Trotz Auslastung: Kammerpräsident Johannes Ullrich ist auch ein Manager des Mangels Bauen & Wohnen | 29.09.2018 | Lars Bargmann

Dem südbadischen Handwerk geht es gut. „Die Auslastung war noch nie so hoch“, sagt Johannes Ullrich, der Präsident der Handwerkskammer Freiburg, im Redaktionsgespräch. Ullrich ist aber auch so etwas wie ein Manager des Mangels.

Nach der jüngsten Konjunkturumfrage der Kammer melden 90 Prozent der Betriebe eine gute Geschäftslage und gaben auch an, dass das in den nächsten Monaten so bleiben wird. Jeder siebte Betrieb arbeite über der eigentlichen Kapazitätsgrenze. Damit einher geht auch ein Umsatzplus, nur 7,4 Prozent meldeten Einbrüche. Die Schattenseiten: Auf den Baustellen nimmt die Zahl der Subunternehmer mit ausländischen Arbeitskräften immer mehr zu. „Es gibt mittlerweile eine große Anzahl von größeren Betrieben, die Aufträge akquirieren und die dann verkaufen.

Der Käufer verkauft den Auftrag wieder weiter, bis der Handwerker, der die Arbeit macht, kaum noch etwas verdient, das ist katastrophal“, sagt Ullrich. Dagegen agieren könne die Kammer nicht: „Da sind wir ein zahnloser Tiger.“ Das müsse die zuständige Zollbehörde kontrollieren. Was zu selten geschehe. Es gebe einen „Verfall der Sitten“, nicht nur auf dem Bau, auch in der Fleischindustrie: „Da werden Leute teilweise richtig ausgebeutet.“

An den stetig steigenden Baukosten hätten die Handwerksbetriebe indes den geringsten Anteil. Preistreiber seien vielmehr die Zulieferer, die zuletzt jedes Jahr rund sechs Prozent mehr fordern und die im Schnitt 70 Prozent der Kosten ausmachten. Nur 30 Prozent entfielen im Schnitt auf den Lohn, und auch bei dem gab es zuletzt in kurzer Taktfolge deutliche Tarifsteigerungen.

„Die meisten Handwerksbetriebe haben zwei bis acht Prozent Umsatzrendite, sie bräuchten aber 15 Prozent, um Rücklagen für die Zukunft zu bilden“, sagt Ullrich. Die Eigenkapitalquote im Handwerk sei vielfach geradezu beschämend. Deswegen berät die Kammer die Betriebe auch im nachhaltigen Wirtschaften, dabei, so zu kalkulieren, dass nicht nur die Löhne gedeckt sind, sondern auch andere Kosten sowie das Bilden von Reserven.

Viele Betriebe wollten, können aber nicht expandieren, weil Fachkräfte und Azubis fehlen. Im Jahr 2007 gab es im Kammerbezirk 7422 Auszubildende, 2017 waren es nur 6261. Eine Trendwende ist trotz aller Anstrengungen der Kammer nicht in Sicht: „Wir werden die Handwerker auch in den nächsten zehn Jahren nicht finden. 2022 bis 2025 trifft uns der demografische Wandel noch einmal mit voller Wucht.“

Nach der Konjunkturumfrage wollen 30 Prozent der Betriebe neue Mitarbeiter einstellen. Nur 30? „Es gibt eine hohe Resignation bei den Betrieben, die Fachkräfte und Azubis suchen.“ Der demografische Wandel, das weiß auch Ullrich, ist dabei nur ein Teil des Problems: „Das Handwerk hat sehr spät erkannt, dass es viel zu wenig für sein Image gemacht hat. Lange Jahre war ein Lehrling nur ein Lehrling, dem wenig Wertschätzung entgegengebracht wurde.“

Positiv sei die gelingende Integration von Flüchtlingen (am 30. September haben 271 eine Ausbildung begonnen) oder der steigende Anteil von Abiturienten (2007 gingen nur 4,6 Prozent ins Handwerk, 2017 waren es 13,1 Prozent). „Wir machen gute Erfahrung mit Flüchtlingen und haben da auch eine gute Durchhaltequote“, so Ullrich.

Ohne Zuwanderung werde die Lage immer dramatischer werden. „Der Freiburger Wirtschaftsweise Lars Feld hat ausgerechnet, dass Deutschland pro Jahr 300.000 neue Bürger braucht. Deswegen fordern wir ja auch schon lange ein Gesetz für die qualifizierte Einwanderung.“ Solche Forderungen würden aber in Berlin oder im Landtag verpuffen.

Selbst wenn die Flüchtlinge schon hier sind, gibt es hohe Hürden. Ullrich selber, Inhaber eines Malerbetriebs, hat einen Auszubildenden, der jeden Tag um 5.15 Uhr an seinem Meldeort in Oberbergen in den Bus steigt, um dann um 7 Uhr im Betrieb zu sein. Alle Anstrengungen, dass der junge Mann seinen Wohnort wechseln kann, sind bislang gescheitert. „Da fühlt sich offenbar niemand zuständig.“ Die HWK beschäftigt mittlerweile vier Kümmerer, die das Flüchtlingsfeld beackern.

Die Freiburger Kammer hat im Bundesgebiet auch regionaltypisch besondere Herausforderungen: Wegen der Grenznähe werben Schweizer Betriebe viele deutsche Handwerker aus dem Lörracher Raum ab, weil sie mehr zahlen können. Und weil die Eidgenossen am Oberrhein auch sehr viele Wohnungen kaufen, bringen die heimischen Betriebe ihre Gesellen dann vor Ort nicht mehr oder nur teuer unter. Dem südbadischen Handwerk geht es zwar gut, es hat aber auch einen ganzen Sack voller Probleme. 

Info
Die Handwerkskammer Freiburg ist für  15.353 Betriebe mit fast 100.000 Beschäftigten zuständig. Die derzeit 175 Beschäftigten beraten jährlich etwa 1500 Stunden lang. Die Bilanzsumme lag 2016 bei 51,7 Millionen Euro. Der Personalaufwand betrug 11,1 Millionen, die Beiträge der Betriebe belaufen sich auf rund 8 Millionen. In Deutschland erwirtschafteten im vergangenen Jahr
999.954 Handwerksbetriebe mit 5,49 Millionen Beschäftigten 581 Milliarden Euro, im Bereich der Freiburger Kammer waren es 11,55 Milliarden Euro.

Foto: © Handwerkskammer Freiburg