„Das schwankt ganz schön krass“: Wie Freiburger Musiker·innen über die Runden kommen Musik | 19.10.2023 | Till Neumann
Trotz Voice of Germany ist die Karriere kein Selbstläufer: Die Freiburgerin Nadine TraoréMusik ist ein Traumberuf. Aber einer, der meist mit viel Aufwand und überschaubarem Einkommen verbunden ist. Das zeigt die Studie „Professionelles Musizieren in Deutschland“. Ein Ergebnis: Nur 30 Prozent aller Musiker·innen kommen ohne zweites Standbein aus. So geht es auch zwei Freiburger Berufsmusiker·innen. Sie berichten im chilli, wie sie ihr Leben finanzieren. Und warum es dazu keine Alternative gibt.
Musikrat prescht vor
2460 Euro netto im Monat. So viel verdienen freiberufliche Musiker·innen im Schnitt in Deutschland. Jeder Fünfte liegt bei weniger als 1500 Euro. Das zeigt die Studie Professionelles Musizieren. Sie bietet erstmals einen genreübergreifenden und bundesweiten Überblick zu Tätigkeiten, Einkommen und Ausbildungswegen von Berufsmusizierenden.
Der Deutsche Musikrat sieht die Einkommenslage freiberuflicher Musiker·innen kritisch. Generalsekretär Christian Höppner fordert eine bessere Bezahlung. Und mehr Wertschätzung. Auch im Vergleich zu Festangestellten: Die verdienen mit 2940 Euro im Schnitt 480 Euro mehr im Monat.
„Safe meine Miete bezahlen“
Der Freiburger Felix Rehmann kann davon ein Lied singen. Der 42-jährige Gitarrist und Bassist lebt schon ein Leben lang von der Musik. Was er verdient? „Das ist gar nicht so einfach, es schwankt ganz schön krass“, sagt Rehmann. Von 1500 bis 3000 Euro brutto reiche das Spektrum. Je nachdem, wie viele Aufträge reinkommen und was dafür bezahlt wird.
„Im Wesentlichen habe ich drei Einkommensquellen“, erklärt Rehmann. Er spielt in der Metalband „League of Distortion“, ist in acht weiteren Kombos aktiv und unterrichtet zwei Tage die Woche am Musiclab in Emmendingen. Mit der pädagogischen Arbeit verdient Rehmann sein Grundgehalt: „Das ist das, womit ich safe meine Miete und mein Essen bezahlen kann.“ Alles, was drüber hinausgeht, ist ein Bonus: „Wenn ich mir mehr leisten will als den simplen Lebensstandard, dann muss ich schon gucken, dass ich ein bisschen Kohle damit reinfahr.“
„Minimum 60 Stunden pro Woche“
Pro Konzert bekommt er eine feste Gage: „Bei einem Dienstleistungs-Covergig schaue ich, dass ich so mit 400 bis 500 Euro am Abend rausgehe.“ Bei Herzblutprojekten auch mal weniger, weil da das Geld oft reinvestiert werde. Warum es Honorare in der Höhe braucht? „Weil das Konzert nur die Spitze des zu finanzierenden Eisbergs ist“, sagt Rehmann. Proben, anreisen, Equipment finanzieren, Songs schreiben und aufnehmen, sich vermarkten – all das müsse mit kalkuliert werden: „Als Selbstständiger bezahlt uns keiner unser Arbeitshandy, wir bezahlen alles aus der eigenen Tasche.“ Mit all seinen Tätigkeiten kommt er auf „Minimum 60 Stunden pro Woche“.
Der Musiker ist dennoch zufrieden: „Ich habe oft das Gefühl, ich habe es geschafft: Ey, krass, ich kann vom Musikmachen leben.“ Das gehe zwar nicht allein mit eigener Musik („das gibt es heute nicht mehr“), aber alles, was er mache, mache er gern. Teilweise bleibt sogar etwas für Rücklagen übrig. Für Rehmann ein Luxus.
„Es kommt auf die Saison an“
Ohne Festanstellung kommt auch Nadine Traoré durch. Die 29-jährige Freiburgerin mit Wurzeln in Westafrika (Elfenbeinküste und Mali) ist genau wie Rehmann beruflich breit aufgestellt: Sie spielt als Bassistin und Sängerin in verschiedenen Combos (etwa The Rehats) und gibt pro Woche 19 Stunden Unterricht an Musikschulen in Emmendingen und Lörrach. Dazu kommen bis zu fünf Stunden Privatunterricht.
Wie viel sie im Monat damit verdient? „Zwischen 4000 und 5000 Euro brutto“, sagt Traoré. Der Musikunterricht ist auch für sie eine Art Grundgehalt: Damit kommt sie auf rund 3500 Euro im Monat. Den Rest verdient sie über Gagen für Konzerte. Das schwanke zwischen 1000 und 2000 Euro. „Es kommt immer auf die Saison an: Im Sommer geht immer mehr.“ Dezember bis April sei dafür ruhiger.
Es läuft „krass gut“
Von dem, was sie verdient, geht vieles wieder weg: Rund 400 Euro im Monat braucht sie für die Künstlersozialkasse, über die sie renten-, kranken- und pflegeversichert ist. Zudem sind die Steuerabgaben hoch. Rehmann schätzt sie bei sich auf rund 20 Prozent. Dazu kommen Spritkosten, Ausgaben für Technik oder Musikproduktionen.
Dennoch findet Traoré, dass es „krass gut läuft“. Das führt sie auch auf ihr Profil zurück: „Bassisten sind rare Ware, das ist ein bisschen mein Glück.“ Als Gitarristin oder Sängerin hätte sie es wohl schwerer. 2022 machte sie bei der TV-Castingshow „The Voice of Germany“ mit – und schaffte es ins Team Mark Forster. Auch das hat ihr geholfen, sich einen Namen zu machen.
„Es war sehr hart“
Ein Selbstläufer ist die Karriere deshalb nicht: „Ich arbeite eigentlich jeden Tag so acht bis neun Stunden“, erzählt Traoré. Nur sonntags versuche sie, nichts zu machen – was nicht immer klappe. Traoré kommt demnach auf mindestens 50 Wochenstunden.
Eine Erkenntnis der Studie ist zudem ein „Gender Pay Gap“: Musikerinnen in Deutschland verdienen im Schnitt 24 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Nadine Traoré überrascht das nicht. In den vergangenen Jahren hatte sie oft das Gefühl, sich als Frau stärker beweisen zu müssen als ein Mann. „Es war sehr hart. Ich musste viel die Ellenbogen rausfahren.“ Ein Beispiel? „Wenn ein Veranstalter mich sieht mit dem Bass, wie ich mein Zeugs aufbaue, dann ist so ‚das kleine Mädel, ach wie süß‘.“
Musikrat-Chef fordert Steuerermäßigungen
Bei Gagen hat sie die Vermutung, in Bands auch schon schlechter bezahlt worden zu sein als Männer. Das war vor einigen Jahren, als sie sich noch nicht traute nachzufragen. Mittlerweile setzt sie auf offene Ansprache und Mindestforderungen. Pro Gig bekommt sie zwischen 200 und 350 Euro.
Es bleibt die Forderung des Musikrats nach einer besseren Bezahlung. Und die Frage, wie das gelingen soll, wenn auch Veranstalter·innen zu kämpfen haben? „Die Forderung nach höheren Honoraren kann die Branche auch nicht stemmen“, sagt Musikrat-Generalsekretär Christian Höppner. Der 1956 Geborene verweist daher an die Politik: „Es muss von der Rahmengesetzgebung her etwas geschehen.“ Das heißt für ihn, „dass man hier mit ermäßigten Steuersätzen arbeitet“. Spätestens bei den Haushaltsberatungen zur Bundestagswahl 2025 hofft er auf einen Durchbruch.
„Ohne würde ich depressiv werden“
Seine Befürchtung, wenn das nicht klappt: „Deutschland droht zu verstummen.“ Viele Freiberufler hätten zu knapsen. „Die kommen auf einen Jahresbruttoverdienst von 13.000 Euro.“ Davon könne man nicht leben. Eine Absicherung durch Musikunterricht wie bei Felix Rehmann und Nadine Traoré ist daher der Klassiker.
Die beiden haben Glück: Sie unterrichten gern. Nicht allen geht das so. Was dafür so ziemlich alle Musiker·innen verbindet: Ihr Job ist Berufung statt Beruf. „Ich habe mich bewusst für den musikalischen Weg entschieden, weil mein Seelenglück über dem Geld steht“, sagt Traoré. Musik macht sie, seit sie neun ist. „Ich glaube, ohne würde ich depressiv werden.“ Auch Rehmann geht es so: „Im Grunde habe ich keine andere Wahl beim Beruf: Ich muss Musik machen, weil ich das kann und liebe.“
„Spitzengagen verzerren das Bild“
Wenn er sich etwas wünschen dürfte, wäre es mehr Wertschätzung für seinen Job. Das teilt auch Christian Höppner vom Musikrat: „Mein Eindruck aus vielen Jahren ist: In Deutschland herrscht eine Dienstleistungsmentalität nach dem Motto: Spiel er mal auf.“ Das spiegle sich in der Bereitschaft wider, auskömmliche Honorare zu zahlen. Viele würden auf Spitzengagen der Weltstars schauen. Das verzerre das Bild. „Die große Anzahl der Musiker·innen muss sich mit ganz anderen Themen befassen.“
Fotos: © ProSieben SAT.1 André Kowalski, knipserei berthold, Christoph Soederdpa