Leben in WGs ist trendy: Neue Studie soll auch im Dietenbach berücksichtigt werden Bauen & Wohnen | 04.09.2021 |   Liliane Herzberg

zwei Frauen und Männer sitzen föhlich bei einder Tasse Kaffee zusammen Häufig ein Modell für den Ruhestand: Fast die Hälfte der befragten Freiburger·innen kann sich vorstellen, später einmal in einer Wohngemeinschaft zu leben.

Der Wunsch nach gemeinschaftlich organisiertem Leben ist in Freiburg weit verbreitet. Das ergab jetzt eine Umfrage des städtischen Statistikamts zum Schwerpunkt „Wohnformen“ unter mehr als 2600 Befragten. Fast die Hälfte kann sich demnach vorstellen, zu einem späteren Zeitpunkt in einer Wohngemeinschaft zu leben. Oft spielen dabei die Finanzen eine große Rolle. Aber nicht nur.

„Wir treffen uns alle vier Wochen und sprechen über das, was anliegt“, erzählt Christa Mohn, Bewohnerin des „Ponyhofs“ in Bad Krozingen. Seit elf Jahren lebt sie dort mit zehn anderen Menschen. Lange Zeit wohnte sie mit ihrer Familie in Freiburg, nach der Scheidung wollte die damals 59-Jährige schließlich selbst eine Gemeinschaft gründen. Da sie niemanden fand, machte sie sich auf die Suche nach bestehenden Projekten. „Es ist irrsinnig viel Arbeit, sich ein Wohnprojekt neu aufzubauen, das sollte man spätestens zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr beginnen, eher früher“, weiß die heute 70-jährige Psychologin.

Gemeinschaft und Rückzug an einem Ort  

Küche und Bad hat sie in ihrer heutigen Anderthalb-Zimmer-Wohnung für sich alleine. Mit den anderen Ponyhof-Bewohnenden teilt sie sich einen großen Gemeinschaftsraum mit angrenzender Küche, den Garten und einen Waschraum. „Jeder hat sein Eigenes, aber wir treffen uns auch gerne für Geburtstagsfeiern, kochen manchmal zusammen oder verbringen unsere Abende im Garten“, berichtet Mohn.

Die „Haus-WG“ mit eigenständigen Wohnungen zählt zu den favorisierten Modellen der Freiburger·innen, ebenso wie die Gemeinschaft in Mehrgenerationenhäusern: Zumindest ist das der städtischen Umfrage zu entnehmen. Neben den klassischeren Wohngemeinschaften gibt es auch den vielfachen Wunsch nach Baugemeinschaften oder genossenschaftlich erworbenen und gebauten Häusern oder Wohnungen. Aktuell wohnen 14 Prozent der 2606 Befragten in gemeinschaftlichen Wohn-formen, 46 Prozent können sich das aber zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen. Allen voran gebildete Frauen mit einem überdurchschnittlichen Einkommen im Alter zwischen 45 und 60 Jahren. Nur für 35 Prozent der Bürger·innen kommt es gar nicht in Frage, so zu wohnen.

Portrait von Christa Mohn

Lebt in einer Wohngemeinschaft: Christa Mohn

Dass es häufig ein Modell für den Ruhestand ist, weiß auch Andreas Kern, Mitarbeiter in der Freiburger Statistikstelle und Leiter der Umfrage. „Für die meisten ist es eine Mischung aus Finanzen und Philosophie.“ Familien mit hohem Einkommen und Bildungsstand seien am meisten an Baugemeinschaften interessiert, „weil sie gerne teilen wollen, aber auch, weil der Freiburger Wohnungsmarkt teuer und der Eigentum-Erwerbsmarkt schwierig ist.“

Sarah May, Kulturanthropologin an der Universität Freiburg, geht noch einen Schritt weiter: „Das Arbeiten verändert sich immer weiter in eine eher abstrakte, digital dominierte Form, die von überall aus möglich ist.“ Dadurch rücken Arbeit und Wohnen in größere Nähe und es werden Fragen der Abgrenzung von Beruf und Freizeit sowie der Gestaltung von Stadt- und Wohnraum wichtig. In beiden Bereichen sei vor allem das Soziale wichtig. „Das etabliert sich auch durch gemeinschaftliches Wohnen. Nur wenige leben noch in Großfamilien. Die Idee des Zusammenlebens findet sich jetzt in neuen Formen wieder“, weiß May. Darum gehe es beim gemeinschaftlichen Wohnen „um Beziehung, soziale Nähe, Kollektivität“. Aber in Freiburg sei es natürlich auch eine Frage des verfügbaren und bezahlbaren Wohnraums. „Es ist wichtig, dass die Stadtplanung das beachtet.“

Im Falle des geplanten Stadtteils Dietenbach werden die Ergebnisse der Umfrage bereits in die Planungen miteinbezogen, bestätigt Ingo Breuker, der stellvertretende Projektgruppenleiter: „Für uns waren sie teilweise überraschend und absolut positiv zu werten.“ Die Ergebnisse würden zeigen, dass Wohngemeinschaften mehr als ein Nischen-Thema sind. Besonders, wenn es dann um die Vergabe der Baugrundstücke gehe, werde das Thema noch mal stärker in den Blick genommen. 

Für Christa Mohn ist das nicht mehr entscheidend. Für sie ist klar: Solange es möglich ist, möchte sie ihren Lebensabend im Ponyhof verbringen.

Fotos: © iStock.com/SeventyFour, Gabi Bruns