkeiten wegbrechen?

Veranstalter müssen sich das fragen. Aber auch die Musiker·innen selbst. Wie sinnvoll ist es, sein Schaffen kostenlos anzubieten? Man wägt ab zwischen pro und contra. Zum Beispiel Reichweite versus Aufwand. „Freiburg Stimmt Ein“ bietet große Bühnen und Publikum. Es kann aber auch den Marktwert plätten. Wer wenige Wochen später Tickets für eine Show verkaufen möchte, muss sich gut überlegen, ob das dann noch klappt.

Großes Engagement über Jahre verdient Respekt

Ja: Das kann es. Kurze Auftritte können Appetizer sein. Doch in Zeiten von knappen Kassen und Pandemie-Ängsten wird eben dreimal überlegt, wohin der Taler fließt. Nicht umsonst gibt es in Musikkreisen Verträge mit Gebietssperren: Wer an Tag X in Location Y spielt, darf dann in einem gewissen Zeitraum nirgendwo anders in der Region auftreten.

Ja, Multicore hat’s versemmelt. Und ja: Mit mehr Erfahrung hätte man das anders planen können. Aber zur Wahrheit gehört auch: Die Zeiten für Veranstalter und Musiker·innen sind schwierig. Das erleben auch viele andere. Dass sich Multicore für das Festival ins Zeug gelegt hat und Freiburger Bands eine professionelle Bühne geboten hat, verdient dennoch Respekt. Schon seit Jahren ackert der Verein, um die Musiklandschaft in Freiburg zu pushen.

Bestes Beispiel: die Musikzentrale. Der ambitionierte Plan eines mehrstöckigen Hauses am Güterbahnhof mit Proberäumen, Bühne und Co. ist zwar geplatzt. Dafür kam KA52 als kleinere Lösung um die Ecke. Dass dort in bald zwei Jahren noch nichts Konkretes draus geworden ist, liegt nicht am Verein.

Auch der Standort könnte wegen explodierender Baukosten platzen. Mittlerweile deutet vieles auf eine Lösung mit Holzmodul-Proberäumen hin. Kommen diese, ist das auch ein Verdienst von Multicore. Keine zweite Gruppe zeigt in Freiburg für Musiker ehrenamtlich so viel Engagement. Das sollte trotz des 90.000-Euro-Debakels nicht vergessen werden.

Es ist daher richtig und wichtig, dass der Gemeinderat die fehlenden 30.000 Euro zur Rettung des Vereins freigegeben hat. Die Multicore-Existenz ist damit vorerst gesichert. Jetzt gilt es, mit guten Ideen am Start zu sein. Mit dem Format „PopUp-Musikgarten“ auf dem Europaplatz ist das zuletzt geglückt. Der Tatendrang ist offenbar nicht erloschen.

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